image

firma

Klaus Merz

Prosa Gedichte

Mit acht Pinselzeichnungen
von Heinz Egger

Aus der Firmengeschichte
(1968–2018)

 

Wir führen
nur sporadisch Buch.
Es geht um die
Denkwürdigkeiten.

 

20. Juli 1968

Fast dämmert es schon unter den hohen

Bäumen der Badeanstalt, die ihre Kronen mit

den nahen Friedhofsbäumen verschränken.

Seit je schwebt leichter Karbolineumgeruch,

vermischt mit einem Hauch von Urin, über

den grünen Wassern. Frau Droz macht Kasse

und räumt das Leckereienkabäuschen auf,

sie will heim, läutet mit ihren Schlüsseln.

Während der junge Heilsarmeeoffizier zu

einem letzten Überschlag vom Einmeterbrett

ansetzt, greifen wir entschlossen nach den

Kugelschreibern und setzen unsere Signaturen

unter den Mietvertrag des Gebäudes,

der schon seit dem Morgen in doppelter

Ausführung vor uns auf den Badetüchern

liegt: Die Firma steht.

 

7. August 1969

Kurz vor Feierabend versetzt Alexander,

unser kaufmännischer Lehrling, die junge

Belegschaft in Unruhe: Es gebe kein

richtiges Leben im falschen, habe er über

Mittag in einem Nachruf gelesen. Und er

fragt grübelnd nach, ob es das „richtige“

Leben vielleicht gar nicht gebe. Da unser

Dasein schon von Grund auf „falsch“ angelegt

sei: sodass es eigentlich nur das falsche

im falschen geben könne. Was ja dann

aber, minus mal minus ergibt plus, durchwegs

wieder zum „richtigen“ führen müsse.

Unsere Belegschaft atmet auf, hörbar.

 

2. September 1971

Im Frühjahr entsteht neben dem florierenden

Betrieb eine Minigolfanlage, achtzehn

Bahnen, was bei den Angestellten natürlich

stets für unliebsame Ablenkung sorgt

und auch wochentags „viele Sportbegeisterte

samt Familie ans Schlageisen ruft“, wie

der Berichterstatter des Tagblattes elegant

festzuhalten weiß. – Am Samstag, es nieselt,

ziehen wir das Milchglas hoch, bis über den

Scheitelbereich.

 

16. Mai 1972

Wir werden durchleuchtet. Der Wagen der

Frauenliga fährt vor – Schirmbild – und

macht uns alle ein wenig krank. Zuerst sind

die Männer an der Reihe, sie machen sich

schon im Freien oben frei. Einatmen. Stillhalten.

Ausatmen. „Aufatmen“, sagen die

Raucher und langen noch schnell nach einem

Sargnagel, bevor sie wieder an die Arbeit

gehen. „Nach dem Durchleuchten der

Damen riecht es jeweils weniger streng im

Wagen als bei den Herren, Angstschweiss

halt“, sagt der Fahrer, er raucht eine mit.

„Die strahlende Röntgenschwester hat uns

ja alles ganz leicht gemacht“, sagen wir,

versenken die Kippen im Abwasserschacht.

 

19. Januar 1973

Irina, die wir kurz nach dem Scheitern des

Prager Frühlings bei uns aufgenommen

und dann gern in der Firma behalten haben,

trägt ein Medaillon um den Hals. Wer sich

denn unter dem feinen Golddeckel verstecke,

wollen wir immer wieder von ihr wissen.

Sie widersetzt sich den Neckereien konsequent,

„zieht den Eisernen Vorhang zu“,

sagt Graber und erschrickt, als Irina ihm

ihr Kleinod vor die Nase hält: Es ist ein Bildchen

des jungen Jan Palach, der sich aus

Protest gegen den sowjetischen Einmarsch

auf dem Wenzelsplatz selbst angezündet hat.

Vier Jahre zuvor, auf den Tag genau.

 

19. April 1975

Wäre der Geschlechtsverkehr nicht offensichtlich

in geschäftseigenen Räumen

vollzogen worden, wir hätten darüber hinwegsehen

können: Die beiden Beteiligten

zeigen ihre erhitzten Gesichter, dahinter

unscharf das Firmenlogo. (Vom Fotografen,

der das Bild kurz nach Neujahr ans

Schwarze Brett gepinnt hat, keine Spur.)

Wir haben Stellung beziehen müssen und

halten fest: Es ist Liebe. Unterm Reisregen

der gesamten Belegschaft verlässt das

Hochzeitspaar kurz vor Mittag guter Hoffnung

die Kirche.

 

2. April 1978

In unserem Firmenkeller wird getrommelt

und geschwitzt. Mittwochnachmittags

ist schulfrei, Kambers Sohn hat sich mit

drei Freunden und ihrem Schwermetall

zwischen den Kartoffelhorden eingerichtet.

Von fern nur erahnen wir Obergeschossigen,

was es heisst, wenn einem Hören und

Sehen vergehen soll. „Gezinst“ wird auf den

1. Januar, ein Gratiskonzert für die Belegschaft,

so steht’s im „Vertrag“. Noch wissen

wir nicht, ob wir uns darauf freuen oder

davor fürchten sollen.

 

7. Februar 1980

Hutlose Lieferanten werden nicht empfangen!

Das Emailschild dräut über dem Geschäftseingang

unseres einzigen Untermieters, dem

permanent klammen Hutfabrikanten mit seinen

sieben Kindern. Aus Solidarität zu ihm und

seiner kleinen Belegschaft, der zarten Modistin