Cover

Dinesh Bauer

Die schwarze Jagd

Ein Bayern-Krimi

„Was ist der Unterschied zwischen Adler und Hirsch? Der Adler hat am Dienstag Ruhetag!“ (Schorsch Wammetsberger)

„Wir wissen erst, was wir suchen, wenn wir es finden.“ (Korbinian Eyrainer)

„Dieser Krimi ist eine Liebeserklärung an die bairische Sprache.“

(Dinesh Bauer)

Die handelnden Personen

GEORG „SCHORSCH“ WAMMETSBERGER, Polizeihauptmeister, Dorfsheriff von Bad Brennbruck

ELFRIEDE „ELFI“ WAMMETSBERGER, seine Gemahlin

IGNAZ IRGL, Polizeihauptmeister, Wammetsbergers engster Spezl

FRANZ XAVER „XARRE“ GSCHWANDTNER, Polizeiobermeister, Wammetsbergers „Hilfssheriff“

LEO „CHE“ WILDBICHLER, Wilderer-Spross und Anführer einer Truppe Gamsbart-Guerilleros

RUDI RAUSCHMAIER, Security-Spezialist, in zwielichtige Geschäfte verstrickt

KORBINIAN EYRAINER, Hauptkommissar der Kripo Grenzberg

LEONHARD „HARTL“ HARTHOFER, Kriminalobermeister, Eyrainers Sorgenkind

REGINE „STÖCKI“ STÖCKEL, Teamassistentin bei der Kripo Grenzberg

ALBERT „BERTL“ LEHNLEITNER, Kommissar, ­Eyrainers Stellvertreter

SABINE PRÖLL, Majorin im österreichischen Amt für Terrorabwehr

ORTFRIED ORTERER, Leiter der Spurensicherung, der Gnom ist der Größte

NORBERT SCHREIBER, Polizeipräsident in Grenzberg, will Karriere machen

BRANKO LUCIC, kroatischer Spezialermittler, bekämpft das internationale Verbrechen

ANIAN GRUBER, Chef-Reporter beim Regionalsender, Eyrainers Schulfreund wittert eine Story

ANDREAS FORCHER, Tiroler Polizist, stirbt eines unerwarteten Todes

OSWALD „OSSI“ STUFLESSER, Forchers Cousin, zwielichtiger Waffen- und Menschenhändler

TONI PLETSCHACHER & SIEGFRIED UNFRIED, zwei Trucker, die verwechselt werden

FÖRSTER FRANZL, ein Förster sieht rot

BRUNO, ein junger Bär auf Abwegen

Bärlauch-Baguette

Bruno suchte nach einer neuen Heimat. Deswegen war er heimlich ins Bayernland eingewandert. Er hatte die grüne Grenze illegal überquert – gültige Papiere besaß er keine, weder Pass noch Visum. Wie auch? Hatte er sich doch bei Nacht und Nebel auf den Weg ins Ungewisse gemacht. Bruno träumte von einem gelobten Land, in dem Milch und Honig flossen. Ein Land, in dem er ein eigenes Revier und – früher oder später – ein treusorgendes Weibchen fand. Bruno war noch jung, ja er ging gerade noch so als Teenager durch. Mit seinen fünf Lenzen war er voll unbändigem Tatendrang. Er hätte Mammutbäume ausreißen mögen. Nicht im Traum hätte Bruno daran gedacht, irgendwo Asyl zu beantragen und sich ans Gängelband nehmen zu lassen. Er liebte seine Freiheit, die Berge und Wälder über alles. Und er pfiff auf hehre Ideale, Ideologien und Religionen. Solch windige Gestalten wie Mohammed, Moses oder Jesus wären ihm suspekt gewesen, wenn er denn von ihnen jemals ein Sterbenswörtchen gehört hätte. Und Gott? Nun, keiner seiner Artgenossen hatte den Leibhaftigen bislang gesehen, insofern konnte er Bruno auch am dick bepelzten Arsch vorbeigehen. Bruno lebte im Diesseits, lebte hier und jetzt. Und hier und jetzt hatte er ein Problem: Er hatte einen Bärenhunger und schob einen tierischen Kohldampf. Obendrein brauste ein schneidend kalter Wind von den schneebedeckten Bergen herab. Die Kälte an sich ließ ihn in seinem warmen Winterfell kalt. Doch ein hungriger Bär war gereizt, übellaunig und verfroren. Morgens hatte er auf ein opulentes Frühstück verzichten müssen. Das war nicht gut! So hatte er sich grummelnd und mit leerem Bauch auf den Weg gemacht. Seine Laune war dementsprechend nicht die beste. Die dicke Bärenzunge klebte am Gaumen. Und im Magen rumorte es heftig. Bruno war ausgehungert wie ein einsamer Wolf auf erfolglosem Raubzug. Zugegeben, der Vergleich hinkte. Ein Braunbär wie er war ein ganz anderes Kaliber als dieses graufellige Gesindel, diese räudigen Heulsusen, die sich nur im Rudel auf die Beute stürzten. Doch die Wölfe waren nicht sein Problem. Bruno entdeckte trotz intensiven Geschnüffels kaum Fährten, keine stark frequentierten Wildwechsel. Das Angebot an Wildbret in dieser Gegend war dürftig, abgesehen von ein paar mickrigen Rehen und Gämsen schien es wenig Auswahl zu geben. Bruno machte sich ernsthafte Sorgen über seine Zukunft. Und das tat er selten.

Er trottete über einen kahlen, windzerzausten Bergkamm und wälzte sich mit gehöriger Wut im Bauch durchs Dickicht. Im Tal unter ihm erstreckte sich ein weitläufiges Waldgebiet. Da sollten die Tische doch reicher gedeckt sein, dachte sich Bruno. Mit einem Satz hüpfte er über einen munter sprudelnden Bergbach und folgte dessen von Felsblöcken gesäumten Lauf talwärts. Bruno war kein Luchs und sah nicht besonders gut, seine anderen Sinne waren dafür umso schärfer. Just in diesem Moment stieg ihm der unverwechselbare Duft lebenden Lamms zu Kopf. Sein klobiges Riechorgan hatte Witterung aufgenommen. Auf sein feines Näschen war Verlass – und sein Geruchssinn führte ihn auch diesmal unfehlbar ans Ziel. Die Schafkoppel war eingezäunt, die friedlich grasenden Mähmaschinen wurden ihm auf dem Silbertablett präsentiert. Bruno hatte schon gehört, dass die Bauern ihre Schafe, Ziegen und Kälber einpferchten. Ein netter Zug der Zweibeiner, dachte Bruno. So machte man es einem Bären leicht. Ja, im Vergleich zur Jagd in freier Wildbahn waren dies hier paradiesische Zustände. Doch Mama Petz hatte ihren Buben inständig gewarnt, die ungelenken Wesen auf zwei Beinen zu unterschätzen! Mama wusste um ihre Macht, ihre Donnerstöcke spuckten Feuer und Rauch und fällten im Nullkommanix den tapfersten Bären! Ja, die Zweibeiner brachten den Tod. Folglich war Bruno auf der Hut. Er hielt seine Nase in den Wind – doch es lagen keine Partikel menschlichen Odeurs in der Luft. Bruno zögerte nicht länger. Mit vollem Körpereinsatz durchbrach er die Umzäunung und hätte sich dabei beinah in dem dünnen, elektrisch geladenen Draht verheddert. Ein Stromschlag durchzuckte ihn, sodass er wie ein unter Arthritis leidender Tanzbär hüftsteif herumhüpfte. Hätte seine Ma ihn „in Aktion“ erlebt, hätte sie ihn gewiss einen „depperten Tollpatsch“ gescholten. Doch seine Ma war weit, und die fetten Schäflein nun ganz nah. Als die Wollknäuel den scharfen Raubtiergeruch Brunos wahrnahmen, geriet die Herde in wilde Panik. Mit markerschütternden „Mäh“-Rufen scharten sich die Lämmchen und Jungschafe um das vollwollige Chefschaf. Dann suchten die ersten Schäflein ihr Heil in der Flucht! Nun, das war ihr gutes Recht, dachte Bruno. Doch sie würden ihrem Schicksal nicht entrinnen. In ihm waren die uralten Instinkte des Jägers erwacht – und er ließ der Beute keine Chance. Er trieb die hysterisch blökende Herde vor sich her und pickte sich ein besonders gut im Futter liegendes Mutterschaf heraus. Ein Bär mit knurrendem Magen kannte weder Gnade noch Barmherzigkeit. Er hieb die scharfen Krallen seiner Monstertatze ins Fleisch seiner Beute und zerriss das Tier vor lauter Heißhunger förmlich. Binnen Sekunden hatte es sich ausgemäht – und kurz darauf war nur noch ein Gerippe aus Knochen und Sehnen übrig, an dem ein paar flauschige Wollfetzen hingen. Die Tischmanieren eines heranwachsenden, hungrigen Karnivoren waren zweifellos nicht die feinsten. Doch Bruno war durchaus ein kleiner Gourmet: Die Innereien des Schafs waren für einen Bären ein lukullischer Leckerbissen sondergleichen. Deswegen sparte er sich Leber, Lüngerl und Nierchen bis zum Schluss auf.

Nach dem köstlichen Schafschmaus tat Bruno das, was alle Bären nach einem solchen Festmahl taten. Er suchte sich ein lauschiges Plätzchen im Grünen. Vom Himmel blinzelte die Mittagssonne und brannte wohlig warm auf seinen Pelz. Kaum hatte er die moosige Mulde zwischen hohen Tannen erspäht, lag er auch schon darin und schlief so tief und fest, wie nur ein vollgefressener Bär schlafen konnte. Bruno träumte von Luzi, seiner Mama, und seinem Schwesterchen Bruni. Wo sie jetzt wohl gerade herumtollten? Oder lagen sie faul auf ihrer Bärenhaut? Plünderten sie einen Bienenstock? Schleckten sie sich alle fünf Krallen nach Blütenhonig ab? Oder gab es wieder mal Ärger mit Lumpetz, dem brummigen Gesellen, der sein Erzeuger war? Bruno war etwas weh in der Brust. Doch Heimweh? Nein! Ein Bär war ein geborener Einzelgänger, dem das Wandern im Blut lag. Jungspunde wie er gingen auf die Walz, um ferne Gegenden zu erkunden und in neue Reviere vorzustoßen. Und Bruno alias MJ 12 war auf seiner Wanderschaft schon weit herumgekommen. Eine Genanalyse hätte gezeigt, dass er einem altehrwürdigen Braunbärengeschlecht entstammte. Seine Vorfahren waren vor drei oder vier Generationen nordwärts nach Kärnten und weiter in die Tauern gezogen. Nun trieb sich der Djuro-Clan, denn Djuro, dieser umtriebige Grenzgänger mit Balkanblut war ihrer aller Stammvater, schon seit geraumer Zeit in den Bergregionen im Herzen der Ostalpen herum. Vor vier Sommern hatte schließlich Bruno das Licht der Berge erblickt. Er war zu einem stattlichen Jungbären herangewachsen, der, wenn er sich zu seiner vollen Größe aufrichtete, ein Meter sechzig maß und an die 160 Kilo Lebendgewicht auf die Waage brachte. Prompt hatte es Stress mit den zwei anderen männlichen Bären in der Gegend, allen voran mit Papa Lumpetz, gegeben. Sein Vater war ein bärenstarker und mit allen Wassern gewaschener Radaubruder, der für Monate verschwand, aber keinen halbstarken Rabauken als Nebenbuhler in seinem angestammten Revier duldete. Noch dazu, wenn es sich um seinen eigenen Sprössling handelte. Und gegen Lumpetz kam Bruno nicht an. Da hatte er lieber das Weite gesucht und sich auf den langen, beschwerlichen Weg über Berge und Täler gemacht, um sein Shangri-La zu finden.

Als Bruno erwachte, tat er dies mit dem zufriedenen Lächeln eines Buddha-Bären. Frohen Mutes machte er sich auf, diese gesegnete Gegend zu erkunden. Es hatte fast den Anschein, dass sein Ahnherr Djuro hoch oben in den Schäfchenwolken über ihn wachte – und ihn auf unerklärliche Weise ins Schlaraffenland gelotst hatte. Ein Land, in dem die Tische der Natur reichlich gedeckt waren und kein Bär je Hunger leiden musste. Durch das frühlingsgrüne Blattwerk glitzerte munter sprudelndes Gebirgswasser in der Sonne. Mit seinen Pranken schob sich Bruno durch Stauden und Sträucher und fand sich im Paradies wieder: zwei Bäche, die an dieser Stelle zusammenflossen und mit vereinten Kräften durch Kies- und Schotterbänke mäanderten. Dies musste das Land der Verheißung sein: In dem kristallklaren Wasser tummelten sich Dutzende Forellen, Flosse an Flosse. Bei dem Anblick lief jedem Grizzly-Gourmet das Wasser im Munde zusammen, solch einer Versuchung konnte niemand, geschweige denn Bruno widerstehen. Eigentlich war Bruno satt, so satt wie seine Anverwandten in den Rockies nach einem ausgedehnten Lachs-Lunch. Doch wer wusste zu sagen, wie lange eine solche Glückssträhne währte? Ob nicht in Bälde Milch und Honig versiegten? Er fand ein geeignetes Plätzchen an den sprudelnden, strudelnden Stromschnellen und schlug zu. Kurz und erbarmungslos. Petrus war seinem Jünger wohlgesonnen: In Windeseile fischte er fünf stattliche „Fischlein“ aus den glasklaren Bächlein und verputzte sie mit Haut und Gräten.

Bruno schnaufte, ja er pfiff aus dem letzten Lungenloch. Schwerfällig stapfte er bergan, kämpfte sich auf allen vieren den Hang hinauf. Die letzte Forelle hätte er schwimmen lassen sollen. Nun hatte er den Salat. Sein aufgeblähter Bauch wölbte sich wie die Dauben eines Bierfasses nach außen. Die nahrhafte Kost lag ihm wie Blei im Magen. Und das Rumoren in den Gedärmen ließ nicht nach. Es klang, als ob eine Gerölllawine nach der anderen zu Tal rumste und rumpelte. Faulige Gase entwichen unter gewaltigem Gelärm den verschlungenen Windungen seines Darms. Der Furz war so laut, dass Bruno erschrak. Es dröhnte gewaltig – und er befürchtete schon, dass hier irgendwo ein Zweibeiner mit seinem Donnerstock zu Gange war. Nie wieder, schwor er bei seinem Ahnen Djuro, würde er sich zu solch unmäßiger Völlerei hinreißen lassen! Ein ums andere Mal verschwand Bruno eilig im Gebüsch, um sich Erleichterung zu verschaffen. Dementsprechend schleppend kam er voran. Wie die Inkarnation von Yogi-Bär trottete er über einen dicht bewaldeten Hügelkamm. Es dämmerte bereits, und noch immer hatte er kein passendes Plätzchen für ein Nachtlager erspäht. Vor ihm lag nun felsiges Gelände. Irgendwo musste hier doch eine Höhle oder Felsenkluft zu finden sein, sodass er endlich alle viere von sich strecken und sich von den Strapazen der Jagd ausruhen konnte. Als er die rund zehn Meter hohe, von dunklen Klüften und Spalten durchzogene Felskante vor sich aufsteigen sah, wähnte er sich schon am Ziel. Doch Brunos Instinkt sagte ihm, dass hier irgendetwas nicht stimmte. Es lag eine unerklärliche Spannung in der Luft. Über ihn sirrten die Drähte einer Hochspannungsleitung, die just an dieser Stelle den Bergrücken zwischen zwei Tälern querte und sich in einer breiten, von Büschen bewucherten Schneise den Hang hinabzog. Zwischen hohen Stahlfachwerkmasten spannte sich ein Spinnennetz aus Stromkabeln. Nein, dies war kein guter Platz, um die Nacht zu verbringen. Nichts wie weg – und den Hang runter! Er wollte sich eben seitwärts in die Büsche schlagen, als er noch ein ganzes Stück weit entfernt trockenes Geäst unter schweren, hastigen Tritten knirschen und knacken hörte. Bruno reckte seine hellbraune Schnauze in den Wind – und ja, da vor ihm im Wald waren Menschen. Ein ganzes Rudel trabte auf ihn zu. So leise und vorsichtig es seine Körperfülle erlaubte, verdrückte sich Bruno schleunigst ins Unterholz. Menschliche Stimmen drangen an sein scharfes Gehör. Erst halblautes Gebelfer, dann Schreie, die so klangen wie das wütende Gekeife eines Dompteurs in der Manege. Brunos feines Näschen konnte mindestens zwei Gruppen von Zweibeinern ausmachen, besser gesagt eine lange Kolonne von Menschen, die sich unaufhaltsam auf eine Schar im Dämmerlicht lauernder Gesellen zubewegte. Dies konnte für einen Bären nur eines bedeuten: Ärger. Da trollte man sich besser schleunigst. Bruno machte sich auf leisen Sohlen aus dem Staub und wandte sich dahin, wo der Wald am dichtesten und die Gefahr einer Entdeckung am geringsten war. Als ob es einer Bestätigung bedurfte, dass dies hier ein Ort der Furcht und der Finsternis war, hallte ein lauter Knall von den Felsen über ihm wider. Donnerstöcke, schoss es Bruno durch den Kopf, und der Schreck fuhr ihm jäh in die Glieder.

Gams Goreng

Finster war’s, der Mond schien helle, schneebedeckt die grüne Flur. Schorsch musste grinsen. Wieso fiel ihm gerade jetzt dieses saublöde Verserl ein? Die Nacht war so stockfinster nicht, und der Mond schimmerte silbern durch die bauschigen Wattewölkchen. Auch der Abendstern, vulgo Venus, flackerte am fernen Firmament. Der Planet schien nicht größer als ein Stecknadelkopf im Sternhaufen zu sein. Was natürlich an den astronomischen Entfernungen zwischen dem Beobachter und dem Himmelsobjekt lag. Schorsch Wammetsberger interessierte sich nur peripher für den Sternenhimmel. Er gehörte auch nicht zu jenen spekulativ veranlagten Naturen, die sich den Kopf über astrophysikalische oder andere jenseitige Phänomene zerbrachen. Wammetsberger hielt sich an die greifbaren Dinge des Lebens: den matt glänzenden Karabiner 98 in seiner Rechten, den Flachmann in der Tasche seiner Loden-Joppe. Die Nacht versprach noch lang zu werden. Und ein Schnapserl wärmte die Glieder, wenn sich weder Hirsch noch Hase zeigen wollten. Wer zum Jagern ging, musste sich mit Geduld wappnen. Dabei galt das Rotmoos als Hotspot. Das weitläufige Waldgebiet diesseits und jenseits der grünen Grenze zwischen Bayern und Tirol war bekannt für seinen reichen Wildbestand. Hier hüpfte das Reh, hier röhrte der Hirsch, hier grunzte die Sau. Der Jagdpächter war ein Tiroler, ein „Schluchtenscheißer“ also – und hatte nicht die blasseste Ahnung, dass Schorsch und seine „getreuen“ Kumpane Franz Xaver Gschwandtner und Ignaz Irgl in seinem Revier wilderten. Ohne den hierfür nötigen Jagderlaubnisschein – und mit Ruß geschwärzten Gesichtern. Nach einer hitzigen Diskussion hatte das Trio den Entschluss gefasst, sich am rechten, etwas erhöht liegenden Rand einer breiten Schneise zu postieren. Durch diese verlief die 110-Kilovolt-Hochspannungsleitung vom Kraftwerk Walchsee zum Umspannwerk Niedernach. Sie hatten im Abstand von jeweils 150 Metern voneinander Stellung bezogen und eine klassische „Schützenkette“ gebildet. So deckten sie ein möglichst großes Schussfeld ab, um das die Schneise querende Rotwild vor die Flinte zu bekommen. Schorsch hatte es sich auf einem Baumstumpf bequem gemacht, der Stutzen lag schussbereit neben ihm, die von weißlichem Mondlicht beschienene Schneise unter ihm. Von links tönte die ihm wohlbekannte Stimme Gschwandtners aus dem dunklen Tann: „Leute, lang dauert’s nimmer. Es riecht nach Reh! Das Mondlicht lockt die Viecherl aus dem Gehölz … Mit etwas Massel serviert uns Sankt Hubertus einen Zwölfender auf’m Präsentierteller!“ Schorsch konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass sich der heilige Hubertus um das Jagdglück der drei Weidmänner unten am Rotmoos bekümmerte. Den Heiligen im Himmel war es scheißegal, ob sie einen kapitalen Bock schossen oder daneben. Schorsch war zwar ein treffsicherer Schütze, aber die unschuldigen Tierchen taten ihm irgendwie leid. Auch wenn er ein Hirschgulasch durchaus schätzte. Insbesondere, wenn seine Frau Elfriede es mit feinen Kräutern würzte und mit essigsauren Essenzen verfeinerte. Der Dritte im Bunde brannte indes vor Ehrgeiz, den vorwitzigen Vierbeinern eine Kugel auf den Pelz zu brennen. Ignaz Irgl mahnte daher seine Jagdgenossen zur Ruhe: „Halt gefälligst deine vorlaute Goschen, Xaver, sonst sehen wir nur die Aschbacken einer Wildsau.“ Düster tönte es aus dem Unterholz. „Und passts mir ja auf, dass ihr nicht gleich wie wild drauflosballert, bloß weil sich irgendwo ein schemenhafter Umriss zeigt oder es im Gebüsch raschelt. Warten! Erst wenn ihr den Bock im Zielfernrohr habts, wird geschossen, habts mich!“ Wenn es um ihr Jagdglück ging, verstand Irgl keinen Spaß.

Warten auf Godot, respektive Gams & Co. Schorsch konnte warten. Wenn es sein musste, bis zum jüngsten Tag. Dank seiner barocken, gut gepolsterten Figur verfügte er über ein ausgeprägtes Sitzfleisch. Dies war auf der Pirsch von unschätzbarem Vorteil. Ein Jäger brauchte drei Dinge: Geduld, Geduld und noch einmal Geduld. Im ruhigen Strom der Zeit zu versinken, alles auf ein Ziel zu fokussieren und die sieben Sinne zu schärfen, war für Schorsch ein Akt der Kontemplation. Wammetsberger hatte gelernt, die Natur der Dinge zu erkennen, ihr Wesen zu verstehen und so Teil von ihr zu werden. Er hatte einen Lehrmeister gehabt, wie man ihn sich nur wünschen konnte: seinen Großvater. Der alte Graspointner war ein echter Naturbursch gewesen. Und Schorsch sein Liebling. Kaum, dass der Dreikäsehoch hatte laufen können, hatte ihn der Opa trotz der Proteste der Oma mit hinauf in die Berge geschleift. Mit stoischer Gemütsruhe hatte er seinem Enkel, dem kleinen Schorsch, jedes noch so kleine Teilchen im Räderwerk des Lebens gezeigt, jedes grün glänzende Blättchen, jedes durch die Lüfte schwirrende Insekt, jeden am Boden herumkrabbelnden Käfer – und ihn so in die großen und kleinen Geheimnisse der Natur eingeweiht. Es gab für ihn nichts Schöneres als draußen zu sein und sich den Föhnwind um die Nase wehen zu lassen. Die frische Bergluft machte Schorsch indes hungrig. Wie gut, dass seine Elfriede den Jägerrucksack aus Beständen der Bundeswehr mit ausreichend Proviant bestückt hatte. Schließlich sollte ihr Spatzl auf der Alpen-Safari nicht am Hungertuch nagen.

Wie ein ausgehungerter Grizzlybär verschlang Schorsch einige Spezial-Sandwiches, die mit Bergkäse, Schwarzgeräuchertem, Kantsalami, rohem Speck und Gurkenscheibchen belegt waren. Wurst, Käse & Co. machten durstig. Gottlob hatte Wammetsberger vorgesorgt und sich für die strapaziöse Gams-Tour mit einer ganzen Palette flüssiger Kampfstoffe eingedeckt. Mit versonnenen, ja liebevollen Blicken begutachtete er das Etikett auf der bauchigen Flasche: Die Hopfendolde war von einem Lorbeerkranz umflochten. Eine allegorische Anspielung auf die exzeptionelle Ausnahmestellung, der zum weiß-blauen Himmel emporrankenden Kletterpflanze. Denn ohne Hopfen kein Bier. In einem Zierrahmen verschnörkelten sich die Buchstaben zu einer Frakturschrift nach altbajuwarischer Art: „Bräuberger Vigili-Bock – gebraut nach dem bayerischen Reinheitsgebot von anno 1516. Bodenständig, echt, süffig.“ Das klang vielversprechend. Mit einem routinierten Handgriff hebelte Schorsch den Kronkorken von der Flasche. Er ließ das hopfenhaltige Elixier die Gurgel hinabrinnen und wischte sich anschließend mit seinen Pranken den Schaum vom Mund. Schorsch fühlte sich rundum wohl. Der Baumstumpf war zwar kein samtenes Ruhekissen, doch auf seinen airbagähnlichen Arschbacken saß es sich durchaus bequem. Selig wie ein Neugeborenes nuckelte er an seinem Flascherl und grunzte wie ein Keiler in der Kuhle zufrieden vor sich hin. Oben am Berg lag einem die Welt zu Füßen. Hier oben fühlte man sich wie ein König, den irdischen Fährnissen und Beschwernissen entrückt. Wie dereinst der gute Kini Ludwig gebot man hier oben in unumschränkter Majestät über ein Märchenreich in den Wolken. Was konnte es Schöneres geben als frei von Pflichten und Geboten zu sein? Durch die Wälder zu pirschen und wie die Vorfahren den dort lauernden Gefahren mit kühlem, unerschrockenem Blick ins Auge zu sehen? Schorsch wurde warm ums Herz. Ihn ergriff eine freudige, erwartungsvolle Erregung.

In solch verzauberten Momenten war er rundum glücklich. Es war einer dieser Augenblicke, in denen man blitzartig zu tiefen Einsichten ins Wesen der Welt gelangte und die inneren Zusammenhänge begriff, in denen sich die losen Stränge zu einem großen, genetischen Ganzen verschlangen und einem das Blut in den Schläfen pulsierte. Es war wie Magie. Ja, man wähnte sich Gott nah. Schorsch sah sich selbst als Glied einer langen Kette von Waldläufern und Wilderern. Ein mystisches Band verband ihn mit der ihn umgebenden Natur. Eine Natur, die den Menschen in den Städten als grausam und unerbittlich erscheinen mochte, aber nur der inneren Logik des Lebens folgte. Und von einer überwältigenden, ätherischen Schönheit und Erhabenheit war. Jedes Geschöpf, ob klein oder groß, war Teil des Ganzen, eines riesigen, ineinander vielfach verwobenen Netzes. Schorsch dachte mit Wehmut und einer Träne im Herzen an seinen Opa: Der alte Graspointner war ein Weiser, auf seine Art ein Schamane gewesen! Er hatte ihm gelehrt, allen Dingen der Schöpfung mit Respekt und Ehrfurcht zu begegnen. Und wenn er auch nach außen den starken Mann und ungehobelten Lackel herauskehrte, so war Schorsch doch im tiefsten Herzen ein Romantiker und Rebell. Er verabscheute die „Waidmänner“, die blindwütig und mit Mordlust im Blick um sich schossen und nach Trophäen gierten. In den archaischen Zeiten, als die Jagd lebensnotwendig für die Steinzeit-Clans gewesen war, da war das Erlegen der Beute ein ritueller Akt gewesen. Die Menschen der Frühzeit hatten instinktiv verstanden, dass sie den Zyklen der Natur unterworfen waren und ihr Überleben an einem seidenen Faden hing. Und heute? Heute gab es keine Säbelzahntiger, keine Wölfe und Bären mehr in den Wäldern. Das letzte verbliebene Raubtier war der Mensch. Ohne Büchsenknall und Hörnerschall würde das fragile Gleichgewicht in Hain und Flur aus den Fugen geraten – und die Schwarzkittel- und Rehrotten vollends überhandnehmen. Außerdem war ein feines Rehragout oder eine mit Wildschweinhack verfeinerte Lasagne nicht zu verachten. Vor allem, wenn Elfriede über die Fleischtöpfe wachte.

„Kennst du die Perle, die Perle Tirols, das Städtchen Kufstein, das kennst du wohl, umrahmt von Bergen, so friedlich und …“ Linkerhand, dort, wo er Gschwandtner vermutete, orgelte ohne Vorwarnung das Ohrwurm-Lied vom grünen Inn durch die Waldesstille. Schorsch hatte eben den Flachmann angesetzt – und verschluckte sich vor lauter Schreck. Der edle Eigenbrand brannte wie Schlehenfeuer in der Kehle. „Bist jetzt komplett dammisch geworden, du Depp. Kruzifix, allelujah! Das Gequäke hört man ja bis ins Tal runter!“, machte er seiner Empörung über die Ruhestörung Luft. Ignaz Irgl hackte umgehend in dieselbe Kerbe: „Eine Ruhe ist! Mit dem Gedudel machst uns ja das ganze Wild im Wald rebellisch!“ Gschwandtners Apologie fiel lahm aus, seine Stimme klang zerknirscht: „Tut mir leid, irgendwie muss ich aus Versehen den eingebauten Lautsprecher von meinem MP3-Player eingeschaltet haben. Ich kenn mich mit dem Teil no ned so aus!“ – „Is scho guad, aber ab jetzt hälts’ du den Schnabel. Wenn einer was hört oder sieht, ahmt er den Ruf eines Käuzchens nach. Und zwar so: K-r-r-r, K-r-r-r! Uhu-hu!“, trichterte Schorsch seinen Gefährten ein. Irgl und Gschwandtner brummten wie zwei unleidige Mafiosi-Meuchler, aber sie schienen dem ehernen Gebot der Omertà – dem Gesetz des Schweigens – zu gehorchen.

Hinter halbgeschlossenen Lidern beschrieben die Augäpfel Kreisbahnen, suchten im dämmrigen Geäst nach verräterischen Spuren, nach umgeknickten Zweigen oder Ästen, die auf einen Wildwechsel, den Durchzug eines Rehrudels oder eine Wildsaurotte hinwiesen. Gleichzeitig spitzte Wammetsberger die Ohren und lauschte ins frische Grün hinein. Doch die Wälder schwiegen. „Hmm, wo steckt das verflixte Wild?“, murmelte er. Schorsch ließ den Kopf auf die Brust sinken, verschränkte die Hände über seinen Schmerbauch und nahm die Haltung eines meditierenden Mönchs ein. Seine Sinne waren so scharf geschliffen wie eine Sense, doch ringsum blieb alles ruhig. Ja, es war fast so, als ob die Natur in Anbetracht einer nahenden Katastrophe den Atem anhielt. Plötzlich hörte er ein leises, kaum wahrnehmbares Geräusch. Irgendwo dort drüben raschelte das Laub des vergangenen Jahres. So geräuschlos wie ein Ninja sein Schwert zog, brachte er seinen Stutzen in Anschlag. Schorsch kniff die Luchsaugen zusammen und linste durchs Zielfernrohr. Sträucher und Stauden verstellten ihm das Sichtfeld. Dennoch vermeinte er, eine geisterhafte Silhouette zu erkennen, die hastig zwischen den hohen Bäumen verschwand. Der Schattenriss war im Dunkel des Dickichts kaum auszumachen. Schorschs Brauen zogen sich ungläubig zusammen. Träumte er, litt er unter Halluzinationen? Der Mensch hatte von seinen Ahnen die Angst vor der Dunkelheit geerbt, vor den im Finstern lauernden Gefahren. So mochte es nicht weiter verwunderlich sein, dass sich aus den amorphen Schatten zwischen den Bäumen die Umrisse eines Bären schälten. Sein Zeigefinger krümmte sich noch immer um den Abzug. Langsam ließ er den Lauf des Gewehrs sinken. Hatte er auf der anderen Seite der Lichtung tatsächlich einen Bären gesehen? Oder narrten ihn jetzt schon die Trugbilder einer sich ankündigenden Demenz? Mit ausdrucksloser Miene starrte Schorsch ins schiefrige Grau der Nacht. Er hatte einen Kartoffelknödel im Hals, einen Mehlklumpen, der seinen Kehlkopf verstopfte und ihn unausgesetzt räuspern ließ, um das Gefühl, zu ersticken, loszuwerden. Schorsch fror plötzlich. Wurde er langsam irre oder ließ die Sehschärfe seiner Augen nach? Er wickelte sich in die wärmende Wolldecke und versank in einen Strudel wirr wirbelnder Gedanken. Die verkrüppelten Birken wuchsen sich zu Fabelgestalten aus, der Fichtenfilz am gegenüberliegenden Hang mutierte zu einem verwunschenen Zauberwald, der einen jeden Eindringling zu verschlingen drohte. Und da drang auch noch der schaurig-schöne Ruf eines Käuzchens an sein Ohr – und er war sich sicher, dass es weder Gschwandtner noch Irgl war, der da nach ihm rief.

Wammetsberger rieb sich verwundert die Augen: Er musste eingenickt sein. Jedenfalls hatte er keinen Ast knicken, keinen Warnruf seiner Jagdgenossen gehört. Doch diesmal gab es keinen Grund zum Zweifel: Zirka 150 Meter von ihm entfernt, standen zwei Rehe am Rand der Schneise. Das vordere Reh hob den Kopf und lauschte, die Ohren nach vorne geklappt. Der Kopf ruckte nervös nach links und nach rechts. Reh Nummer zwei begann derweil in aller Seelenruhe zu äsen. Der Schuss würde ein Kinderspiel werden. Schorsch legte an, er hatte den schlanken, grazilen Kopf des genüsslich äsenden Rehs im Visier. Ein Druck des Zeigefingers – und tschüss. Unvermittelt hob das Reh den Kopf, so als wittere es Unheil. Doch die frischen Knospen waren unwiderstehlich – und das Rehlein vertiefte sich wieder in seine Lieblingsbeschäftigung. Schorsch zögerte, kratzte sich am Kinn. Wieso feuerte niemand? Waren die beiden Blindfüchse eingedöst und wiegten sich im süßen Schlummer? Schorsch stellte sich vor, wie das Stahlmantelprojektil mit einer Mündungsgeschwindigkeit von 700 Metern pro Sekunde aus dem Lauf schoss und Sekundenbruchteile später die Schädeldecke des Rehs zerbersten ließ. Er setzte den Stutzen ab, strich sich unschlüssig durch den struppigen, grau melierten Stoppelbart. Sollte er oder sollte er nicht? Sein oder Nichtsein?

Da zerriss ein Schuss mit ohrenbetäubendem Knall die Stille der Vollmondnacht. Jemand hatte Bambi ohne zu zögern aufs Korn genommen. Doch es blieb nicht bei dem einen gezielten Schuss auf die Gräslein rupfende Geiß. Linkerhand von ihm war Gschwandtner aus seiner schnapsseligen Lethargie erwacht – und ließ nun gleichfalls seinen „Bärentöter“ sprechen. Schorsch konnte es kaum glauben, doch plötzlich hallten auch von schräg vorne Schüsse durchs nächtliche Grau. Ja, am Rotmoos brach die Hölle los. Schorsch wusste nicht, wie ihm geschah. Die Luft war auf einmal bleischwer, Geschosse sirrten wie kampflustige Hornissen hin und her. Hinter ihm splitterte das Holz, offenbar hatte sich ein Projektil in die Borke der dicken Buche gebohrt, unter deren Ästen er nun in der Klemme saß. Schorsch spähte beunruhigt durchs Zielfernrohr. Es war kein feindliches Objekt auszumachen, das er unter Beschuss nehmen konnte. Irgendwie musste er sich mit Gschwandtner und Irgl über ihr weiteres Vorgehen verständigen. Da durchdrang ein gellender, kaum mehr als menschlich zu bezeichnender Schrei das Dunkel. Von der Lichtung her vernahm Wammetsberger aufgeregte Stimmen, gutturale Laute einer fremden, ihm unbekannten Sprache. Arabisch, Türkisch, Russisch? Steine gerieten unter den Tritten davonhastender Menschen ins Kullern, rollten hüpfend und springend zu Tal. Es hörte sich an, als ob eine Schar dunkler Gestalten den Hang hinab Richtung Tirol hetzte. Die Dreckskerle wandten sich zur Flucht, ja sie flohen in wilder Panik. Woher kam diese schießwütige Bagage? Eine rivalisierende Wilderer-Gang aus Tirol? Ein paar zugedröhnte Drogentypen auf dem Schmuggelpfad? Oder ein Flüchtlingstrupp, der hier heimlich, still und leise über die Grenze wollte?

Was war geschehen? Wieso waren diese Zipfelklatscher Hals über Kopf geflohen? Hatte eine ihrer Kugeln ins „Schwarze“ getroffen? Unabsichtlich – sicherlich, dennoch wäre ein solcher „Unglücksfall“ mit erheblichen Unannehmlichkeiten, endlosen Untersuchungen und Befragungen verbunden. Es würde ein Disziplinarverfahren geben – am Ende würden sie noch vor Gericht landen. Als Schorsch die möglichen Konsequenzen in den Sinn kamen, wurde ihm siedend heiß. Sie mussten von hier verschwinden – und zwar schleunigst. Da kamen auch schon Irgl und Gschwandtner aus der Deckung, mit wirren Haaren und Blicken: „Wer hat da auf uns geschossen? Habts ihr was gesehen?“, erkundigte sich Gschwandtner mit zittriger Stimme. „Ihr Hornochsen. Ihr könnt doch nicht einfach wie die Wilden drauflosballern!“, schäumte Wammetsberger. „Ihr habts als Erstes gefeuert!“ – „Reg dich ab, Schorsch. Ich hab ein Reh anvisiert und abgedrückt, nix weiter“, stellte Irgl angesäuert klar. „Wir werden gleich sehen, was du da erwischt hast. Auf jetzt, den Schlamassel schauen wir uns genauer an“, befahl Schorsch mit schroffer Stimme. Irgl hatte Recht, direkt unter der elektrisch summenden Überlandleitung tauchte ein totes Reh im Lichtkegel von Irgls Taschenlampe auf. Sauberer Blattschuss, keine Frage. Das Rehlein hatte seinen letzten Bocksprung getan. Doch ein paar Schritte weiter, am Rand der Schneise, war noch jemand eines unnatürlichen Todes gestorben. Kein Reh diesmal, sondern ein Mensch. Ein breitschultriger, stämmiger Typ lag merkwürdig verkrümmt in der sumpfigen Wiese unterhalb einer Felswand. „Was machen wir jetzt?“, wollte Gschwandtner wissen. „Wir machen, dass wir weiterkommen“, schlug Schorsch vor. „Hast Scheißbollen in der Hosen?“, markierte Irgl den starken Mann. „Möchst ned wissen, wer uns da hinterrücks mit Blei eingedeckt hat?“ Der Tote lag auf dem Bauch, seine Arme und Beine in einen unnatürlichen Winkel verdreht. Ignaz fackelte nicht lang. Mit einem Fußtritt beförderte er den leblosen Körper unsanft auf den Rücken und leuchtete ihm mit der Taschenlampe ins totenblasse Antlitz. „Ja, na“, entfuhr es ihm, „Schorsch, den Burschen kennen wir doch, diese Angeberfotzen aus Tirol! A sowas!“ Irgl hatte schon wieder Recht, wie Schorsch auf den ersten Blick feststellte. Bei dem Toten handelte es sich keineswegs um einen schlaksigen, südländisch aussehenden Typen, einen Levantiner, Afghanen oder Araber. Im Dreck vor ihnen lag ein typischer Vertreter der hiesigen, alpenländischen „Rasse“. Von robuster und untersetzter Statur, landestypische Weißbierwampe, kugelrunder Kopf mit schwammig aufgedunsenen Wangen und tiefliegenden Schweinsäuglein, die jetzt allerdings anklagend ins Leere stierten. Ja, Schorsch erkannte den Gschwollschädel sofort, obwohl dessen Hinterkopf wie eine Melone aufgeplatzt und das halbe Hirn herausgespritzt war. Andreas Forcher, denn um niemand anders handelt es sich hier, war zweifelsohne mausetot. Eine erste, oberflächliche Autopsie ergab, dass Forcher entweder auf dem Felsrücken oberhalb der Schneise ausgerutscht und zwanzig Meter tief in den Tod gestürzt war – oder ihm ein ihm feindlich gesinnter Kampfgenosse von hinten eine Kugel ins Hirn gejagt hatte. Schorsch war kein Gerichtsmediziner – favorisierte allerdings eindeutig Variante zwei. Der Tote lag da wie eine Gliederpuppe, der man jeden Knochen im Leib gebrochen hatte. Ein Umstand, der nach einem Sturz aus solcher Höhe nicht weiter verwunderlich war. Doch die Kopfwunde sah nicht so aus, als ob diese durch den Aufprall auf hartem Fels verursacht worden war. Schorsch tippte darauf, dass der Mörder Forchers Leiche hinabgestoßen hatte, um es wie einen Unfall aussehen zu lassen.

Der Lichtschein der Taschenlampe geisterte über das leichenbleiche Gesicht. Stumm und starr lag der Tiroler da, wie ein am Bergisel im Kugelhagel der Franzosen gefallener Freiheitskämpfer. Gschwandtner hatte sich aus seiner Schockstarre gelöst und schüttelte fassungslos den Kopf: „Wenn ich mich nicht täusche, war der Haftlmacher doch irgendein hohes Tier bei der Polizei in Tirol drüben. Was hat der mitten in der Nacht am Rotmoos verloren? Bei uns in Bayern!“ Gschwandtner klang ehrlich empört. Dem hinterfotzigen Kraxentrager würde Schorsch gewiss keine Krokodilsträne nachweinen! Andreas Forcher war wie er Polizeibeamter gewesen, nur auf der anderen, rot-weiß-roten Seite der Grenze. Ein Exekutivbediensteter also – und zwar im Rang eines Gruppeninspektors, wenn er sich recht erinnerte. Schorsch hatte den Toten nicht gemocht. Ja, dessen ganzes Wesen und Gebaren waren ihm zuwider gewesen. Forcher war ein eingebildeter Wichtigtuer, ein eitler Aff, der bei den Schützentreffen, Bataillonsfesten und Jubiläumsfeiern in seiner windigen Paradeuniform wie ein Gockel am Misthaufen herumstolzierte. Forcher war Kommandant der Schattenberger Kompanie und eine der schillerndsten Figuren der Tiroler Schützenszene. Ein Angeber und Lästermaul, das sich bei jeder Gelegenheit damit brüstete, dass er die Nummer eins am Schießstand sei und dass ihm niemand, geschweige denn ein „Boarenfack“, das Zielwasser reichen könne. Was eine glatte Lüge war. Die Ergebnisse und Siegerlisten der diversen Meister- und Regimentsschießen ließen keinen Zweifel daran, wer der „Karabiner-King“ war: Er, Schorsch Wammetsberger. Doch jetzt war der Tiroler tot – und sie hatten ein Problem: Wer Forcher ins Nirwana geschickt hatte, konnte ihnen momentan wurscht sein. In dem vermaledeiten Reh steckte jedoch Irgls Geschoss – also musste erst der verräterische Kadaver und dann sie selbst von der Bildfläche verschwinden. Und das alles ohne irgendwelche Spuren zu hinterlassen. Wenn das mal nicht in die Lederhose ging. Schorsch sandte ein Stoßgebet zum Himmel: „Hilf, heiliger Hubertus, hilf!“

Weißwürst mit Weißkraut

Hartl Harthofer hatte ein Déjà-vu – und gleichzeitig das ungute Gefühl, in den falschen Film mit gänzlich unfähigen Akteuren geraten zu sein. Er stand inmitten einer Schneise, die für die stelzenartigen Masten einer Hochspannungsleitung in den Bergwald geschlagen worden war. Am Rand derselbigen, zu Füßen einer von tiefen Spalten und Rissen gekerbten Felsmauer, lag etwas, das einmal eine Seele besessen, geatmet, gefühlt und gelebt hatte. Der Mann war mit einem grüngefleckten Tarnanzug und einer froschgrünen Fleecejacke bekleidet – und seit ungefähr acht bis zehn Stunden tot. So die grobe Schätzung des zur Unfallstelle gerufenen Notarztes. Der Fundort befand sich in unwegsamem Gelände, abseits des Wegs. Übers Rotmoos, so der Name der schon vor Jahrzehnten aufgelassenen Hochalm, führte ein alter Karrenweg hinüber nach Tirol. Die Grenze war nur 250 Meter entfernt. Doch die Leiche lag zu Harthofers Bedauern eindeutig auf bayrischem Boden. Um hierher zu gelangen, hatten Harthofer, die Kriminaltechniker, das medizinische Notfallteam, ja selbst der griesgrämige Staatsanwalt Dr. Knittelbeck einen gut zwanzigminütigen Fußmarsch in Kauf nehmen müssen. Fand sich doch im weiten Umkreis kein geeigneter Landeplatz für den Hubschauer. „Diese Stromleitung, diese hundsmiserablige. So eine schöne Lichtung, aber die Maschine kann wegen dem Drahtverhau ned landen. Jetzt können wir zusehen, wie wir den 100 Kilo schweren Brackel von hier wegbringen. Am Ende dürfen wir ihn auf der Leichentrage ins Tal schleppen“, brabbelte Harthofer, die Nummer drei der Kripo Grenzberg, mürrisch. Mit der professionellen Distanz eines Spezialisten für Mord und Totschlag betrachtete er den Leichnam genauer. Dabei achtete er peinlich genau darauf, nur ja nichts anzurühren. Das war Sache des Gerichtsmediziners, wenn er denn endlich antrabte. Harthofer beugte sich lediglich über das Opfer und versuchte, alle Details, auch scheinbare Nebensächlichkeiten, in sich aufzunehmen. Die Leiche lag auf dem Rücken, die Augen glasig und stumpf wie die eines auf den Speicher verbannten Teddybären. Hartl zwang sich dazu, sich das Gesicht einzuprägen. Zwei starre, reglose Pupillen, in denen nicht das geringste Anzeichen von Angst oder Anspannung zu lesen war. Keine stumme Frage oder Anklage. Nichts. Der Blick ging ins Leere.

Der Schädel war zur Hälfte zertrümmert, das Genick gebrochen. Die Gliedmaßen des Toten waren unnatürlich verrenkt – die Körperhaltung erinnerte an einen Crashtest-Dummy, den man im Sperrmüllcontainer entsorgt hatte. Kein erfreulicher Anblick, aber Harthofer war schließlich kein heuriger Hase. Er war „Bulle“ im mittleren Dienst. Kriminalobermeister, um genau zu sein. Drei Sternchen auf der Schulterklappe, Besoldungsgruppe A 8. Ein kärgliches Salär. Leonhard Harthofer, den seine Freunde nur „Hartl“ riefen, hatte weder Abitur noch war er auf der Polizeioberschule gewesen. Er hatte seinen Job von der Pike auf gelernt und war Praktiker durch und durch. Die Todesursache war unschwer zu erkennen: Im Schädel klaffte ein riesiges Loch, die Hirnschale war durch multiple Frakturen – so würde es im Gutachten der Rechtsmedizin heißen – vollständig fragmentiert. Auf den ersten Blick sah es so aus, als ob der Hinterkopf von einer Streitaxt oder einem Schmiedehammer mit brachialer Gewalt zerschmettert worden war. Aber der erste Anschein mochte trügerisch sein: großkalibrige Geschosse, die mit hoher Geschwindigkeit auf das Scheitel- oder Hinterhauptbein trafen, zersprengten die Schädeldecke förmlich. Das sah in natura übel aus, zumal die Hirnmasse durch die Wunde nach außen gedrückt wurde. In der näheren Umgebung der Leiche hatten die Spusis jedoch weder Knochensplitter noch Blutspritzer oder Klümpchen des weißlich, grauen Hirngewebes gefunden. Ein Indiz, dass der Tote nicht hier gestorben, sondern von der gut zehn Meter über ihnen aufragenden Felsmauer herabgestürzt war. Der Fundort war also nicht der Tatort. Hartl nahm an, dass der Tote vornübergekippt war und im Fallen einen Purzelbaum geschlagen hatte. Dann war er den sanft geneigten, von hohem Gras und einigen buschigen Büschen bewachsenen Geröllhang hinabgekullert – bis hierher. Sein Blick wanderte die Kalkklippen hinauf. Dort oben könnten sich noch Spuren des Täters finden lassen. Harthofer war sich ziemlich sicher, dass der Bericht des Tatort-Teams sein Tatszenario untermauern würde. Das Opfer war auf dem Felsbuckel gestanden, um auf die Lichtung hinabzuspähen. Da hatte ihn der tödliche Schuss getroffen – von hinten. Das Opfer hatte seinem Mörder folglich den Rücken zugekehrt – und der hatte ihn kaltblütig erledigt. „Nun, ich will den Ergebnissen der Obduktion nicht vorgreifen. Dennoch tippe ich jetzt mal auf totales Systemversagen. Dringt ein Geschoss in den Hirnstamm ein, kollabieren die lebenswichtigen Zentren für die Steuerung der Körperfunktionen, das Herz und die Atmung setzen aus. Da tut dir kein Zeh mehr weh, da wird es schlagartig duster, Exitus und Sendeschluss“, hatte der Notarzt nach einer oberflächlichen „Fleischbeschau“ mit salopper Ironie diagnostiziert. Hartl hatte missmutig gebrummelt: „Für mich ist der Tatbestand klar. Der Angriff erfolgte aus dem Hinterhalt. Wir können also von einem Tötungsvorsatz ausgehen, überdies scheint mir hier das Mordmerkmal der Heimtücke erfüllt zu sein.“ Der Arzt hatte sein Notfallköfferchen zuschnappen lassen und hinzugefügt: „Mord? Nun, Sie sind der Kriminalist, es ist Ihr Job, den Tathergang zu klären. Ich kann nur nochmal betonen: Unser Freund hier war schneller hinüber, als der Pfarrer bei der Messe Amen sagen kann.“ Harthofer wandte sich von der Leiche ab. Er hatte genug gesehen. Kriminalkommissar Albert Lehnleitner würde sicher schon alles Nötige veranlasst und eine Obduktion des Leichnams angeordnet haben. Wenn es um Anordnungen und bürokratische Formalitäten ging, war Lehnleitner unschlagbar. Der etatmäßige Leiter der Kripo Grenzberg, Hauptkommissar Korbinian Eyrainer, war ganz anders gestrickt als der strikt nach Vorschrift handelnde Kollege Lehnleitner. Der „Chef“ hätte sich neben den Toten gesetzt und stumme Zwiesprache mit ihm gehalten, aber Eyrainer war auf „Dienstreise“. So würde vorerst sein Stellvertreter, Kommissar Lehnleitner, die Ermittlungen führen und koordinieren. Eine Vorstellung, die in Harthofer Unbehagen hervorrief. Lehnleitner war kein unrechter Kerl, ein etwas introvertierter Computerfreak und dazu ein notorischer Pedant. Ein Nerd nach Maß eben, ohne Phantasie und Esprit. Er verfügte weder über die jahrelange Erfahrung noch über die untrügliche Intuition Eyrainers. Der Leiter des Dezernats 5 verstand es, die Fährten richtig zu deuten und die Triebfedern einer Tat zu ergründen – meistens zumindest. Harthofer fühlte sich der ungewohnten Rolle des Ermittlers nicht recht gewachsen. Und war dementsprechend unsicher, wie er in dem Fall vorgehen sollte. Harthofer sah sich hilfesuchend um. Doch da waren nur die Leute des Erkennungsdiensts, die in den blauen Schutzoveralls ihrer Sisyphusarbeit nachgingen. War das Bild vom Tatort vollständig? Oder hatte er ein wichtiges Mosaiksteinchen übersehen? Hartl ging nochmal alles der Reihe nach durch.

Der Dienst bei der Kripo brachte es mit sich, dass einem die Zerbrechlichkeit des menschlichen Organismus ein ums andere Mal drastisch vor Augen geführt wurde, doch an den Anblick des Todes konnte sich Hartl einfach nicht gewöhnen. Regelmäßig spielten ihm seine Nerven einen Streich, rebellierten Magen und Darm. Gegen die sich ausbreitende Übelkeit half nur eins: auf Autopilot schalten und das „Notfallprogramm“ aktivieren. Er musste alle störenden Nebengeräusche ausblenden, um sich auf das Wesentliche, auf die Tatumstände zu konzentrieren. Die erste Auffälligkeit, die ihm ins Auge stach, war das Outfit des unbekannten Toten – und das dazupassende Accessoire. Was sollte diese militärische Montur, diese Rambo-Staffage samt Kampfmesser in der Scheide und Pistole im Holster? Fehlten ja nur noch Sturmgepäck und Sturmgewehr. Hatten die Typen Räuber und Gendarm gespielt oder den Guerillakampf an der „Heimatfront“ geprobt? Bei dem Schießeisen handelte es sich um eine Halbautomatik vom Typ Glock 17 der gleichnamigen österreichischen Waffenschmiede. Die Pistole war sowohl beim österreichischen Heer als auch bei der Bundespolizei weit verbreitet. Anhand der eingestanzten Seriennummer sollte sich relativ rasch feststellen lassen, woher die Waffe stammte. Das zweite, was Harthofer aufgefallen war, war, dass der Mann keine Jacke oder einen Parka trug – obwohl es in der gestrigen Nacht empfindlich kalt gewesen war. Wo also war das Kleidungsstück abgeblieben? Wer hatte es beseitigt? Harthofer suchte mit Habichtsblick den Felsabhang ab. Nichts! In seinen Gangliengängen arbeitete es, langsam nahm eine neue Hypothese Gestalt an: Konnte es sein, dass irgendwelche militaristischen Spinner hier oben eine Art Feldübung veranstaltet hatten? Hatten die Jungs in Oliv Krieg gespielt, Gotcha mit echten Gewehren? Hatte sich versehentlich ein Schuss gelöst, war ein Querschläger schuld an allem? Dann müsste besagtes Geschoss eine leichte Deformierung aufweisen. Hartl machte sich eine Notiz, dies überprüfen zu lassen. Sollte er bei Bundeswehr und Bundesheer Erkundigungen anstellen, ob irgendwelche Spezialeinheiten à la Cobra und GSG 9 gestern Nacht in geheimer Mission am Rotmoos unterwegs gewesen waren? Er würde sich hüten! Er seufzte. Entpuppte sich der Mordfall als ein, wenn auch tragisches, Unglück? Das war zumindest eine Option, befand Hartl. Ein Unfalltod hätte zudem den schönen Nebeneffekt, dass er aus dem Schneider und Lehnleitner mit dem Formularkram beschäftigt wäre. Die Idee hatte etwas für sich.

Es war schließlich Fakt, dass die Berge eine „high risk area“, eine Todeszone waren. Und es konnte jeden treffen: Adrenalin-Yuppie wie Mountain Maniac, den erfahrenen Alpinisten wie den ans Limit gehenden Outdoor-Extremisten, den leichtsinnigen Turnschuh-Touri wie den versierten Tourengeher. Der fatale Fehlgriff, der schrille Schrei, der gache Aufprall gehörten wie Jodler, Jagertee und Alpenglühen zum folkloristischen Standardrepertoire der bayerischen Bergwelt. Watzmann & Co. kannten keine Gnade, forderten Jahr für Jahr ihren Blutzoll von denen, die sich in ihr unwirtliches, frostiges Reich aus Fels und Eis wagten. Ob Sommer oder Winter rückte die Bergwacht aus, um am Berg Verwundete zu bergen, Leichen aus Felsenklüften und Gletscherspalten zu holen. Und gar mancher tauchte nie mehr oder – wie im Fall Ötzi – erst nach Jahrtausenden wieder auf. Was blieb, war die Erinnerung und ein hölzernes Marterl, das den Unglücksort markierte. Ja, der knochige Sensenmann sang seine eigene Strophe im Lied der Berge. Für das Team der Kripo Grenzberg waren solche Einsätze reine Routine. Das Procedere bei einem Leichenfund war bis ins Detail geregelt. Jeder, der wie Hartl ein paar Jahre auf dem Kripo-Kerbholz hatte, wusste, was zu tun war. Auf jeden Fall musste eine Obduktion der Leiche vorgenommen werden, um ein mögliches Gewaltverbrechen auszuschließen. Bei vielen „Bergopfern“ war dies allerdings fast ein Ding der Unmöglichkeit, da der Leichnam nach dem Aufprall auf massiven Fels oder einem Höllenritt in der Lawine so übel zugerichtet war, dass Vorverletzungen wie ein Schlag oder ein Stoß kaum mehr nachzuweisen waren. Bei einem Schuss sah die Sache indes anders aus.