Jochen Jung
Das alte Spiel
Gedichte
„Der Ruhe Geist ist aber in den Stunden
Der prächtigen Natur mit Tiefigkeit verbunden.“
Scardanelli
„Ein dürres Blatt, vom Wind getrieben,
sieht oftmals einem Vogel gleich.“
Goethe
„… aus Kombination von Kieselsteinen, Winkelfiguren, Ritzen oder Öffnungen, Blattformen, Farben, Gerüchen und Tönen sah ich bislang unbekannte Harmonien sich bilden.“
Gérard de Nerval, Aurelia
„… als begänne er ein Gedicht, trieb ihn das Wort vorwärts, ehe er den Sinn hatte.“
Robert Musil, Der Mann ohne Eigenschaften
„Poesie trieft von oben herab und sprießt von unten herauf.“
Wilhelm Raabe, Deutscher Mondschein
Lass es gut sein.
Auf der Hut sein
Muss genügen.
Lerne fliegen!
Das Licht fällt immer schräger in die Bäume
Immer geklemmter sind die Zwischenräume
Unter den Bäumen stehen Leute
Die ich nicht kenne, deren Beute
Ich auch nicht sein will, dann schon lieber
Wechsel ich auf die andre Seite rüber
Und schau mir mich von hüben an
Und sehe: drüben steht ein Mann
Der sich so Zeug vom Mantel zupft
Die schwarzen und die bunten Träume
Als wenn er einen Vogel rupft
Pass auf, wenn du ein Schnäpschen säufst
Dass du dich nachher nicht verläufst
Dass sie nicht hinterher verkünden
Er hat den Weg nicht mehr gefunden
Ist es ein Platz, ist es ein Saal?
Ein meeting point? Ein Überall?
Auf jeden Fall ein Hin und Her
So etwas wie Berufsverkehr
Als würden Linien gezogen
Für eine Art Schnittmusterbogen
Für sowas wie ein letztes Hemd
Hier fühlt sich einfach jeder fremd
Und wie zu Haus, sowohl als auch
Ein seltsames Gefühl im Bauch
Grau oder weiß steigt dann der Rauch
Und du erfährst: „Habemus vitam!“
Du bist gerettet, stimmst ein Lied an
Weiß ich denn auch, wie alt ich bin?
Nein, weiß ich leider nicht.
Die Jahre gingen so dahin,
mal Schatten und oft Licht.
Die Jahre, die auch meine sind,
weiß ich denn noch, wie ich als Kind
war, kann ich mich erinnern?
Das Alter zeigt sich an der Haut
Und an den Zähnen, wenn man kaut,
und noch viel mehr im Innern.
Dort hält der Tod schon lang Gericht.
Das Altern ist Vergissmeinpflicht.
Ich steh am Meer und weiß doch, dass
das Meer immer da ist, wo ich nicht bin.
Wie ist das möglich? Ich strecke
den Fuß, es kitzelt nicht, ich lache vor mich hin.
Das Meer ist knochentrocken.
Die Wurst
Der Käse
Das Glas
Die Unterhaltung
Der Unterhalt
Der Halt
Das Brot
Die Butter
Was für ein Glück wir all die Jahre hatten!
Denn erst wenn sich die vielen Schatten
von all den kleinen Kieselsteinen
auf unserm langen Weg vereinen,
ist Abend. Dann erst kommt die Nacht.
So viel, mehr nicht, ist ausgemacht.
Schmerz oder Schreck?
Mit aufgerissnen Augen stehn sie da
Eins neben dem andern, eine Truppe
Jedes mit eigenem Tagesbefehl
Und jedem ist vollkommen schnuppe
Was nebenan gebrütet wird. Verfehl
Dein Ziel nicht, lautet die Devise. Fang Neues an.
Sie warten, bis die Ampeln frisch erblühn:
Grün!
Glyzinien, ostseeblau,
sie stürzen wie ein Tropfenschauer,
ein Blütenfall von zarter Wucht
hier an der Eckernförder Bucht
so augenfällig wie unerkannt
an Land.
Schon
der Baron
von Liliencron
sprach allen Sparmaßnahmen Hohn.
Ein Offizier ist keine Memme,
gehört das nicht zum guten Ton?,
so brach er alle Schuldendämme,
dichter und dichter ward die Klemme,
es sah schon richtig düster aus.
Kollegen, Kaiser und Karl Kraus
halfen ihm aus der Pleite raus.
Die Uhr tickt
wie verrickt.
Die Fliegen vergehen
im Fluge. Wir
Erdbewohner
going by.
Sie tragen ihren Kaffee
wie eine Monstranz vor sich her.
Am Rucksack klemmt
die Wasserflasche. Ich sehe schon:
Das Leben ist ein Notfall.
Das Wetter verschlägt einem die Sprache,
die Straßenbäume geben einander die Hand.
Ich winke zurück
Zwischen dem Sterben und dem Totsein
Ist nicht mal Zeit für ein Glas Rotwein
Nicht einmal Zeit für ein Gebet
Der Tod lässt sich nicht stunden
Die Treppe rollt nach unten
Vorbei, vorüber, Schluss und aus
Aufwachen dann im fremden Haus
haben was
Verklemmtes und doch Wahres.
Sie reichen von ‚Fehlt dir noch was?‘ –
‚Vielleicht noch etwas Bares?‘
Er möchte, dass sie endlich geht,
sie möchte lieber bleiben,
und ihm, so wie er da jetzt steht,
noch oft den Rücken reiben.
Dazwischen langes Schweigen,
wenn sich die Zeiger neigen.
Man ruft sich das und jenes zu
‚Grüß mir den Franz, die Elfi‘,
dazwischen klickt das Selfie.
Die wehen Worte für den Abschied
sind, wie du weißt, nicht einfach rap shit.
Ihr Fahren ist nicht Feenflucht,
nur Anstoß neuer Sehnsucht.
Man liegt sich in den Armen,
als wäre nie genug –.
Der Bahnhof hat Erbarmen,
und pünktlich kommt der Zug.
Mit kleinen Stacheln ragt es
aus dem Gesicht heraus.
Ein Bart ist etwas Ungefragtes,
es wächst halt, wird rasiert
und aus.
„Augenkontakt vermeiden.
Falls das Produkt in die Augen
gelangt, diese gründlich
mit Wasser ausspülen.“
Zu spät: Ich sah dich.
Das Auge brennt. Die Träne rinnt.
Die Äpfel sind gewaschen.
Die Bettlerin wünscht alles Gute,
womit sie nicht sich selber meint.
Ich seh im Augenwinkel, dass sie weint.
Das Leben war für sie wie eine Rute,
sie wusste nur nicht, wer da schlug.
Es ist ihr seltsam gleich, was ihr bevorsteht.
Sie weiß nur: Noch ist nicht genug.
Ein Sehnsuchtsblick, so wie beim Warten auf den Bus.
Wann kommt sie? Kommt sie überhaupt?
Und krieg ich diesmal einen Kuss?
Ist das für sie ‚erlaubt‘?
Nicht diesen links/rechts in die Luft,
nein, den, der nach mehr Tiefe ruft,
nach dir, nach Dir, mehr will ich nicht,
mach aus der Prosa ein Gedicht!
Was bin denn ich – ein Hund
Ein Karpfen, eine Ratte
Ein Müllcontainer, eine Fest(tags)platte
Ein Aktenordner, ein Museum
Ein Fallbeispiel, ein Fehlurteil
Eine Mitfahrgelegenheit, ein tauber
Passagier, ein Restexemplar
Ein Parzival, ein tumber Stoffel
Ein Kuckucksei mit Bratkartoffel
Ein Heini, Karli, Franz und Fritz
Ein Immer-wieder-abgeblitzt
Ein Tamerlan, ein Caliban
Auf jeden Fall bin ich kein Phonie
Dann eher schon ein Rembrandt-Tronie
Ein Fang-nochmal-von-vorne-an
Jetzt aber Schluss mit dem Gerappel
„Mich gibt’s nur einmal“ (sprach Ernst Happel)
Ich bin was
Ich bin
was
Den Himmel mozartblau zu nennen,
wär gar nicht falsch, wenn es