Cover

Jochen Jung

Das alte Spiel

Gedichte

„Der Ruhe Geist ist aber in den Stunden

Der prächtigen Natur mit Tiefigkeit verbunden.“

Scardanelli

„Ein dürres Blatt, vom Wind getrieben,

sieht oftmals einem Vogel gleich.“

Goethe

„… aus Kombination von Kieselsteinen, Winkelfiguren, Ritzen oder Öffnungen, Blattformen, Farben, Gerüchen und Tönen sah ich bislang unbekannte Harmonien sich bilden.“

Gérard de Nerval, Aurelia

„… als begänne er ein Gedicht, trieb ihn das Wort vorwärts, ehe er den Sinn hatte.“

Robert Musil, Der Mann ohne Eigenschaften

„Poesie trieft von oben herab und sprießt von unten herauf.“

Wilhelm Raabe, Deutscher Mondschein

2017

Lass es gut sein.

Auf der Hut sein

Muss genügen.

Lerne fliegen!

Abends

Das Licht fällt immer schräger in die Bäume

Immer geklemmter sind die Zwischenräume

Unter den Bäumen stehen Leute

Die ich nicht kenne, deren Beute

Ich auch nicht sein will, dann schon lieber

Wechsel ich auf die andre Seite rüber

Und schau mir mich von hüben an

Und sehe: drüben steht ein Mann

Der sich so Zeug vom Mantel zupft

Die schwarzen und die bunten Träume

Als wenn er einen Vogel rupft

Achtgeben

Pass auf, wenn du ein Schnäpschen säufst

Dass du dich nachher nicht verläufst

Dass sie nicht hinterher verkünden

Er hat den Weg nicht mehr gefunden

AKH, Wartesaal

Ist es ein Platz, ist es ein Saal?

Ein meeting point? Ein Überall?

Auf jeden Fall ein Hin und Her

So etwas wie Berufsverkehr

Als würden Linien gezogen

Für eine Art Schnittmusterbogen

Für sowas wie ein letztes Hemd

Hier fühlt sich einfach jeder fremd

Und wie zu Haus, sowohl als auch

Ein seltsames Gefühl im Bauch

Grau oder weiß steigt dann der Rauch

Und du erfährst: „Habemus vitam!“

Du bist gerettet, stimmst ein Lied an

Alt sein

Weiß ich denn auch, wie alt ich bin?

Nein, weiß ich leider nicht.

Die Jahre gingen so dahin,

mal Schatten und oft Licht.

Die Jahre, die auch meine sind,

weiß ich denn noch, wie ich als Kind

war, kann ich mich erinnern?

Das Alter zeigt sich an der Haut

Und an den Zähnen, wenn man kaut,

und noch viel mehr im Innern.

Dort hält der Tod schon lang Gericht.

Das Altern ist Vergissmeinpflicht.

Am Ende

Ich steh am Meer und weiß doch, dass

das Meer immer da ist, wo ich nicht bin.

Wie ist das möglich? Ich strecke

den Fuß, es kitzelt nicht, ich lache vor mich hin.

Das Meer ist knochentrocken.

Am Tisch

Die Wurst

Der Käse

Das Glas

Die Unterhaltung

Der Unterhalt

Der Halt

Das Brot

Die Butter

Am Weg

Was für ein Glück wir all die Jahre hatten!

Denn erst wenn sich die vielen Schatten

von all den kleinen Kieselsteinen

auf unserm langen Weg vereinen,

ist Abend. Dann erst kommt die Nacht.

So viel, mehr nicht, ist ausgemacht.

An der Ampel

Schmerz oder Schreck?

Mit aufgerissnen Augen stehn sie da

Eins neben dem andern, eine Truppe

Jedes mit eigenem Tagesbefehl

Und jedem ist vollkommen schnuppe

Was nebenan gebrütet wird. Verfehl

Dein Ziel nicht, lautet die Devise. Fang Neues an.

Sie warten, bis die Ampeln frisch erblühn:

Grün!

An der Gartenmauer

Glyzinien, ostseeblau,

sie stürzen wie ein Tropfenschauer,

ein Blütenfall von zarter Wucht

hier an der Eckernförder Bucht

so augenfällig wie unerkannt

an Land.

Armer Dichter

Schon

der Baron

von Liliencron

sprach allen Sparmaßnahmen Hohn.

Ein Offizier ist keine Memme,

gehört das nicht zum guten Ton?,

so brach er alle Schuldendämme,

dichter und dichter ward die Klemme,

es sah schon richtig düster aus.

Kollegen, Kaiser und Karl Kraus

halfen ihm aus der Pleite raus.

As time …

Die Uhr tickt

wie verrickt.

Die Fliegen vergehen

im Fluge. Wir

Erdbewohner

going by.

Auf der Straße

Sie tragen ihren Kaffee

wie eine Monstranz vor sich her.

Am Rucksack klemmt

die Wasserflasche. Ich sehe schon:

Das Leben ist ein Notfall.

Das Wetter verschlägt einem die Sprache,

die Straßenbäume geben einander die Hand.

Ich winke zurück

Aus

Zwischen dem Sterben und dem Totsein

Ist nicht mal Zeit für ein Glas Rotwein

Nicht einmal Zeit für ein Gebet

Der Tod lässt sich nicht stunden

Die Treppe rollt nach unten

Vorbei, vorüber, Schluss und aus

Aufwachen dann im fremden Haus

Bahnsteiggespräche

haben was

Verklemmtes und doch Wahres.

Sie reichen von ‚Fehlt dir noch was?‘ –

‚Vielleicht noch etwas Bares?‘

Er möchte, dass sie endlich geht,

sie möchte lieber bleiben,

und ihm, so wie er da jetzt steht,

noch oft den Rücken reiben.

Dazwischen langes Schweigen,

wenn sich die Zeiger neigen.

Man ruft sich das und jenes zu

‚Grüß mir den Franz, die Elfi‘,

dazwischen klickt das Selfie.

Die wehen Worte für den Abschied

sind, wie du weißt, nicht einfach rap shit.

Ihr Fahren ist nicht Feenflucht,

nur Anstoß neuer Sehnsucht.

Man liegt sich in den Armen,

als wäre nie genug –.

Der Bahnhof hat Erbarmen,

und pünktlich kommt der Zug.

Bart

Mit kleinen Stacheln ragt es

aus dem Gesicht heraus.

Ein Bart ist etwas Ungefragtes,

es wächst halt, wird rasiert

und aus.

Begegnung

„Augenkontakt vermeiden.

Falls das Produkt in die Augen

gelangt, diese gründlich

mit Wasser ausspülen.“

Zu spät: Ich sah dich.

Das Auge brennt. Die Träne rinnt.

Die Äpfel sind gewaschen.

Bettelleben

Die Bettlerin wünscht alles Gute,

womit sie nicht sich selber meint.

Ich seh im Augenwinkel, dass sie weint.

Das Leben war für sie wie eine Rute,

sie wusste nur nicht, wer da schlug.

Es ist ihr seltsam gleich, was ihr bevorsteht.

Sie weiß nur: Noch ist nicht genug.

Bitte

Ein Sehnsuchtsblick, so wie beim Warten auf den Bus.

Wann kommt sie? Kommt sie überhaupt?

Und krieg ich diesmal einen Kuss?

Ist das für sie ‚erlaubt‘?

Nicht diesen links/rechts in die Luft,

nein, den, der nach mehr Tiefe ruft,

nach dir, nach Dir, mehr will ich nicht,

mach aus der Prosa ein Gedicht!

Bin ich

Was bin denn ich – ein Hund

Ein Karpfen, eine Ratte

Ein Müllcontainer, eine Fest(tags)platte

Ein Aktenordner, ein Museum

Ein Fallbeispiel, ein Fehlurteil

Eine Mitfahrgelegenheit, ein tauber

Passagier, ein Restexemplar

Ein Parzival, ein tumber Stoffel

Ein Kuckucksei mit Bratkartoffel

Ein Heini, Karli, Franz und Fritz

Ein Immer-wieder-abgeblitzt

Ein Tamerlan, ein Caliban

Auf jeden Fall bin ich kein Phonie

Dann eher schon ein Rembrandt-Tronie

Ein Fang-nochmal-von-vorne-an

Jetzt aber Schluss mit dem Gerappel

„Mich gibt’s nur einmal“ (sprach Ernst Happel)

Ich bin was

Ich bin

was

Blauer Himmel

Den Himmel mozartblau zu nennen,

wär gar nicht falsch, wenn es