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Roland Zingerle

Wörthersee mortale

Kärnten-Krimi

Für Elke und Astrid,

die beiden wichtigsten Menschen in meinem Leben.

Kapitel 1

Freitag, 5.50 Uhr

Das monotone Brummen seines VW Corrado harmonierte mit dem Gefühl der Leere in Heinz Sablatnigs Kopf, als er auf der Villacher Straße stadtauswärts fuhr. Die Sonne ging gerade auf, die Himmelsbläue wurde intensiver. Heinz fragte sich, wann er das letzte Mal so wenig Verkehr auf dieser Straße erlebt hatte. Und er fragte sich, was Direktor Oberhofer dazu bewogen haben mochte, ihn um diese frühe Uhrzeit treffen zu wollen. Natürlich würde es um einen neuen Auftrag gehen, aber warum sollte Heinz ihn so früh am Morgen erhalten und dann noch dazu im Europapark? Konspirativer ging’s ja nun wirklich nicht mehr.

„Wo genau?“, hatte Heinz gefragt und der Direktor hatte geantwortet: „Sie werden mich schon finden, immerhin sind Sie Detektiv, oder nicht?“

Blöder Kerl!

Die Ampel an der Minimundus-Kreuzung stand auf Rot. Heinz rieb sich den Schlaf aus den Augen, gähnte und ließ den Blick über die Baumkronen des Europaparks schweifen, der links hinter der Kreuzung begann. Ein Lächeln kräuselte seine Lippen, denn jetzt wusste er, wo er Oberhofer finden würde. Über die Wipfel der Bäume wuchs nämlich gerade in diesem Augenblick die mächtige Hülle eines pastellgelben Heißluftballons hinaus, auf der in riesigen blauen Lettern die Aufschrift „Fiducia“ prangte.

Die Fiducia AG war jene Versicherungsgesellschaft, deren Landesdirektion für Kärnten und Osttirol von Magister Armin Oberhofer geleitet wurde. Wann immer es Unstimmigkeiten bei der Auszahlung von Versicherungssummen gab, beauftragte Oberhofer Berufsdetektiv Heinz Sablatnig mit den Nachforschungen. Das war oft monotone, zumindest aber gut bezahlte Arbeit, doch ab und zu war auch ein interessanter Fall dabei, der Heinz vor besondere Herausforderungen stellte.

Nachdem er sein Auto geparkt hatte, schlenderte Heinz über die Wiese des Europaparks und sog genussvoll die frische Luft ein, die der nächtliche Regen gebracht hatte. Nicht mehr lange, und die morgendliche Kühle würde der tropischen Julihitze weichen, die seit Tagen in Kärnten vorherrschte. Der Ballon mit der Fiducia-Aufschrift war nur einer von vielen, die hier gerade befüllt und zum Start bereitgemacht wurden. Dabei lief das geschäftige Hantieren mit diversen Ausrüstungs- und Transportgegenständen in einer Ruhe ab, die der frühen Morgenstunde angemessen war, wie Heinz fand. CalibriDer Fiducia-Ballon war bereits prall gefüllt, im Korb stand ein Mann, der mit einem Gerät an der Innenwand beschäftigt war, und ein weiterer rollte auf der Wiese daneben eine Plane ein. Direktor Oberhofer wuchtete gerade eine Sporttasche in den Korb; er trug einen modernen Trainingsanzug.

„Guten Morgen, Sablatnig, grüße Sie.“ Heinz fragte sich, ob er die ungewohnte Freundlichkeit, die in der Stimme mitschwang, darauf zurückführen sollte, dass der Versicherungsmann noch nicht ganz wach war. Doch gerade, als er sich bei dem Gedanken ertappte, dies könnte Oberhofers unverfälschte Natur sein und seine sonstige, grobe Arroganz nur gespielt, rückte dieser Heinz’ Vorstellung auch schon wieder zurecht: „War doch keine unlösbare Aufgabe, mich zu finden, wie ich sehe.“ Er drückte Heinz fest die Hand, dann wies er auf den schmächtigen Enddreißiger im Ballonkorb, der jetzt überkopf am Brenner hantierte. „Das ist Herr Salcher, unser Fahrer.“

Als Salcher seinen Namen hörte, zuckte er zusammen und blickte zu ihnen herüber. Dann setzte er ein Grinsen auf und kletterte mit hektischen Bewegungen aus dem Korb, um Heinz ebenso hektisch die Hand zu schütteln. Heinz fand, dass Salchers Oberlippenbart seinen ausgeprägten Vorbiss unvorteilhaft betonte und sein Grinsen, bei dem der Unterkiefer zurückwich, diese Wirkung noch zusätzlich verstärkte.

„Was meinen Sie mit ‚unser Fahrer‘?“, fragte Heinz Oberhofer, nachdem er sich Salcher gegenüber vorgestellt hatte.

„Sablatnig, ich habe mit Ihnen zu reden.“ Der Landesdirektor griff beidhändig an den oberen Rand des Ballonkorbs und sprang ansatzlos über die brusthohe Kante. Heinz staunte immer wieder darüber, wie fit der Mann war. „Was ist?“, fragte Oberhofer ungeduldig, wodurch Heinz erst bemerkte, dass er erstarrt war, „steigen Sie ein.“

Heinz kannte den Direktor gut genug, um zu wissen, dass jede Diskussion überflüssig war. Dass er nun mitfahren musste, war nicht verhandelbar, außer er würde schon im Vorhinein auf den Auftrag verzichten, der nun wohl anstand. Und abgesehen davon, dass er sich als Profi eine solche Blöße nicht geben wollte, war er viel zu neugierig darauf. Also kletterte er über eine Strickleiter auf den Rand des Korbes und sprang hinein. Der Korb war innen durch drei in Ypsilon-Form angeordnete Wände aus Rattan in drei Bereiche unterteilt. In einem stand nun wieder Salcher, im zweiten Oberhofer und im dritten Heinz.

„Geben Sie Gas, Salcher“, befahl der Landesdirektor, kaum dass Heinz eingestiegen war. Der Ballonfahrer nickte hastig und begann zu hantieren. Er löste die Halteleine und ließ den Brenner laut und anhaltend aufpfauchen. Heinz wandte sein Gesicht ab, um es vor der Hitze zu schützen. Mit einem leichten Wackeln begann die Reise. Der Mann auf der Wiese, der vorhin die Plane eingerollt hatte, schloss nun ein paar große, metallene Koffer. Er war offenbar eine Hilfskraft, für Oberhofer unwichtig genug, um ihn und Heinz nicht miteinander bekannt zu machen.

Nach den ersten paar Höhenmetern stieg der Ballon immer schneller in den Kärntner Himmel. Heinz fuhr nicht zum ersten Mal in einem Heißluftballon, doch offensichtlich war er noch nicht oft genug gefahren, um sich an das leichte Schwanken des Korbes und an die knirschenden und schabenden Geräusche des Seilwerks am Korb und an der Hülle gewöhnt zu haben. Er fühlte sich unsicher, schutzlos – ausgeliefert.

Als Salcher die Hände vom Brenner nahm, kehrte schlagartig eine angenehme Ruhe ein. Die Bäume des Europaparks lagen unter ihnen und Heinz hatte freie Sicht auf den noch ruhig daliegenden Wörthersee im Westen und auf die Stadt Klagenfurt im Osten, die von der aufgehenden Sonne in ein atemberaubendes Licht getaucht wurde. Seine Unsicherheit schwand mit jedem Meter, den der Ballon nach oben stieg.

Es dauerte noch etliche Minuten, bis Oberhofer irgendwelche Gegenstände am Boden seines Korbdrittels zurechtgelegt hatte, dann klingelte sein Telefon und er begann ein Gespräch, das schier endlos anzudauern schien. Auch wenn Heinz sich fragte, wer um kurz nach sechs Uhr morgens anrief, hatte er nichts dagegen. So konnte er ungestört den Aufstieg des Ballons genießen, der die Aussicht in alle Himmelsrichtungen immer weitläufiger werden ließ. Die Luft war so klar, dass sich die Gipfel der Karawanken im Süden scharf vom azurblauen Himmel abhoben, als wäre das Gebirge eine riesige, unregelmäßig gezackte Säge.

Irgendwann, nach einer halben Stunde oder mehr, war das Telefonat des Direktors doch zu Ende und Oberhofer wandte sich Heinz zu: „Sablatnig, in medias res.“ Während er sprach, zog er seinen Trainingsanzug aus. „Vor dreizehn Jahren sind ein gewisser Guido Raunjak und ein gewisser Markus Meißler, beide Berufskriminelle, in die Villa Schilling in Krumpendorf eingedrungen. Dort haben sie den Inhaber, einen ausgesprochen wohlhabenden Fabrikanten namens Thomas Schilling, sowie dessen Gattin als Geiseln genommen. Die Geiselnehmer haben die Herausgabe eines bestimmten Gegenstands gefordert, andernfalls würden sie Frau Schilling foltern. Daraufhin hat ihnen Herr Schilling den geforderten Gegenstand übergeben. Raunjak und Meißler haben das Ehepaar gefesselt und sind mit der Beute geflohen. Dass die Polizei quasi sofort die Verfolgung hat aufnehmen können, war zwei glücklichen Umständen zu verdanken. Zum einen einer Nachbarin, der es verdächtig vorgekommen ist, dass zwei fremde Männer im Laufschritt die Villa Schilling verlassen, und die deshalb die Polizei alarmiert hat. Sie war geistesgegenwärtig genug, um sich den Fahrzeugtyp und das Kennzeichen des Fluchtautos zu notieren. Zum anderen war in unmittelbarer Nähe zufällig ein Streifenwagen unterwegs. Der hat keine zweihundert Meter vom Tatort entfernt Sichtkontakt zum Fluchtfahrzeug aufgenommen, sich auf die Fährte gesetzt und die nachkommende Verstärkung auf den richtigen Weg geführt. Nach einer Verfolgungsjagd über mehrere Kilometer hat die Polizei Raunjak und Meißler mithilfe einer Straßensperre stoppen können. Dort ist es dann zu einer Schießerei gekommen, bei der Raunjak einen Polizisten erschossen und einen weiteren schwer verletzt hat. Meißler hat einen Kopfschuss abbekommen, er hat zwar überlebt, ist aber bis zu seinem Tod vier Jahre später nicht mehr aus dem Koma erwacht. Raunjak hat man festgenommen und nach einem kurzen Gerichtsverfahren wegen schweren Raubes mit Todesfolge zu achtzehn Jahren Haft verurteilt. Sowohl die Polizei als auch das Gericht sind davon ausgegangen, dass der Raub eine Auftragsarbeit war, weshalb man Raunjak dazu bringen wollte, den Namen seiner Auftraggeber zu nennen. Doch der hat sich darüber genauso ausgeschwiegen wie über den Verbleib des geraubten Gegenstands.“

Als Oberhofer seinen Monolog beendet hatte, hockte er sich auf den Ballonboden und Heinz hörte das Geräusch eines Reißverschlusses, der aufgezogen wurde.

„Das heißt, er hat die Beute versteckt? Aber wie ist das möglich, wenn er gleich nach der Tat geschnappt worden ist?“ Auch wenn Heinz das hasste, so machte er dem Direktor doch die Freude, nach den Informationen zu fragen, die dieser offengelassen hatte, um die Spannung seiner Erzählung zu erhöhen.

Der Versicherungsmann richtete sich wieder auf und erklärte: „Nicht er hat die Beute versteckt, sondern seine Freundin, eine junge Frau namens Simone Bretgeber, Tochter eines wohlhabenden Hauses in Pörtschach. Sie hat vor der Villa Schilling gewartet und den geraubten Gegenstand von Raunjak und Meißler übernommen, bevor die beiden geflohen sind.“ Oberhofer stieg in die Hosenbeine eines rot-schwarzen Overalls. „Auch das hat die Nachbarin beobachtet und deshalb von Simone Bretgebers Wagen ebenfalls Typ und Kennzeichen an die Polizei weitergegeben.“ Er zog den Reißverschluss bis zur Hälfte nach oben, so dass das Hosenteil des Overalls auf seinen Hüften saß, das Oberteil aber hinten hinunter hing. Dann setzte er eine Sonnenbrille auf und gewährte sich zum ersten Mal einen Rundumblick, der aber eher den Charakter des Sondierens, als den des Genießens hatte. „Salcher, wie hoch sind wir?“

Der Angesprochene kam hektisch in Bewegung und meldete schließlich: „Fünfhundert Meter, Herr Direktor.“

Oberhofer nickte und fuhr, an Heinz gerichtet, fort: „Die Polizei hat eine Durchsuchung des Elternhauses der Bretgeber veranlasst; damals ein Skandal, denn die Familie war sehr angesehen.“

Heinz erinnerte sich daran. Als gebürtiger Pörtschacher kannte er die Bretgebers seit seiner Geburt; er erinnerte sich auch an den tragischen Krebstod von Herrn Bretgeber. Simone war damals sieben Jahre alt gewesen und ihre Mutter, eine zart besaitete, überaus sensible Person, war daran zerbrochen. Bis heute lebte sie zurückgezogen und vereinsamt in der Familienvilla in Alt-Pörtschach, die seither immer mehr verfiel.

„Um es kurz zu machen, der geraubte Gegenstand ist nie gefunden worden und Simone hat bis zu ihrem Tod abgestritten, auch nur irgendetwas mit dem Raub zu tun gehabt zu haben.“

„Sie ist tot?“

Für seinen spontanen Einwurf erntete Heinz einen überraschten Blick des Direktors. Er fragte: „Sie haben die Frau gekannt?“, um sich gleich darauf selbst die Antwort zu geben: „Ja, stimmt, Sie sind ja ein Pörtschacher.“ Es klang abfällig, wie er das sagte, aber bei Oberhofer klang alles abfällig, das irgendwie ins Persönliche ging. „Die Indizienlage war erdrückend, deshalb hat man sie wegen Beihilfe zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. Bei der Haftantrittsuntersuchung in der Justizanstalt Klagenfurt ist bei ihr Lungenkrebs diagnostiziert worden, in sehr fortgeschrittenem Stadium. Ein paar Wochen später war sie tot.“

Heinz wusste nicht warum, doch diese Information traf ihn hart. Er hatte mit Simone nie etwas zu tun gehabt. Vielleicht hatte er sie ein- oder zweimal mit ihrer Mutter gesehen, als sie noch ein Kind gewesen war. Doch als gebürtiger Pörtschacher fühlte man sich allen anderen alteingesessenen Pörtschachern familiär verbunden, und dass er erst jetzt, mehr als ein Jahrzehnt danach, von Simones Tod erfuhr, zeigte ihm, wie fern er seiner Heimatgemeinde geworden war – auch wenn er gerade einmal fünfzehn Kilometer entfernt wohnte und regelmäßig seine Eltern besuchte.

„Und sie hat niemandem verraten, wo sie … den Gegenstand versteckt hat? Hat sie nichts hinterlassen?“

„Wie gesagt, sie hat bis zum Schluss abgestritten, von dem Raubüberfall auch nur gewusst zu haben“, erwiderte der Landesdirektor. Gedankenverloren sah Heinz nach unten und wunderte sich mit einem Mal, dass er mitten über dem Wörthersee schwebte. Er hatte den Wind nicht gespürt, der den Ballon offenbar hierher getrieben hatte. „Na gut, weiter“, fuhr Oberhofer fort, „der geraubte Gegenstand war bei der Fiducia für fünfhundertneunzigtausend Euro versichert, eine Summe, die auch zur Auszahlung gekommen ist.“ Heinz pfiff durch die Zähne. Der Versicherungsmann hingegen richtete den Blick in die Ferne, atmete tief durch und hielt inne. Es schien, als müsse er über diesen Verlust hinwegkommen, wann immer er an ihn dachte. „Vor ein paar Monaten“, sprach er schließlich langsam weiter, „ist Herr Thomas Schilling junior – er besteht darauf, ‚Tom‘ genannt zu werden – an mich herangetreten und hat mir einen interessanten Vorschlag unterbreitet. Er hat gesagt, er sei bereit, der Fiducia die komplette Summe zurückzuzahlen, wenn es uns gelingt, den verschollenen Gegenstand aufzuspüren und ihm zu übergeben.“ Oberhofer schlüpfte in die Ärmel des Overalls, ließ den Reißverschluss aber noch offen.

Heinz nickte. „Verstehe. Ich soll Ihnen den Gegenstand beschaffen.“ Ihm war bewusst, dass Oberhofer bisher mit Absicht verschwiegen hatte, worum es sich bei dem „Gegenstand“ handelte, damit Heinz danach fragte, doch vorerst wollte er ihm diesen Gefallen noch nicht tun. „Ich nehme an, es gibt neue Hinweise?“

„Keine neuen Hinweise, Sablatnig.“

„Warum kommt der Auftrag dann zu diesem Zeitpunkt?“

„Punkt eins, weil Tom Schilling vor einem halben Jahr die Geschäfte seines Vaters übernommen und dadurch jetzt das alleinige Sagen im Familienunternehmen hat. Und Punkt zwei, weil Guido Raunjak heute wegen guter Führung vorzeitig aus der Haft entlassen wird.“ Der Direktor bückte sich.

„Was?“ Heinz spürte, wie sich Empörung und Wut in ihm mischten. „Warum sagen Sie mir das nicht früher? Wenn ich ein paar Wochen Zeit gehabt hätte, mich in den Fall einzuarbeiten …“

„Hätten Sie mir haufenweise Stunden und Spesen verrechnen können, ich weiß“, schnitt Oberhofer ihm das Wort ab.

Heinz biss sich auf die Zunge. Es gab Muster zwischen ihm und Oberhofer, die jedes Mal gleich abliefen, gerade so, als wären es unbewusste Rituale. Heinz’ Wunsch nach mehr Einarbeitungszeit und Oberhofers Abneigung gegen eine, seiner Meinung nach zu hohe, Honorarforderung zählten dazu. Aber deswegen jetzt einen Streit anzufangen hatte keinen Sinn, der Zug war ja schon abgefahren.

Der Landesdirektor hatte sich wieder aufgerichtet und schnallte nun ein rucksackähnliches Stoffpaket auf seinen Rücken, in dem Heinz einen Fallschirm erkannte. Wollte Oberhofer etwa aus dieser geringen Höhe abspringen?

„Raunjak wird heute im Laufe des Vormittags aus der Justizanstalt Stein in Krems an der Donau entlassen“, fuhr Oberhofer fort. „Die Polizei geht davon aus, dass er die Beute aus ihrem Versteck holen wird.“

„Das heißt, er weiß, wo die Beute steckt?“

„Vielleicht – wahrscheinlich aber nicht. Die Polizei glaubt, dass Simone Bretgeber ihm einen Hinweis hinterlassen hat, wo der Gegenstand zu finden ist. Sie brauchen sich also nur an Raunjaks Fersen zu heften und im entscheidenden Moment schneller zu sein als er.“

Heinz hörte sich selbst hysterisch auflachen.

Nur an seine Fersen heften … schneller sein als er!

Der Versicherungsmann war noch nicht fertig: „Die Angelegenheit soll Ihr Schaden nicht sein, Sablatnig. Zunächst einmal arbeiten Sie zu den zwischen uns üblichen Konditionen. Darüber hinaus sollen Sie wissen, dass die Fiducia damals eine Belohnung für sachdienliche Hinweise ausgesetzt hat, die zum Auffinden der Beute führen, eine Belohnung, die bis heute noch niemand abgeholt hat und die sich auf ein Prozent des Versicherungswerts beläuft. Können Sie kopfrechnen, Sablatnig? Das sind fünftausendneunhundert Euro. Fünftausendneunhundert Euro, die ich Ihnen im Erfolgsfall als Bonus drauflege. Ist das nichts, Sablatnig?“

Heinz schluckte. „Was … aber Krems … ich meine, bis ich dort bin, ist Raunjak doch längst über alle Berge.“

„Jeder Häftling muss bei seiner Entlassung einen Wohnsitz bekannt geben, an dem er in der Zeit danach gemeldet sein wird. Ich schlage vor, Sie passen ihn dort ab.“

„Wo ist dieser Wohnsitz?“

„Soll ich jetzt auch noch Ihre Arbeit machen?“, fuhr der Direktor hoch und unterstrich seine Worte mit einem energischen Hochziehen des Reißverschlusses. „Ihre Schwester – wie heißt sie? Oleschko? – die arbeitet doch für die Polizei; fragen Sie die. Salcher, wie hoch?“

„Über siebenhundert, Herr Direktor.“

„Legen Sie ein Scheiterl nach, ich habe nicht den ganzen Tag Zeit.“

Heinz hörte und spürte das nach oben lodernde Feuer und blickte zurück auf seine Heimatstadt Klagenfurt, vor deren Kulisse nun zahlreiche Heißluftballons in unterschiedlichsten Farben wie riesige umgedrehte Tropfen in den Himmel stiegen – doch er bekam nichts davon wirklich mit. Der Auftrag beeindruckte ihn. Nicht nur, dass es dabei um die Schicksale von Personen ging, die ihm zum Teil persönlich bekannt waren, und darum, ein Kapitel zu beenden, das vor dreizehn Jahren begonnen worden war, nein, es stand noch dazu ein enormes Honorar in Aussicht.

„Ich kriege den Auftrag noch schriftlich, nehme ich an?“, fragte er der Form halber.

„Frau Wildhaber wird sich darum kümmern.“

Heinz nickte. Herrn Oberhofers Sekretärin hatte zwar einen ähnlichen Charakter wie ihr Chef, dafür war sie aber auch genauso zuverlässig wie dieser.

Der Landesdirektor setzte sich eine rot-schwarze Lederkappe auf und überprüfte alle Verschlüsse seines Fallschirms.

„Eine Frage habe ich noch“, meinte Heinz. „Um welchen Gegenstand geht es?“

Oberhofer sah ihn mit unbewegtem Gesicht an, als hätte er ihm das schon hundertmal gesagt. Dann antwortete er: „Um eine Kiste Zigarren.“

„Um eine Kiste Zigarren?“

„Ja. Und?“

„Was sind das für Zigarren? Zigarren aus Gold?“

„Die Details wird Ihnen Tom Schilling erläutern. Ich habe ihm schon angekündigt, dass Sie sich mit ihm treffen werden. Frau Wildhaber wird sich auch darum kümmern. Salcher, wie hoch?“

„Knapp siebenhundertsechzig, Herr Direktor.“

„Das genügt mir. Waidmannsheil, Sablatnig.“

Oberhofer stemmte sich mit beiden Armen am Korbrand hoch und ließ sich vornüber ins ­Bodenlose kippen. Heinz beugte sich über den Rand, um ihm nachzusehen. Direkt unter dem Ballon öffnete sich der Schirm und Oberhofer segelte in einer langgezogenen Kurve über den Wörthersee davon.

Kapitel 2

Freitag, 10.30 Uhr

Heinz blieb vor dem Haupteingang des Sicherheitszentrums in Klagenfurt stehen und schüttelte sich; er wollte seinen Ärger loswerden, bevor er sich mit seiner Schwester Sabine traf. Die Ballonfahrt hatte fast vier Stunden gedauert, eine Zeit, die nach Direktor Oberhofers Absprung sinnlos vergeudet war, da Heinz nichts weiter tun konnte, als in die Gegend zu schauen. Nicht einmal telefonieren konnte er, da er dort oben keinen Handyempfang hatte. Schlimmer noch, er musste sich während der gesamten Zeit das geistlose Geplapper des Ballonfahrers Salcher anhören, der, kaum dass Oberhofer weg war, seine Stimme entdeckt zu haben schien und dann offenbar nicht mehr damit aufhören wollte, sie zu benutzen.

Nach der Landung auf einer Wiese nahe Velden ging Heinz zu Fuß zum Bahnhof und fuhr von dort mit dem City-Shuttle der Bahn zurück nach Klagenfurt. Er kündigte Sabine sein Kommen an, die sich, entgegen seiner Befürchtung, erfreut darüber zeigte, dass er sich mit seinem neuen Fall an sie wandte; auch sie sei mit dem Fall Raunjak betraut.

Heinz atmete noch einmal tief durch, dann betrat er das Sicherheitszentrum und ging zu dem Büro, das seine Schwester sich mit zwei Kollegen teilte, klopfte an und trat ein. Die Geschwister begrüßten einander und Sabine bot ihrem Bruder einen freien Bürostuhl an, den sie neben ihren eigenen an den Schreibtisch rollte. Chefinspektorin Sabine Oleschko war vierundvierzig Jahre alt, wirkte jedoch um einiges jünger, was daran lag, dass ihr Körper berufsbedingt gut trainiert und ihre Bewegungen daher geschmeidig waren. Ihr Beruf brachte auch ein taffes Auftreten mit sich, das der Polizistin, trotz ihrer geringen Körpergröße von einem Meter zweiundsechzig, zu einer eindrucksvollen Erscheinung verhalf. Wie meistens trug sie auch heute Bluejeans, ein eng anliegendes schwarzes T-Shirt und Cowboystiefel, bei denen Heinz sich fragte, wie Sabine es darin bei der vorherrschenden Hitze aushalten konnte.

„Wie ich dir schon am Telefon erzählt habe“, begann sie, „bin auch ich mit dem Fall ‚Raunjak und die verschwundenen Zigarren‘ betraut. Ich war bei den Ermittlungen damals zwar nicht dabei, aber ich habe mich gründlich in den Akt eingelesen und mit ein paar Ermittlern von damals gesprochen.“

Sie blätterte einen Aktendeckel auf und zeigte auf ein Haftfoto von Guido Raunjak. Heinz musterte dessen bulliges, aber dennoch scharfkantiges Gesicht und meinte: „Sieht bedrohlich aus.“

Das Telefon von Sabines Tischnachbarn schrillte, dieser hob ab und begann laut zu sprechen, was es Heinz erschwerte, sich auf Sabine zu konzentrieren.

„Ich glaube“, sprach sie weiter, „dass wir uns diesmal in unserer Arbeit gut ergänzen können, vorausgesetzt, du hältst dich an die Regeln.“

Heinz setzte ein schiefes Lächeln auf. „An deine Regeln, meinst du?“

„Ich meine die Gesetze der Bundesrepublik Österreich.“ Sie blickte genervt zu ihrem Kollegen, der jedoch zu sehr in sein Telefonat vertieft war, um das zu bemerken. „Komm, ich lade dich auf einen Kaffee ein, vielleicht ist es im Aufenthaltsraum ruhiger.“ Heinz folgte ihr ein paar Türen weiter. Zwar saßen auch im Aufenthaltsraum zwei von Sabines Kollegen, doch diese unterhielten sich in normaler Zimmerlautstärke. „Der Fall ist ja nie zur Gänze geklärt worden“, fuhr sie fort, während sie eine Chipkarte in die Kaffeemaschine steckte und zwei Becher volllaufen ließ. „Castros Zigarren sind nach wie vor verschwunden und wir wissen noch immer nicht, wer der Auftraggeber des Raubes war.“

„Was, Castros Zigarren?“

Heinz’ Frage provozierte eine überraschte Reaktion seiner Schwester. „Davon weißt du gar nichts?“

„Dass die Beute aus einer Kiste Zigarren besteht, habe ich gewusst“, gab er zurück, „aber mehr nicht.“

„Die Zigarren sind Sammlerstücke. Sie stammen direkt aus der Residenz des kubanischen Revolutionsführers Fidel Castro in Havanna. Im Polizeibericht steht, dass sie ursprünglich sogar speziell für ihn angefertigt worden sind. Thomas Schilling senior hat sie erst wenige Monate vor dem Raub bei einer Versteigerung in London erstanden. Für die sagenhafte Summe von fünfhundertneunzigtausend Euro.“

Heinz begann zu verstehen. „Das entspricht der Versicherungssumme. Aber warum seid ihr euch so sicher, dass der Raub eine Auftragsarbeit war?“

„Weil er zu speziell war. Raunjak und Meißler sind nicht in die Villa Schilling gestürmt und haben geschrien: ‚Geld her!‘ Sie haben genau diese Zigarren verlangt, und zwar nur diese Zigarren. So etwas macht kein Gewohnheitsdieb.“

„Raunjak war ein Gewohnheitsdieb?“

„Berufskrimineller trifft es besser. Allerdings hat er sich bis zu diesem Überfall auf Kleinkriminalität beschränkt; Diebstähle, Einbrüche, Betrügereien – dabei ist er recht geschickt vorgegangen. Meine Kollegen haben erzählt, sie hätten in mehreren Fällen deutliche Hinweise auf seine Täterschaft oder Mittäterschaft gehabt, ihm aber nie etwas Konkretes nachweisen können. Allerdings hat Raunjak bis zu dem Raub kein Gewaltverbrechen begangen, vermutlich hat er deshalb bei seinem Prozess nur achtzehn Jahre ausgefasst und nicht lebenslänglich.“

„Aber er hat doch in voller Absicht auf die Polizisten geschossen, oder nicht?“

„In der Hitze des Gefechts, ja. – Wenn du Genaueres über sein Strafmaß wissen willst, musst du einen Juristen fragen, aber jetzt zurück zum Thema: Dass der Raub eine Auftragsarbeit war, ist immer außer Zweifel gestanden. Aber niemand, weder die Ermittler der Exekutive noch die der Justiz, hat je auch nur eine Ahnung gehabt, wer der Drahtzieher sein könnte. Deshalb hat die Fiducia auch eine Belohnung für sachdienliche Hinweise ausgesetzt, die zur Ergreifung des Drahtziehers führen; immerhin fünftausendneunhundert Euro.“

Heinz unterdrückte ein spontanes Auflachen. Stattdessen fragte er: „Weißt du, ob dieses Angebot noch gilt?“

Sabine zuckte mit den Achseln. „Ich wüsste nicht, warum die Fiducia die Belohnung zurückziehen hätte sollen. Seit dem Überfall und dem Prozess hat sich ja nichts geändert.“

Heinz schüttelte den Kopf und meinte knapp: „Schöne Summe.“ Dass die Fiducia demjenigen, der sie zum Auftraggeber führte, ein weiteres Prozent des Versicherungswerts bezahlen würde, hatte der Landesdirektor ihm gegenüber verschwiegen.

Oberhofer, du Geizkragen!

„Eine Summe, die in den kommenden Tagen möglicherweise ihren Besitzer wechseln wird“, fuhr Sabine indes fort.

„Wie meinst du das?“

„Raunjak hat nicht dreizehn Jahre lang geschwiegen, um nach seiner Haftentlassung ein braves Leben zu führen. Der will seine Beute finden, sie seinem Auftraggeber von damals bringen und das versprochene Geld kassieren. Mit Zins und Zinseszins für die im Gefängnis verbüßten Jahre, nehme ich einmal an.“

Heinz trank aus seinem Kaffeebecher und überlegte. Dann meinte er: „Wenn ich das richtig verstehe, haben wir beide denselben Auftrag, nur eben von unterschiedlichen Auftraggebern.“

Seine Schwester lächelte verhalten. „Ja, wenn du es so siehst.“

„Dann kann es dir im Grunde ja egal sein, wenn ich die Zigarren finde, oder?“

„Nicht, wenn du sie einem Mittelsmann übergibst, der dafür Geld vom rechtmäßigen Eigentümer verlangt.“

„Der Eigentümer ist der Auftraggeber meines Auftraggebers.“

„Es ist eine seltsame Konstellation, ich weiß. Aber wenn die Polizei die Zigarren findet, übergibt sie sie dem rechtmäßigen Eigentümer gratis.“

Einmal mehr lächelte Heinz schief. „Das heißt, es wird ein Wettrennen? Ist das nicht ein bisserle kontra­produktiv?“

Sabine seufzte und legte das Gesicht in ihre Hände. Nach ein paar Sekunden sah sie wieder auf und meinte: „Gehen wir die Sache einmal gemeinsam an und warten ab, wie sie sich entwickelt. Wer weiß, ob es die Zigarren überhaupt noch gibt? Vielleicht hat Simone Bretgeber sie damals ja verbuddelt und sie sind mittlerweile verrottet? Oder sie hat sie einem alten Onkel anvertraut, der sie inzwischen weggeraucht hat, weil er an Alzheimer leidet?“

Heinz schenkte seiner Schwester einen misstrauischen Blick. „Was meinst du mit: ‚Wir gehen die Sache gemeinsam an?‘“

„Dass du mir deine Informationen gibst und ich dir meine.“

Sein Blick milderte sich ins Skeptische ab. „Echt jetzt?“

„Natürlich.“ Ihre Stimme klang, als hätten sie das immer schon so gemacht.

„Na gut, dann … dann gib mir gleich einmal Raunjaks Wohnadresse. Ich meine seine Entlassungsadresse, die, an der er ab heute wohnt.“

„Gebe ich dir dann in meinem Büro, auswendig weiß ich sie nicht. Ich weiß nur, dass er bei einem ehemaligen Kumpan unterkommt. Ich lasse das Wohnhaus schon von einer zivilen Einheit überwachen.“

„Was, Raunjak ist hier in Klagenfurt?“

„Noch nicht, aber sobald er auftaucht, kriege ich Bescheid.“ Heinz schenkte Sabine so lange einen treuen Hundeblick, bis sie erklärte: „Ja, und dann gebe ich die Information gleich an dich weiter. Aber du musst mir eines versprechen: Sei vorsichtig. Raunjak mag eine gewaltlose Vergangenheit haben, aber die ist seit dem Überfall vorbei. Er hat zwei Geiseln genommen, einen Polizeibeamten getötet, einen weiteren schwer verletzt und ist danach dreizehn Jahre lang in Stein eingesessen. Wer sich jetzt zwischen ihn und seine Beute stellt, mit dem macht er kurzen Prozess, soviel ist sicher.“

„Keine Sorge, ich pass schon auf mich auf. Wie sieht es mit der Faktenlage bei Simone Bretgeber aus?“

Sabine sah ihren Bruder an, offensichtlich daran zweifelnd, dass er ihrer Warnung den nötigen Ernst entgegenbrachte. Dann seufzte sie und antwortete: „Die arme Simone. An ihrem Beispiel siehst du, wohin ein falscher Umgang führen kann. Sie war damals Raunjaks Freundin, was sie auch zugegeben hat. Aber sie hat bis zuletzt abgestritten, bei dem Raubüberfall mit ihm und Meißler gemeinsame Sache gemacht zu haben.“

„Und wenn Sie die Wahrheit gesagt hat?“

„Hat sie nicht, glaub mir. Sie ist von einer Augenzeugin eindeutig identifiziert worden. Außerdem passt sie so perfekt in das Gesamtbild – die würde ein Loch in der Größe eines Drittels hinterlassen, wenn man sie daraus entfernen würde.“

„Was ist mit ihrer Mutter? Kann die wissen, wo Simone die Beute versteckt hat?“

„Fehlanzeige. Du kannst dich ja noch daran erinnern, als ihr Mann gestorben ist? Seither lebt sie völlig zurückgezogen und, man könnte fast sagen, hilflos, in ihrer Villa. Seit Simone inhaftiert worden ist noch dazu allein. Sie ist damals mehrere Male ausführlich befragt worden, hat aber zu den Ermittlungen nichts beitragen können. Wenn ich die Protokolle lese, sehe ich sie richtig vor mir, aufgelöst und hysterisch. Sie hat gebetsmühlenartig erzählt, wie talentiert und lebendig ihre Simone doch gewesen ist und wie sehr sie den Tag verflucht, an dem Raunjak in ihr Leben getreten ist. Simone ist ihm demnach völlig verfallen gewesen und hat sich in dem Punkt von niemandem etwas dreinreden lassen, nicht einmal von ihr, der eigenen Mutter. Aber an dem Verbrechen, da hätte sie nicht teilgenommen, ihre Simone doch nicht.“

„Ich verstehe schon, was du meinst. Die einsame und jetzt auch noch gedemütigte Mutter krallt sich verzweifelt am Wunschbild einer unschuldigen Tochter fest.“

„So ungefähr.“

„Hat Frau Bretschneider eigentlich noch Verwandte? Wenn ich mich recht erinnere, hat es damals, als ihr Mann gestorben ist, geheißen, Simone sei jetzt ihre ganze Familie.“

„Das stimmt leider. Seit Simones Tod hat sich die alte Bretschneider noch weiter abgekapselt. Ein tragisches Schicksal.“

„Hat Simone ihrer Mutter irgendetwas hinterlassen?“

„Ich weiß, worauf du hinauswillst.“ Sabine grinste. „Du willst wissen, ob es einen Hinweis auf das Versteck des Schatzes gibt.“ Heinz lächelte scheinbar unschuldig und hob die Schultern. Seine Schwester fuhr fort: „Tatsächlich ist Frau Bretschneider genau deswegen noch einmal befragt worden, als Simone gestorben ist. Sie hat ausgesagt, ihre Tochter hätte sie am Sterbebett gebeten, sie solle eine bestimmte Statuette auf ihr Grab stellen.“

„Hä? Eine Statuette?“

„Ja, eine kleine Skulptur, die Simone offenbar im Gefängnis modelliert hat. Sie hat sie … warte einmal, ich glaube … ‚Dein Engel, Mama‘ genannt, oder so ähnlich.“

„Eine schöne Geste. Oder eine Spur?“

„Wenn es eine ist, dann versteht sie nur jemand, der mehr weiß, als durch bloße Beobachtung erkennbar ist.“

„Vielleicht Raunjak?“

„Ja, vielleicht, wir werden sehen.“

„Sonst hat Simone nichts hinterlassen?“

„Du meinst, abgesehen von den Dingen, die sie schon vor dem Überfall besessen hat? Nur noch ein goldenes Medaillon – klein, flach, oval – das sie von ihrer Großtante XY, Gott hab sie selig, zu ihrer Geburt bekommen und ihr Leben lang um den Hals getragen hat. Aber dieses Medaillon hat Frau Bretschneider Simone ins Grab mitgegeben, damit es sie auch im nächsten Leben begleiten kann, sozusagen.“

„Ein Medaillon“, meinte Heinz tonlos.

Sabine lachte wieder. „Versuch gar nicht erst, geheimnisvoll zu wirken, ich kenne dich viel zu gut. Nein, auch das Medaillon hat keinen erkennbaren Hinweis enthalten, auch das ist überprüft worden. Auf den Außenseiten waren ein Zierrat und Simones Initialen eingraviert, auf den Innenseiten ein Foto von ihrem verstorbenen Vater und eines von Raunjak eingesetzt. Steht alles im Untersuchungsbericht.“

„Bleibt als Ansatzpunkt also nur die Statuette, die Simone im Gefängnis angefertigt hat. Ich glaube, ich werde dort mit meinen Recherchen beginnen, vielleicht gibt es Justizwachebeamte, die damals mit ihr zu tun gehabt haben und denen etwas aufgefallen ist?“

Sabine zuckte mit den Schultern. „Kaum anzunehmen, denn das hätten die wohl gemeldet, aber mach nur. Wenn du willst, lege ich dir eine Schiene zu Brigadier Peter Bevc, dem Anstaltsleiter.“

„Zum Gefängnisdirektor? Cool!“