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BARBARA NEUWIRTH

Helden
Heldin
Superhelden

HAYMON

INHALT

Am richtigen Ort

Meine Geschöpfe

Verführung durch die Abenteu(r)er

Sag nicht, für wen du schwärmst

Schwarzenegger und Barbar

Lisbeth, Judy, Katniss und Hermine

Ein ausgestopfter Tiger im Zellumwandler

Der Comicladen des Herrn Engel

Helden heißen

Ein echter Held stirbt nicht

Artus und der europäische Kreis

Magier Alan Moore

Ein Held des Alltags

Ein Held und eine Heldin

Eine Auswahlliste erwähnter Bücher

Filmbeispiele zum Text

Die Autorin

Lasst Helden um mich sein.

Am richtigen Ort

Grau war sie, die Josefstadt. Und turmhoch die Gebäude mit ihren fahlen Fassaden bis in den Himmel.

Mehrstöckige Gründerzeithäuser beengten rechts und links die schmale Gasse, in der Vater das Auto geparkt hatte. An ihrem Ende standen wiederum Gebäude, es war ein Labyrinth aus Häuserblocks umzingelnden Straßen. Der Streifen Azur, den mein suchender Blick weit oben sah, wirkte wie eine Kulisse mit der Anmutung von Himmel.

Meine Eltern führten mich in einen Flur und weiter ins Treppenhaus, wo ich im Stiegenauge emporblickte. Über uns schraubte sich die Treppenspindel Stock um Stock empor. Die von einem kunstvollen Eisengeländer gefassten, von jahrzehntelanger Begehung glatt geschliffenen Steinstufen schienen in der Luft zu balancieren.

Meine Hand strich über den Kopf des gusseisernen Drachens, der am Ende des Geländers wachte. Mit unseren Taschen stiegen wir in den fünften Stock, wo wir von nun an leben würden.

Die neue Wohnung war kleiner als jene, die wir verlassen hatten, weil Vater nun woanders arbeitete. Aber die Räume waren viel höher. Auch in Drosendorf hatten meine Schwester und ich uns ein Zimmer geteilt. Es hatte angenehme Proportionen gehabt und sich mit einem großen, dreiteiligen Fenster zur Landschaft hin geöffnet. Hier im Wiener Kinderzimmer, das nur ein schmales Kabinett war, gab es ein hohes Kastenfenster zu einem grauen Häuserschlund, der umschlossen war von Hinterhoffassaden. Ich stand am Fenster, blickte auf den schmucklosen Verputz des Nachbarhauses und zum schweigenden Himmel darüber.

Bitte, ich will wieder heim, sagte ich den Eltern.

Ich war acht Jahre alt.

Den Weg zur Volksschule, den ich in derselben Woche kennenlernte, war – anders als jener in Drosendorf, der von diesseits des Raabser Tors durch die ganze Stadt bis jenseits des Horner Tors reichte – zweimal ums Hauseck keine drei Minuten lang. Und als ich ins Gymnasium kam, war er sogar noch kürzer. Ich kam an einem kleinen Lebensmittelladen und dem Kohlenhändler vorbei. Am Eck von Lammgasse und Florianigasse gab es das Kaffeehaus Merkur, hinter dessen Fenstern sich nikotinvergilbte Stores bauschten. Dort ging man nicht hinein, die Erwachsenen der Familie nicht und Kinder schon gar nicht. Im Hinterzimmer würde »Stoß gespielt«, hörte ich, ohne mir vorstellen zu können, was das sein sollte. Auf Nachfrage wurde es ein wenig klarer: ein Kartenspiel um Geld. Das klang anrüchig, ja irgendwie fast kriminell. Gleichzeitig strahlte das Merkur – so wie der ganze Bezirk damals – solide Langeweile aus.

In der Wiener Volksschule gefiel es mir wie schon davor in den beiden anderen. In Drosendorf hatte ich mich in der Obhut meiner Lehrerin wohlgefühlt. In Retzbach, wo ich nur als Zwischenstopp bei der großen Übersiedelung vom Land in die Hauptstadt wenige Monate die zweite Klasse besuchte, hatte mich der gleichzeitige Unterricht von vier Schulstufen in einem Klassenzimmer unterhalten. Beide Orte waren mein Zuhause gewesen. Auch in der großen Stadt gewöhnte ich mich schnell in der Klasse ein. Ich war neugierig auf alles, was man mir erzählen wollte. Ich fand Schule toll. Aber nach der Schule musste ich zurück in die Wohnung. Und dort fühlte ich mich nicht zu Hause.

Früher hatte ich, wenn ich nach dem Unterricht heimgekommen war, überallhin laufen können. Nicht nur in den Garten rund ums Haus, sondern auch jenseits der Straße auf die Streuobstwiese, wo Gottesanbeterinnen auf den hohen Gräsern saßen, und bis zum Hofmannsmarterl und zum steilen Felsabriss zur Thaya. Silberdisteln breiteten sich am Boden aus und knisterten trocken, wenn ich auf sie trat. Im Veilchenwald hatten meine Schwester und ich im Frühling die ersten duftenden Sträuße als Geschenk für unsere Mutter gepflückt und waren über den steilen, tannennadelgepolsterten Pfad zum Platz des Sonnwendfeuers gerutscht. Wir waren durch den dampfenden Mischwald gestreift, wo nach Regennächten Frauen mit Metallkörbchen Weinbergschnecken sammelten, oder zur Thaya hinuntergelaufen, zu diesem geheimnisvollen Fluss, auf dessen Oberfläche sich der Himmel mit all den Wolkengestalten spiegelte. Ich war Indianer gewesen und hatte mich vor Schurken im Gebüsch versteckt oder war selbst auf der Suche nach den Schurken durch den Wald geschlichen, um sie zu belauern. Immer war ich erfolgreich heimgekehrt, manchmal mit Schätzen beladen, schönen Steinen, gebänderten Schneckenhäusern, Wunderblumen, die ich gefunden und verteidigt hatte. Ich war der Schlangenkönigin begegnet, die mit ihrer glitzernden kleinen Krone am Kopf unter dem großen Felsblock am Thayahang wohnte und an heißen Sommertagen manches Mal darunter hervorkroch.

In Wien aber war ich eingekerkert in einer Wohnung, die von meinem bisherigen Leben so weit entfernt war wie Rapunzels Turmzimmer vom gewöhnlichen Dasein. Das Pouvoir der freien Bewegung war mir plötzlich entzogen und der Josefstädter Schönbornpark – er war mir als einziger Spielauslauf vorgestellt worden – verfügte lediglich über einen Kinderkäfig mit Sandkiste, Rutsche, Wippschaukel und einem Hamsterrad, auf dem die Kinder, sich an zwei Griffstangen festhaltend, laufen konnten.

Bei meinem ersten Besuch im Kinderkäfig hatten mich die anwesenden Mädchen für einen Buben gehalten, weil ich ihnen wild und mutig vorkam. Meine kurzen Haare und mein fröhlich-freches Gesicht waren nichts Besonderes für eine Achtjährige, aber offenbar war meine Ersterkundung des Kinderkäfigs für die Alteingesessenen befremdlich gewesen. Voller Energie war ich von Eck zu Eck herumgelaufen, auf die Geräte geklettert, so weit wie möglich abgesprungen und hatte am Hamsterrad versucht, Paavo Nurmi alle Ehre zu machen. Woanders konnte man ja nicht weit laufen. Tatsächlich gab es zum Wild- und Mutigsein für meinen Geschmack gar keinen Platz. Aber vielleicht war mein Den-Raum-in-Frage-Stellen schon der größte Tabubruch gewesen, der die anderen Kinder irritierte. Denn Tabubrüche kamen nun einmal von Buben …

Schnell hatte ich verstanden, dass der Park mich nicht glücklich machen würde. Ich hatte niemanden zum Spielen gefunden und es gab keinen Platz für meine Beschäftigungen. Ich konnte nirgendwo in einer Wiese liegen und, den Wolken folgend, Abenteuer erleben, die noch niemand erzählt hatte. Nun galt es, die Wochentage abseits der Schule anders zu gestalten und auf die Wochenenden zu warten, an denen wir ins Grenzland zwischen Wald- und Weinviertel, Niederösterreich und Südmähren fahren würden. Bei Oma wären wir wieder frei, den Hofgarten zu verlassen und die gesamte Umgebung bis zur Landesgrenze zu durchstreunen.

Für die Wochennachmittage aber, die ich nicht im Kinderkäfig verbringen wollte, musste ich andere Landschaften finden. Nun bekam das Lesen, diese im ersten Schuljahr aufgestoßene Tür in die Freiheit, einen noch wichtigeren Platz in meinem Leben. Denn jetzt bedeuteten die Buchseiten das Himmelszelt und die Buchstaben waren die Wolken, denen ich folgte. Auch Robinson Crusoe war auf einer Insel gestrandet – so wie ich in der Josefstadt. Eine Jugendbuchausgabe von Daniel Defoes Werk machte mir jedoch klar, wie viel besser als der Held dieser Abenteuergeschichte ich es hatte: Robinson Crusoe hatte keine Bücher, während ich auf verschiedenen Wegen an Lesematerial kam und zum Beispiel mit den Helden der Jules-Verne-Romane nicht nur die ganze Welt umreiste, sondern mit Kapitän Nemo auch die Meerestiefen ergründete, mit Kapitän Hatteras am Nordpol war und mit Professor Lidenbrock, seinem höhenangstgeplagten Neffen Axel und dem Eiderentenjäger Hans Bjelke zum Mittelpunkt der Erde gestiegen bin. Letzteres übrigens mehrmals im Buch und später im Film. Jules Vernes Helden haben mich auch begleitet, als ich Island besuchte und den Snæfellsjökull – aus der Ferne – betrachtete. Denn der Ort, wo Heldentaten gelingen, trägt viel zu ihrer Attraktivität bei.

Meine Geschöpfe

Held ist kein Wort, das wir als Kleinkinder lernen. Im ersten Benennen unserer sozialen Welt geht es um die verwandtschaftlichen Begriffe – Mama, Papa, Oma, Tante. Im nächsten gibt es Berufsbezeichnungen für Menschen. Da ist einer Bäcker, ein anderer Rauchfangkehrer, eine Lehrerin, eine andere Friseurin, eine Krankenschwester. Durch Volkskultur und Kunst öffnen sich nach und nach weitere Fächer von potenziellen Identitäten unserer Gegenüber: Kasperl, Rübezahl und Zwerg, Biene und Wildgans, Gouvernante und Fürst, Teufel und Baumeister, Indianer und Cowboy, Seefahrer und Pirat, U-Boot-Kapitän und Polarforscher, Arzt, Richter, Astronaut, Landvermesser, Höhlenforscher, Krieger, Halbgott, Gott. Und plötzlich ist er auch da, der Begriff Held, aber er ist schwammig, weil er nicht nur für eine Figur steht, die mit einer Heldentat reüssiert, sondern für jede Hauptfigur einer Geschichte. In Friedrich Kluges Etymologischem Wörterbuch der deutschen Sprache wird das Wort Held im Mittelhochdeutschen nachgewiesen, es bedeutet »Mann« und verschiedene nördliche Wurzeln verbinden das Wort auch mit »Erbauer«. Es bezeichnet ursprünglich auch den Hirten, der in Urzeiten der jugendliche Kämpfer gegen menschliche und tierische Räuber war. Der Hirte war der erste Held.

Die zweite Bedeutung des Begriffs, »Hauptperson einer Handlung, eines Gedichts«, belegt Kluge als seit 1729 nachgewiesen. Von nun an haben wir Lesende es in jedem Fall mit Helden zu tun, egal, wie die Hauptfigur sich verhält.

Zunächst scheint also alles einfach: Ein Held ist ein Mann, der mutig gegen Widersacher (Mensch oder Natur) antritt und erfolgreich ist. Er steht für positive Werte, von denen es universelle gibt, wie Liebe, Gerechtigkeit, Schutz der Schwachen, und variable, die Auskunft geben über die jeweils vorherrschenden Weltbilder einer Gesellschaft, wie Ehre, Stolz, Demut, Gelehrsamkeit, Glaube oder Siegeskraft.

Die Gleichsetzung von Hauptfigur mit Held ist aber oft ein schiefes Konstrukt, denn viele Hauptfiguren sind weder bewunderungswürdig noch gut. Nun ja, dass die Theorie grau sei, ist Mephistopheles’ Bild vom Widerspruch zwischen verbaler Beschreibung und gelebter Praxis und deckt den Schlamassel in Bezug auf Helden in einem Handstreich auf und zu. Denn wir benutzen den Begriff, obwohl die Menschen oft sehr unterschiedliche Vorstellungen vom Heldentum im Kopf haben.

Ich war in eine Welt des Friedens geboren worden. Wir Kinder einer etablierten Nachkriegsordnung waren umgeben von Erwachsenen, die die Vergangenheit ruhen ließen wie eine Nacht, über deren Dunkelheit man nicht mehr sprechen will. Von »Helden« hatten viele die Nase voll. Trotzdem haben sich Helden und Heldinnen in mein Leben geschlichen und sind geblieben.

In meinem Elternhaus war von Helden nur die Rede, wenn von erdachten Figuren gesprochen wurde. Es gab sie in Sagen und Abenteuergeschichten. Mich beeindruckten sie durch ihren Mut zur Überwindung ihrer Ängste. Sie kämpften gegen Schurken, Drachen, Riesen, Menschenfresser, Zauberer und Hexen, handelten gerecht und entwickelten für mich ihre größte Strahlkraft durch ihre Verlässlichkeit. Denn wann immer ich sie brauchte, warteten sie in den Büchern auf mich. Sie waren inspirierend und trösteten, wenn die reale Welt unübersichtlich, kränkend, bedrohlich wurde. Meine Helden waren immer verfügbar und würden mich nie verlassen. Das war die süße Gewissheit der Kindheit.

Bücher als Weihnachts-, Geburtstags- oder sogar Namenstagsgeschenke waren die begehrtesten Gaben. Sie öffneten die Tore zu neuen, fernen Welten und waren gleichzeitig der Garant sozialer Umarmungen. Beisammensitzen oder abends im Bett liegen und Mutters oder Omas Stimme lauschen, die uns Kinder zu bislang nicht Gedachtem, nicht Gekanntem führten, war genauso beglückend wie die Erkundungen im Garten, auf der Wiese und am Fluss. Überall gab es Neues, Unbekanntes, jeden Tag wurde die Welt größer, tiefer, höher, schöner, bunter, dunkler, schrecklicher.

Gefährten zu haben bei der Erkundung dieser Wunder war wichtig. Erst im letzten Jahr vor meinem Schuleintritt wurde arrangiert, dass ich in den Kindergarten gehen durfte. Meine Schwester war schon ein Jahr lang morgens mit ihrer Schultasche am Rücken zu ihrem wunderbaren Tagwerk aufgebrochen, während ich, ihr sehnsüchtig nachblickend, allein zurückblieb. Mein beharrlicher Wunsch, ebenfalls mit einer wichtigen Tasche morgens das Haus zu verlassen und mich auf den Weg zu einem spannenden Ziel zu machen, war schließlich von Erfolg gekrönt. Ich wurde im Kindergarten angemeldet und nun gingen wir gemeinsam los – meine Schwester mit der Schultasche am Rücken, ich mit der Kindergartentasche. In Drosendorf wohnten wir außerhalb der Stadtmauer, wo es keine gleichaltrigen Kinder gab außer dem Nachbarsmädchen, das ähnlich alt wie meine Schwester war und in dem sie eine Freundin gefunden hatte. In dem Jahr, in dem ich vormittags allein war, spielte ich nun noch öfter mit fantasierten Spielgefährten. Als Kleinste der Mädchenrunde wurde ich gelegentlich von den beiden älteren aber auch nachmittags zurückgelassen. Ich sehnte mich nach einem älteren Bruder, der mir – so war mein Plan – gegen meine Schwester beistehen sollte, wenn wir stritten. Er würde mir recht geben, an meiner Seite stehen und meine Hand halten. Auch meine fantasierten Spielgefährten waren immer Buben, schließlich erlebten in den Geschichten die Buben die spannenden Abenteuer, und meine eigene fantasierte Rolle war nie eine für Mädchen vorgesehene.

Die Einschlaf-Vorlesebücher waren Nahrung für meine Spielefantasien und meinen Umgang mit der realen Welt, aber die erste Begegnung mit einem Helden, der mich so sehr begeisterte, dass ich mich fortwährend mit ihm beschäftigen wollte, fand erst statt, als ich selbst lesen konnte. Dann erst erhob sich die Figur eines Helden vor meinen inneren Augen aus den Buchstaben am Papier und wurde ganz mein Geschöpf. Schließlich lag es nun an mir, die Begegnung zu suchen, wann immer ich wollte.

Verführung durch die Abenteu(r)er

Mit 13 verliebte ich mich in einen Burschen, der sehr schön war. Er war fünf Jahre älter als ich, groß, hatte einen sportlichen Körper, lange blonde Locken und ein sanftes Gesicht. Er erfüllte alle meine pubertären Vorstellungen von einem schönen Mann, die ich durch die Lektüre von Abenteuergeschichten generiert hatte. Der Held war immer schön – zumindest in meiner geistigen Visualisierung. Schon möglich, dass Karl Mays früher Einfluss federführend wirkte, denn wenn er es auch nicht explizit schreibt, war mir doch nach der Lektüre der Winnetou-Geschichten klar: Helden sind schön. Und das konnte im realen Leben durchaus auch bedeuten: groß und blond. Vertieft wurde dieser ästhetische Eindruck durch die Verfilmungen aus den 1960er-Jahren von Karl-May-Werken oder nach Motiven aus seinen Büchern.

Eines war und blieb aber gänzlich unverhandelbar: Ein Held ist ein guter Mensch. Explizit wurde meine diesbezügliche Vermutung durch Winnetou I gefestigt, wo der Erzähler, der ebenfalls tadellose Held Old Shatterhand, bei der ersten Begegnung mit seinem heldischen Counterpart Winnetou nicht nur von dessen edlem Gesicht schwärmt, sondern bekennt: »Ich fühlte, daß er ein guter Mensch sei und außerordentliche Begabung besitzen müsse.«

Winnetou war als Held eindeutig die Lichtgestalt, blieb für mich aber ein Vertreter »eines anderen Stammes«. Bewundernswert, aber fremd. Als jungem Mädchen waren mir Helden wie Stewart Granger in der Rolle als Old Surehand oder John Wayne in all seinen Rollen näher. Sie ähnelten optisch einem Menschen, der mir als gut und zuverlässig bekannt war, nämlich meinem Fritz-Onkel, dem Cousin meiner Großmutter. Er bediente als Weinbauer mit seiner Arbeitskleidung die Assoziation mit den wettergegerbten, sich vor allem unter freiem Himmel aufhaltenden Westernhelden. Fritz-Onkel war ein Naturbursche, den keine Situation überforderte. Er hatte immer den Überblick, war von sanfter Großzügigkeit und genoss den Respekt aller Erwachsenen. Das Stoische, das ich mit John Wayne verband, kannte ich vom Fritz-Onkel.

Mein erstes Buch von Karl May, Winnetou in einer gekürzten Kaufhausausgabe mit allen drei Bänden, hatte meine Fantasie beflügelt. Ab sofort war ich beim Spielen im Garten und im Wald Indianer. Nicht Winnetou, das wäre vermessen gewesen, und schon gar nicht seine Schwester Nscho-tschi. Eine frühe Lektion: Frauen an der Seite von Helden sterben früh. Lieber war ich ein Indianer ohne Namen als eine totgeweihte Indianerin.

Meine Begeisterung für den Wilden Westen ging so weit, dass ich sogar ein Fan der ab Dezember 1968 auf Ö3 ausgestrahlten, von Günther Schifter moderierten Radiosendung Western Saloon wurde. Schifter begrüßte uns Zuhörende immer mit »Howdy, friends and neighbours«, was einen kleinen Kitzel von Wohlbehagen und Gruppengefühl bei mir auslöste. Die Country- und Western-Musik selbst mochte ich allerdings zu keinem Zeitpunkt in meinem Leben und den Western Saloon anzuhören war ein Opfer für meine ernste Bereitschaft, die Westernkultur in all ihren Facetten zu schätzen. Wer ein Fan ist, muss auch ein bisschen Leid in Kauf nehmen. Meine Begeisterung nahm die ganze Familie in Geiselhaft und verdonnerte alle, der Sendung zu lauschen, wenn wir mit dem Auto unterwegs waren und gerade der Western Saloon lief. Aufgeregt zappelte ich auf dem Rücksitz des Wagens als Eingeweihte der Westernkultur, wie ich mich selbst fühlte – Howdy!

Diese Leidenschaft für die Westernkultur hat sich nach und nach verlaufen. Das mag damit zu tun haben, dass sogar das Monument Valley seine Geheimnisse verloren hat und mir nicht erst beim Innehalten an den John-Ford-Aussichtspunkten gedämmert ist, dass der Western ein Tunnelblick-Genre des westlichen Mannes ist. Take Me Home, Country Roads ist der einzige Song aus dieser Musikgattung, der hängen blieb – wahrscheinlich nicht bloß wegen der eingängigen Melodie und John Denvers unprätentiösen Gesangs, sondern auch wegen des Texts. Hier wurde von einer Landschaft gesungen, zu der man gehörte. Die Teilentwurzelung aus der Heimatlandschaft, mit der meine Kindheit verbunden war, hatte ich 1971, als der Song veröffentlicht wurde, schon erlebt, und den Hinweis auf das Bergwerk nahm ich persönlich. Schließlich hatte mein Vater mit Bergwerken zu tun. Und ich durch meinen Namen auch.

Sag nicht, für wen du schwärmst