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Was Barbara Aschenwald zwischen einfachen Wort- und Satzfolgen für den Leser hinterlegt, geht weit über den Inhalt des Gesagten hinaus. Ihre im wahrsten Sinne mitreißenden Prosastücke erzählen von Schönheit und Verzweiflung des Menschen, von Liebe und Zerstörung, vom Kaputtmachen und Lebenlassen – gewichtige Themen, die Aschenwald im Leser jedoch sanft zum Schwingen bringt, anstatt ihn damit zu erdrücken. Von den Straßen und Städten wandert die Erzählerin wachen Blickes bis hinauf in uralte Gebirgsgegenden. Auf ihrem Weg begegnet sie Fremden und Bekannten, Familien und Einzelgängern, die in sinnlicher Darstellung aus den Geschichten hervortreten.

Leichten Herzens legt die junge Autorin ein bemerkenswertes Debüt vor. Aschenwalds zutiefst unzynischer Blick sieht in den selbstgemachten Katastrophen unserer Zivilisation nicht nur das Dämonische, sondern auch das Banale. Eine eigentümliche Leichtigkeit macht den speziellen Ton ihrer Prosa aus, der aus den vielen Stimmen zeitgenössischer Literatur angenehm hervorsticht.

Barbara Aschenwald, geboren 1982 in Tirol. Studium der Vergleichenden Literaturwissenschaft in Innsbruck. Verfasst Lyrik, Prosa und Hörspiele. Mitarbeit bei den Tiroler Volksschauspielen Telfs. Ausgezeichnet mit dem Rimbaud-Preis (2002).

Barbara Aschenwald

Leichten Herzens

Erzählungen

Fürchtet euch nicht

Es bewegt sich und lebt aber nicht, es leuchtet und ist nicht die Sonne, es strahlt, es bringt Hitze und Kälte, es erhält am Leben, es tötet, es macht gesund. Es dreht sich, es ist in den Kabeln und Schläuchen und Häusern, in den Wänden, es fliegt zum Mond.

Es geht nichts mehr ohne es.

Wenn man im Bauch eine Entzündung hat, muss man das entzündete Fleisch herausschneiden, sonst stirbt man daran.

Es lässt die Fernseher laufen, die Herz-Lungen-Maschinen, die Laternen, die Telefone, die Backöfen, es lässt die Leinwände bunt werden, es lässt das Wasser warm werden und die Betten, es durchblutet die Herzkranzgefäße, es flattert durch die Lüfte und in den Köpfen.

Kometen, Atome, radioaktive Strahlen, Grippeviren, Weltkrieg, Privatkonkurs, Weltkonkurs, Weltwirtschaftskrise, Weltuntergang, Armageddon.

Wir sind noch da. Die Menschen im Fernsehen sagen, dass es schlimmer wird. Trotzdem sind wir noch da.

Und die Wälder sind da und der Boden unter unseren Füßen ist da und der Himmel über unseren Köpfen und der Hunger und in unseren Augen das Weltmeer.

Es gibt böse Menschen, die Menschen umbringen wollen, weil sie etwas anderes glauben, etwas anderes wollen, zu einem anderen Gott beten, andere Augen haben und eine andere Haut und andere Seelen, sagen sie, sie wollen uns ans Leben, Ihnen und Ihrer Familie auch, wir müssen uns retten, wir müssen sie angreifen.

Diese Menschen lassen die Gebäude einstürzen, die Züge entgleisen, die Häuser in Flammen aufgehen. Die, die keine Angst vor dem Tod haben, sind am gefährlichsten, sie tragen den Sprengstoff in ein Lokal, wo viele Leute sind, und lassen alles explodieren. Sie haben keine Angst.

Hier zünden die Leute den Wald an, sagt eine Frau in Italien, es gibt keine Arbeit, aber wenn sie den Wald anzünden, dann muss man ihn löschen und dann braucht man sie. Dann haben sie wieder Arbeit.

Sie haben uns Medizin angeboten gegen unsichtbare, gefährliche Krankheiten und wir haben sie gekauft.

Sie sagten, man muss in den Krieg ziehen und wir sind in den Krieg gezogen.

Im Fernsehen sieht man die einstürzenden Gebäude, die brennenden Häuser, die sterbenden Kinder, die El-tern, die an ihren Betten stehen.

Es leuchtet und blitzt und zuckt und bewegt sich ruckartig.

In den Zeitungen steht Hungersnot und Tod, Seuchen und Krankheit, Werteverfall und Konkurs.

Das haben Sie noch nie erlebt.

Es ist Armageddon, sagen die Zeitungen.

Man sieht Bilder von Familien, die von der Polizei aus ihren Häusern gezerrt werden. Wir machen das nicht gern, sagen die Polizisten, wenn Sie Ihre Rechnungen bezahlt hätten, wäre das nicht passiert.

Es ist mächtig. Und es ist nicht böse. Es meint nichts.

Ihr Leben ist wertvoll. Versichern Sie es.

Wenn man alles tut, um in die Gnade Gottes zu fallen, verdient man sie dann noch?

Die Sterne auf ihrer Bahn gehen den Weg durch den Tierkreis.

Schützen Sie Ihre Kinder, gehen Sie zur Impfung, sorgen Sie vor, helfen auch Sie, nehmen Sie Anlauf und rennen Sie mit dem Kopf gegen die Tischkante.

Wo ist die Katastrophe außer in der Zeitung und im Fernsehen und in den Köpfen?

Ihr Leben ist wertvoll. Wenn es versichert ist.

In der Apotheke fragt ein junger Mann, ob man denn an der Grippe sterben kann, und die Apothekerin sagt, ja, wenn man dazu veranlagt ist.

Wer ist das eigentlich nicht?

Schützen Sie Ihre Kinder.

Rinderwahnsinn, Maul-und-Klauenseuche, Schweine-grippe, kollektive Verblödung, Vogelgrippe, Fischgrippe, Igelgrippe, ausgestreute Angst wie Samen, die keimen.

Ihr Leben ist wertvoll.

Tief unter der Erde wohnen die Titanen.

Es gibt Leute, die es böse gemeint haben.

Es sind die, die immer gesagt haben, es wäre alles für uns und wegen uns.

Wenn alles für uns und wegen uns ist, ist daran nicht etwas faul?

Es ist nicht wegen des Geldes. Es ist alles wegen Ihnen. Wir haben Sie lieb.

Die Rinde der Bäume wächst nicht wegen uns und trotzdem für uns.

Die Samen werden zu Pflanzen und nicht nur zu immer größeren Samen.

Es wird kein riesiger Samen aus dem wachsenden Samen.

Es wird daraus eine Pflanze. Was für eine, das sieht man nicht unterm Mikroskop und nicht im Teilchenbe-schleuniger und nicht an der Oberflächenspannung des Wassers.

Durch den Ultraschall sieht man das Geschlecht des Kindes, noch bevor es auf der Welt ist.

Auf einem Blatt Papier wachsen die einzelnen Buchstaben. In unseren Körpern gibt es Zähne und Knochen wie Steine und Ideen wie Samen und Fleisch wie Erde und Blut wie Wasser und Luft in den Lungen und Feuer zwischen den Rippen.

Eine junge Frau heiratet und bekommt ein Kind. Sie bleibt lange daheim und kümmert sich um das Kind. Wenn sie mit dem Kind im Wagen spazieren geht, hat sie ihre guten Stiefel an und ihre schöne Jacke, weil sie sonst nicht ausgeht. Sie gefällt sich so besser und am Kin-derwagen hält sie sich fest, wenn sie auf den hohen Absätzen umknickt.

Es wird ein sehr gut erzogenes und freundliches junges Mädchen aus dem kleinen Kind. Die Mutter sagt, sie wolle jetzt wieder etwas für sich tun. Sie lässt sich die Haare kurz abschneiden und redet von Befreiung und sie kann wieder mehr fortgehen, weil das Kind sie nicht mehr so viel braucht, und sie redet von Selbstentfaltung und sie geht mit ihren Freundinnen zu einem Kurs und sie erzählt ihrem Mann von den Seelen, und dass sie durch viele Körper gehen und sehr oft auf die Welt kommen, und ihr Mann sagt, das sei sehr interessant. Sie sagt, vielleicht bin ich auch schon öfter auf der Welt gewesen und weiß es nur nicht, und er sagt, ja, das ist möglich.

Sie sagt, ich muss jetzt wieder auf mich schauen.

Es gibt Bauern, die Unterstützung bekommen und Förderungen, und wenn sie das Geld, das man ihnen gibt, annehmen, dürfen sie nur mehr die Samen aussäen, die ihnen vorgeschrieben werden, und die müssen sie kaufen. Sie sind steril. Sie kaufen sie jedes Jahr.

Die Welt verhungert, wir brauchen bessere Züchtungen, Erntemaschinen, Turbokühe, genmanipulierte Pflanzen, hybride Sorten, chemische Düngemittel, Herbizide, Pestizide, kontrollierte Bewässerung, Erdäpfel mit eingebautem Glühwürmchen-Gen, die leuchten, wenn sie Wasser brauchen. Das gibt es.

Es gibt auch eifersüchtige Glühwürmchen.

Wie kann man auch in der Zeit der Krise den Leuten etwas verkaufen?, fragen die Unternehmen, weil wir müssen die Krise überstehen und unsere Angestellten bezahlen. Es kommen die Unternehmensberater, sie sagen, wir wissen, wie das geht. Die Sachen, die wir verkaufen wollen, dürfen nicht nur Sachen sein. Sie müssen ein Gefühl sein. Und Ihre Mitarbeiter müssen dem Kunden suggerieren: „Wir haben dich lieb.“

Wenn wir wissen, was wir brauchen, muss uns niemand lieb haben.

Sie haben gesagt, wir haben viel Geld verbraucht, mehr als wir haben, viel mehr. Der Staat muss uns jetzt Geld geben, ihr müsst uns helfen.

Sonst wird es noch schlimmer werden.

Eine Frau geht zur Bank und sagt, sie kann ihren Kredit nicht zurückzahlen. Man pfändet ihren Besitz, sie holen alle ihre Sachen ab, sie steht vor ihrem leeren Haus.

Ein Mann leiht sich viel Geld von einer mächtigen und ehrenwerten Gesellschaft.

Er kann es nicht zurückzahlen. Sie brechen in der Nacht in sein Haus ein und bringen ihn und seine Frau um.

Es rauscht durch die Lüfte, es blinkt, es surrt über unseren Köpfen.

Es singt in den Stromleitungen.

Es ist mächtig und es ist nicht gut.

Die Sonne steigt den Himmel hoch.

Oberhalb der Erde bekommen die Pflanzen ihre Formen, die Wurzeln sehen alle gleich aus. Sie haben kein Fell und kein Fleisch und keine Organe.

Es lebt nicht, aber es bewegt sich. Es kommt von unter der Erde.

Wir haben es herausgeholt.

An einem gesunden und glücklichen Menschen kann man nicht verdienen.

Weil er keine Medizin braucht.

Ist das Kapital die Moral?

Wenn die Kunden nichts mehr kaufen, haben wir zu wenig Werbung gemacht, sagen die Unternehmer. Wenn man etwas herstellt, das niemand braucht, und niemand kauft es, dann haben wir zu wenig Werbung dafür gemacht, sagen sie.

Die Dämonen sitzen uns in den Ohren und sagen, gehet hin und shoppet!

Und wir gehen hin, mit Stöpseln in den Ohren, mit Angst, mit viel und wenig Geld, mit kalten Händen und übergehenden Köpfen.

Gehet hin und shoppet.

Ihr Leben ist wertvoll.

Wir haben Sie lieb.

Die junge Mutter hat gesagt, sie muss jetzt wieder mehr auf sich schauen. Sie kauft sich viele Bücher, auf denen steht „Spiritualität“ und „Energie“ und „Seele“. Es geht mir nicht gut, sagt sie, es war jetzt immer sehr viel Arbeit und viel Zeit für das Kind. Ihr Mann sagt, das stimmt, es war wirklich viel Arbeit, aber jetzt ist unsere Tochter groß und ist ein sehr gut erzogenes Mädchen geworden und du kannst wieder etwas für dich tun.

Die junge Mutter wird krank, trübselig und schwach.

Ich weiß jetzt, was ich will, sagt sie nach einiger Zeit zu ihrem Mann.

Ich werde Therapeutin.

Es fliegt durch die Luft und lacht laut.

Die wirkliche Sache steht im Kleingedruckten.

Weil wir Sie so lieb haben, muten wir Ihnen diese Welt nicht zu.

Aber wir regieren sie.

Die Gefährlichsten sind die, die keine Angst haben.

Nicht nur als Attentäter. Sondern als Regierte und Gemaßregelte und Überwachte und Zwangsbeglückte und Verwaltete.

Die Dämonen sitzen uns in den Ohren.

In der Bibel steht nicht, gehet hin und shoppet.

Die Gefährlichsten sind die, die keine Angst haben.

Gehet hin und fürchtet euch nicht.

Keine Dunkelheit

Ich bin auf der Straße, jeden Tag ist es eine andere, aber sie sieht überall gleich aus.

Ich bin in einer Stadt, es ist jeden Tag eine andere, aber sie sieht immer gleich aus.

Sie heißt jeden Tag anders.

Die Meinung gehört mir, deshalb heißt sie Mein-ung.

Ich bin in einem Land, das ich kenne, ich habe hier sogar Verwandte. Mit diesem Land habe ich also etwas zu tun, mein Körper hat etwas damit zu tun, weil ich hier Vorfahren habe, und deshalb also ich. Wo meine Vorfahren herkommen, machen sie guten Wein. Ich bin jetzt also hier. Es sieht überall gleich aus in den Städten. Vielleicht meint man das auch nur, weil die Geschäfte gleich heißen, es sind überall die gleichen Geschäfte. Ihnen gehören die Innenstädte, man fragt sich, was sie mit den Leuten zu tun haben, die dort wohnen. Irgendwie sind es deshalb Geisterstädte.

Die Kinder sehen fern. Sie schauen zu und es gefällt ihnen und doch sind sie nicht da. Sie machen ein Gesicht, wenn sie zuschauen. Es ist das Gesicht der Stadt. Es gibt Galerien zum Einkaufen. Es gibt Blumen zu kaufen. Sie heißen „floraler Moment“. Es gibt Kaffee zum Verwöhnen. Es gibt eine „Genusszone“. Die Auslagenfenster sagen „Für Sie!“ und „Wegen Ihnen“ und „Weil Sie!“, „Für Sie 24 Stunden da“, „Wegen Ihnen in Bestform“ und „Weil Sie es sich wert sind!“

Es gibt keine Menschen mehr.

Sie sind fort.

Niemand ist mehr da, deshalb sind es Geisterstädte.

Es ist dunkel, weil es immer hell ist, hell sein muss und nicht still sein darf.

Ein Bett aus Erde mit einer Decke aus Gras und einem Kopf aus Stein ist ein Grab und kein Bett. „Sie hören nicht auf, sich zu bewerben, auch nach der dreihundertsten Absage nicht. Das sind die Helden von heute!“ Niemand will etwas von ihnen, dafür lässt man sie aber Helden sein.

Es gibt Streit über den Menschen und die Kinder.

Man darf sie nicht im Bauch der Mutter umbringen.

Man muss sie auf die Welt kommen lassen, weil sie Würde haben, ein Leben, und das von Anfang an, weil ihr Herz nach ein paar Wochen schlägt, weil sie ab dem ersten Moment im Bauch der Mutter da sind, lebendige, menschliche Wesen und nicht nur eine Handvoll Zellen. Das ist wahr.

Aber darüber streitet man sich.

Ab wann gilt der Mensch.

Und was.

Was kommt dann. Sie kommen auf die Welt, die Menschen, die Kinder. Was will man ihnen, was kann man ihnen geben, was interessiert einen daran, dass sie auf der Welt sind?