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Peter Turrini

Fremdenzimmer

Ein Volksstück

ZEIT DER HANDLUNG:

Heute und jetzt.

DIE BÜHNE:

Ein leerer Raum. Der hintere Teil des Raumes ist eine kahle Mauer. Der Boden ist betoniert. Der Beton hat Risse, vereinzelte Grasbüschel wachsen zwischen den Rissen. Es sieht aus wie ein verlassenes Flugfeld. Die wechselnden Schauplätze dieses Stückes spielen immer in diesem leeren Raum und werden nur durch Licht und unterschiedliche Requisiten markiert.

PERSONEN:

Herta Zamanik, Mindestrentnerin (62 Jahre)

August „Gustl“ Knapp, frühpensionierter Briefträger (60 Jahre)

Samir Nablisi, Flüchtling (17 Jahre)

1.

(Der leere Raum. Die Sonne geht auf, ihre Strahlen fallen auf die hintere Mauer. Musik erklingt.)

2.

(Ein Junge, der 17jährige Samir, kommt mit einem Ball und schlägt ihn immer wieder gegen die Mauer. Sein Oberkörper ist entblößt, sein Kopf ist zur Hälfte rasiert. Man hört eine Polizeisirene und das Geräusch eines schnell näherkommenden Wagens. Der Wagen bremst mit quietschenden Reifen. Man hört das Öffnen von Autotüren und laute Stimmen von Menschen. Samir läuft davon. Musik.)

3.

(Im Wohnzimmer von Gustl Knapp und Herta Zamanik. Die 62jährige Mindestrentnerin Herta Zamanik steht im Morgenmantel an der Mauer. Sie singt einen Schlager von Helene Fischer: „Und morgen früh küß ich dich wach“.)

Herta:

Du gehst und sagst so nebenbei

Heut’ Nacht, da wird es spät

Du weißt, wir wollten tanzen geh’n

Ich weiß, daß es nicht geht.

Und irgendwann, da werd’ ich fragen

Sag mir, wann komm endlich ich

Du mußt mir nicht ganz gehören

Doch manchmal brauch’ ich dich …

4.

(Im Schlafzimmer von Gustl Knapp. Der 60jährige Gustl Knapp sitzt auf einem Stuhl vor der Mauer. Am Boden um ihn herum stehen selbstgebastelte Modellflugzeuge: vom B-52-Bomber bis zur einmotorigen Cessna 172. Gustl schaut vor sich hin. Musik.)

5.

(Im Wohnzimmer. Herta und Gustl sitzen nebeneinander auf Stühlen vor der Mauer. Sie starren vor sich hin. Musik.)

6.

(Im Wohnzimmer. Der Raum ist leer. Samir kommt in den leeren Raum und schaut sich vorsichtig um, an der Mauer stehen Stühle. Er schaut immer wieder nach links und rechts, als würde ihn jemand verfolgen. Herta kommt im Morgenmantel in den Raum. Sie sieht Samir und starrt ihn an.)

Herta:

(laut)

Schau Gustl, was da ist.

(Sie starrt Samir an. Er zieht sein Smartphone aus der Tasche und zeigt auf eine Steckdose an der Wand. Von draußen hört man das Schließen einer Türe und Schritte.)

Herta:

(laut)

Wo bist du denn so lang?

Gustl:

(von draußen)

Ich hab das Fahrrad in den Keller getragen.

(Gustl kommt in den Raum und sieht Samir, er starrt ihn an.)

Gustl:

Wer ist denn der?

Samir:

Samir.

Gustl:

Was? Wie? Was hat der gesagt?

Herta:

Irgendwas mit Samen.

Samir:

Samir Nablisi. Syria.

(Schweigen.)

Gustl:

Ein Wahnsinn. Da bringt man kurz ein Radl in den Keller und schon steht ein Ausländer in der Wohnung. Hat der was mit die Polizisten zu tun, die draußen im Hof herumrennen?

Herta:

Frag ihn.

Gustl:

Was will der?

Herta:

Frag ihn.

Gustl:

Kann der Deutsch?

Herta:

(zu Samir)

Deutsch?

Samir:

Deutsch.

Gustl:

Der soll was sagen.

Samir:

Österreich super. Neun Bundesländer.

Gustl:

Weiter.

(Schweigen.)

Gustl:

Der kann net Deutsch.

Herta:

(zu Samir)

Englisch?

Samir:

Yes.

Gustl:

Yes, was?

(Samir schweigt.)

Gustl:

Englisch kann er auch nicht.

Herta:

Du vielleicht?

Gustl:

Sag ihm, er soll verschwinden. Aber subito.

Herta:

(zu Samir)

Er will, daß du gehst. Jetzt, gleich. Also geh.

Gustl:

Ich kann sowas in meiner Wohnung nicht brauchen.

Herta:

Was soll das heißen, deine Wohnung? Das hör ich in letzter Zeit immer öfter. Ich wohn genauso da wie du. Also ist es auch meine Wohnung.

Gustl:

Die Wohnung läuft auf meinen Namen, ist das klar?

Herta:

Jeder Mensch braucht einen Platz auf der Welt, nicht nur du! Außerdem zahl ich den Einkauf unter der Woche.

Gustl:

Saufst du eigentlich schon zu Mittag? Du riechst dementsprechend.

Herta:

Ich trink, wann ich trink. Das geht dich einen Dreck an.

Gustl:

Wenn dir was nicht paßt, kannst jederzeit aus meiner Wohnung verschwinden. Und den Ausländer nimmst gleich mit.

Herta:

Der bleibt!

Gustl:

Der geht!

Herta:

Der bleibt. Wir werden ja sehen, ob du in der Wohnung alles bestimmen kannst und ich nix.

(Gustl geht schnell aus dem Raum.)

Herta:

Jetzt geht er Flieger basteln, ich kenn ihn ja. Nachher riecht der ganze Mann wieder nach Klebstoff. Widerwärtig. Wenn sie wenigstens fliegen könnten, seine Flieger. Da könnten sie ja ab und zu abheben. Aber bei dem hebt nichts mehr ab. Alles nur Papier und Klebstoff.

(Herta geht aus dem Raum. Samir ist allein im Raum und schaut sich um. Er steckt sein Smartphone an eine Steckdose an. Er geht zum Fenster und lauscht. Aus dem Hof hört man die entfernten Rufe von Männern. Herta kommt zurück in den Raum.)

Herta:

So nackert kannst du da nicht herumrennen. Ich hab dir ein Leiberl von meinem Sohn gebracht.

(Sie zieht ihm ein T-Shirt über. Auf dem T-Shirt steht: „Franz Klammer. Olympiasieger 1976“.)

Herta:

So, du bleibst da. Ich mach mich herzeigbar und geh dann kurz weg. Du rührst dich nicht aus der Wohnung. Er wird eher nicht auftauchen, weil er sich mit seine Flieger meistens stundenlang einsperrt. Aber wenn er kommt und dich aus der Wohnung schmeißen will, dann hör nicht auf ihn. Er ist hier nicht der Kapo, er ist ein alter, verklebter Scheißer, auch wenn er zwei Jahr jünger ist als ich. Hier herinnen spielt er den Starken, aber draußen ist er ein Versager.

(Sie geht aus dem Raum. Gustl kommt in den Raum.)

Gustl:

Aha, sie ist weg. Den Lurch hat sie nicht aus der Wohnung entfernt.

(Gustl beobachtet Samir.)

Gustl:

Franz Klammer. Olympiasieger 1976. Sie hat dir sicher gesagt, daß das Leiberl von ihrem Sohn ist. Es gibt keinen Sohn. Sie spinnt.

(Gustl beobachtet Samir. Schweigen.)

Gustl:

Das ist schon was anderes, wenn man so einen wie dich einmal nicht im Fernsehen oder auf der Straßen sieht, sondern in der eigenen Wohnung. Eine Frisur hast du wie ein Sträfling.

(Langes Schweigen. Samir schaut verlegen zu Boden. Gustl sieht, daß Samirs Smartphone angesteckt ist.)

Gustl:

Ich werde dir jetzt was sagen, junger Mann. Ich habe in der Zeitung auf der Gesundheitsseite gelesen, welche Impfungen man haben muß, wenn man hinunter nach Afrika auf Urlaub fahren will. Angefangen von Tetanus bis ich weiß nicht was. Weil die so viele Krankheiten haben, vor denen wir nicht geschützt sind. Aber was bitte is, wenn solche wie du von unten heraufkommen und ihre ansteckenden Krankheiten mitbringen? Ich kann dir sagen, was sein wird. Ihr steckts uns an und wir sterben aus. Langsam, aber unaufhaltsam. Früher haben die Weißen den Indianern die Krankheiten gebracht und die sind alle ausgestorben. Und jetzt kommen die Syrer, die Afrikaner zu uns und besiegen uns mit ihre Seuchen. Bist du gegen Tetanus geimpft?

(Samir schweigt.)

Gustl:

Bist du gegen Tetanus geimpft, frag ich dich.

Samir:

Österreich super. Neun Bundesländer.

Gustl:

Nix verstehen, was? Wenn ich der Herta sag, sie soll sich gegen Zecken impfen lassen, weil sie sonst eine Hirnhautentzündung kriegt, dann stellt sie sich auch blöd, wie du. Vermutlich hat sie die Krankheit schon, weil sie immer verrückter wird. Jeden Tag ein bißchen mehr.

(Schweigen.)

Gustl:

Es ist wissenschaftlich erwiesen, daß die Weißen immer weniger Samentierchen in ihrem Sperma haben. Früher waren es zehn Millionen, heute liegen wir weit drunter. Bei den Dunkelhäutigen ist es genau umgekehrt, bei denen wimmelt es nur so im Sperma. Die wissen gar nicht, wohin damit. Das hat man ja gesehen zu Silvester in Köln. Bald wird es bei uns immer mehr Mulattenkinder geben. Das war ’45 auch so mit den amerikanischen Negersoldaten. Aber die haben ja nach dem Staatsvertrag wieder abziehen müssen. Ihr wollts ja gar nicht abziehen, ihr wollts uns ja mit euren Samentierchen und euren Krankheiten überschwemmen, bis von Österreich im eigentlichen Sinn nix mehr übrigbleibt. Bis wir in diesem fremdländischen Meer ertrunken sind. So wird das enden, nur die Spitze vom Stephansdom wird oben herausschauen und daran erinnern, was wir einmal waren. Katholiken, aber keine Muslime.

(Herta kommt in den Raum. Sie hat ein Kostüm an und ist geschminkt.)

Herta:

Du warst nie Katholik, sondern immer ein alter Sozi, der nichts mit die Katholiken zu tun haben wollte.

Gustl: