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Jeannine Meighörner

Die Luftvergolderin

Ein historischer Roman

„Kind, bitte Gott um meine Gesundheit!“

Der sechsundfünfzigjährige Kaiser Maximilian I. bei seiner Hochzeit mit der zwölfjährigen Anna von Ungarn und Böhmen im Stephansdom zu Wien, 1515

„Ein guter Maler hat zwei Hauptsachen zu malen, nämlich den Menschen und die Absicht seiner Seele.“

Leonardo da Vinci, 1516

Das Mädchen und der Maler

Zehn Sonnen

Sie ist nichts als Gold und Licht. Selbst der Staub um sie schimmert, als vergolde sie die Luft. Dabei ist die Luftvergolderin jung: ein Mädchen mit einer Goldhaube, unter der goldblondes Haar hervorblitzt, ihr Kleid ist mit Sonnen aus Goldfäden bestickt, ihr Hals mit Juwelen geschmückt. Ein Flirren und Glitzern erfüllt den Raum. Ein Funkeln und Glimmen.

„Falscher Zauber“, flüstert ein Betrachter der Szene. Das Mädchen spielt eine Himmelskönigin – oder was es dafür hält: Es geht nicht, es schreitet, alles gerät zur Pose. „Mich täuschst du nicht, Beobachten ist mein Beruf!“ Noch im Flüstern zählt der Mann auf der Brust des Mädchens zehn feuerzüngelnde Sonnen und er erkennt, dass es geweint hat. Heimlich geweint. Nun schmollt es mit dem Schmollmund eines Kindes. Irgendeines Kindes mit einer fleischigen Unterlippe.

Plötzlich geht ein Ruck durch die zarten Glieder. Das Schmollen weicht einem Lächeln, doch die Augen bleiben starr.

„Deine Augen, in der Farbe von tiefem Wasser, sind das Ehrlichste an dir“, wispert der Betrachter mit gedämpfter Stimme.

Aber was ist schon ehrlich in der Hofburg zu Innsbruck? Menschen buckeln vorne und schmähen das Mädchen hintenherum als „goldene Gans“. Wohl meinend, es wüsste dies nicht und wäre zu jung für die Wahrheit. Ihre Wahrheit. Und überhaupt: Es ist eine Fremde.

Mit dem Tod Kaiser Maximilians I. im Winter 1519 versank eine Welt mit ihm in einem Gerangel um Macht. Nun, im zweiten Jahr danach, meint die Luftvergolderin, ihr stünde wieder eine Hauptrolle zu. Sie war Maximilians Braut …

„Ich weiß alles, ihr Narren!“ Ihre mühsam verstellte Stimme klingt dunkel, die Gewänder sind schwer, der falsche Zauber hat seinen Preis: Eigentlich heißt das Mädchen Anna, aber keiner spricht diesen schönen Namen aus, keiner darf es. Posiert Anna vor ihrem Hofstaat als Lichtgestalt, bleibt sie eine Gefangene ihrer Einsamkeit.

„Majestät, ich bin geblendet!“ Der Betrachter heuchelt plötzlich Begeisterung. Ein Maler ist er und so nennt er sich auch: Hans Maler, Maler zu Schwaz in Tirol. Er soll die Luftvergolderin unsterblich machen, sie der Zeit entreißen, denn die Vergänglichkeit frisst auch Mädchen aus Gold. Solche, die Anna heißen, die aber niemand zärtlich „Anna“ nennt. „Meine kleine Ungarin“ – so nennt Hans Maler Anna in seinen Gedanken. Zärtlich fast, denn sie saß ihm schon häufig Modell: als Kind und als viel zu junge Braut. Eine Braut, die als Jungfrau zur Witwe wurde. Doch dieses ungewöhnliche Wesen zu mögen, ist wie ein Spaziergang auf einem Seil. Einem schwankenden Seil. So weiß der Maler, dass ihr Lachen falsch ist und ihre Haare gebleicht. Früher hatte Annas hüftlanges Haar die Farbe von Lehm. Aber welche eingebildete Himmelskönigin möchte Haare in der Farbe von feuchter Erde? Von Schmutz? Dabei ist ihr Schicksal ungewiss, auch dies weiß er. Raschelnde Gewänder aus Brokat und Goldstickerei bedeuten viel oder wenig in Zeiten wie diesen, einer Epoche des Wandels, die selbst goldene Bräute verschmäht. Solche mit einem Schmollmund allemal …

Sie mag ihn – und sie mag ihn nicht. Eigentlich ist der Maler ihr unheimlich. Sein Blick verweilt nicht an ihrem Sonnenkleid, mag er auch schauspielern, ihn beeindrucke ihr Anblick. Ihre Anmut. Doch sie weiß nur zu gut, dass er kein Blender ist und keiner, der sich blenden lässt.

So langweilen ihn ihre Juwelen und er murrt, wenn er sie malen muss: „Ich interessiere mich mehr für Menschen, die Beschaffenheit ihres Gesichts, die Sprache ihres Körpers. Sie passt selten zu den Worten aus ihren Mündern.“ Die Ironie seiner Worte wirft Fältchen um jene Augen, denen nichts entgeht. Anna hält diesem Blick stand. Anna hält immer stand. So ist sie erzogen.

Hans Maler steht hinter seiner Staffelei, die Farbpalette zur Linken und einen Pinsel zur Rechten. Er verändert sich. Ja, auch sie beobachtet ihn. Bevor er sein Werk beginnt, folgt er einer Art Choreografie: Der Maler schließt die Lider und saugt Luft in sich hinein, bewegt seine Lippen, als trinke er Luft. Pumpt seinen Brustkorb damit auf. Ein merkwürdiges Spektakel: ein stattlicher Mann, der breitbeinig hinter einer Staffelei steht und Luft zu trinken scheint.

Sie möchte laut herauslachen, aber als der Lufttrinker wieder seine Augen aufschlägt, ist er ein Besessener. Seine Pupillen scheinen nun von einer inneren Glut erhellt, und sogleich dringt er in Anna ein, als sei ihr Köper ein dunkler Brunnenschacht, an dessen Ende ihre Seele wie schwarzes Wasser schimmert. Erdig und geheimnisvoll. Das ist gruselig und faszinierend zugleich.

„Malerei ist Magie“, säuselt er.

„Hokuspokus“, schimpft Anna. „Magie? Was soll das sein?“ Tiefe Gefühle zu zeigen, ist gefährlich, das lernte sie schon als Kind. Auch hält man sie nicht in Innsbruck fest, auf dass sie ein besserer Mensch werde – oder eher noch eine bessere Braut. Hier geht es um ihr Erbe. Ihr Prestige. Das wusste sie schon, als man sie nach Tirol brachte: als Zwölfjährige, weit entfernt von ihrer Heimat und ihrer Familie.

Unterdessen lächelt der Maler in sich hinein und denkt: Ach, kleine Ungarin, mir machst du nichts vor. Ich kenne dein Gesicht. Kenne es besser als das sommersprossige Gesicht meiner Magd Lina, die in pechschwarzer Nacht unter meine Bettdecke kriecht und tagsüber zweimal zur Kirche rennt. Ich kenne dein Antlitz sogar besser als mein eigenes, denn ich bin kein Albrecht Dürer, der sich selbst porträtiert. Und dies immer nach der neuesten Mode: im Pelzrock, mit geschlitzten Hemden, dem Bart eines Rebellen und gebrannten langen Locken. Seit Dürer in Italien war, verkündet er sogar die Gottesebenbildlichkeit des Menschen. Ja, die Gottesebenbildlichkeit. Ich hörte ihn sogar sagen: „Ein Künstler ist der zweite Schöpfer nach Gott! Er macht den Menschen allansichtig.“ Ha, nun frage ich mich: Brannte die italienische Sonne zu heiß auf Dürers Lockenpracht? Und, kleine Ungarin, wenn ich deinen Schmollmund male, wäre dies also ein göttlicher Schöpfungsakt? Er schmunzelt über seine Gedanken: Nein, ein Dürer ist er nicht, denn nie würde er sich selbst porträtieren. Dürer ist ein Geck, der nur den Kaiser neben sich duldet. Und vielleicht noch den lieben Gott. Diesen Scherz erzählen sich solche, wie er: Maler, die Großes erschaffen, ohne als Große zu gelten. Aber es erfüllt ihn mit Stolz, ein Maler zu sein.

Dass die Luftvergolderin unglücklich ist, sah er gleich. Plagt sie wieder das Heimweh oder ist es dieses neue Gefühl? Ihr heimliches Begehren, bei einem Mann zu liegen? Sie ist jetzt in diesem Alter … Einem mächtigen Mann mit Armen so lang, dass sie nicht nur ihre dünne Taille umschlingen, sondern die ganze Welt. Ach, ihre Rolle als Himmelskönigin gelingt ihr heute schlecht. All das Gold, das sie umhüllt, ist das, was Gold in den Händen der Menschen meist ist: Blendwerk.

„Majestät, mit Verlaub, ich mache keinen Hokuspokus. Ich bin ein Chronist der Wahrheit.“ Seine Antwort kommt gefährlich spät, kennt man Annas Ungeduld.

„Ha! Er ist Hofmaler, solche bezahlt man, damit sie gefällig sind“, zischt sie entsprechend barsch.

„Ich bin kein Hofmaler und ich leide nicht an der Gefallsucht!“, hält er dagegen. „Meine Hand, die den Pinsel führt, gehorcht allein meinem Herz.“

Anna schnaubt zornig und dreht sich so abrupt herum, dass aus ihrem Gewand erneut Goldstaub aufwirbelt und sie umschwebt. Glanzpartikel tanzen im milchigen Licht der Butzenglasscheiben.

Man könnte sie für eine Heilige halten, wo sie doch nur eine Scheinheilige ist, denkt Hans Maler als ihr Porträtist.

Annas Antwort bestätigt dies, sie klingt wieder hart und dunkel: „Es steht einem Pinselschwinger nicht zu, so mit einer Königin zu sprechen. So unverschämt. Ihr Maler werdet frech, seit ihr euch einbildet, Künstler zu sein.“

„Aber Kunst soll das Unaussprechbare aussprechen …“

„Schweig! Was maßt Er sich an? Er hält sich für einen Seher? Er kann gleich im Kerker darüber nachdenken, wann ein einfacher Mann zu schweigen hat vor einer Königin.“ Sie ist so erregt, dass ihre Stimme von der abgedunkelten Tonlage der Macht in das Blecherne eines Kindes verfällt. Eines zornigen Kindes.

Hans Maler, der dieses Wesen in allen Verkleidungen und Gemütslagen kennt, spürt, es ist an der Zeit, klein beizugeben. Mit einer Verbeugung tritt er hinter seiner Staffelei hervor. „Ich entschuldige mich und stimme Ihrer Majestät zu“, seufzt er demütig.

Anna wirkt für einen Moment verblüfft, fängt sich aber sogleich: „Nur die Tatsache, dass Kaiser Maximilian, mein Gatte, Ihm noch persönlich den Auftrag gab, mich zu porträtieren, bewahrt Ihn vor dem Kerker. Das war meine letzte Warnung.“ Ihr dünner Zeigefinger bohrt sich in die Luft wie eine Stichwaffe.

Er verbeugt sich einmal mehr.

„Maler, sieh Er sich vor, dies befiehlt Ihm Seine Königin.“

Ha, du bist gar keine Königin, auch wenn ich dich mit „Majestät“ oder mit „Königin“ ansprechen muss, denkt der Maler. Alle bei Hofe müssen dies. Alle bis auf Jeanne, deine Amme, diese Französin. Sie nennt dich „Petite“, das meint „Kleine“. So übermäßig fett wie diese Amme ist, wirkst du neben ihren rosafarbenen Fleischbergen tatsächlich winzig. Aber als Tochter von Vladislav II., König von Ungarn, Böhmen und Kroatien, bist du nur eine Prinzessin. Keine Königin, eine Vielleicht-Königin bestenfalls. Es freut ihn, dass ihm dieses Wort einfällt, er formt es mit seinen Lippen: „Vielleicht-Königin!“ Ein lautloses Flüstern, in den Kerker möchte er nicht. Es freut ihn umso mehr, dass er nicht ihr Lakai ist, der er als Hofmaler wäre. Betrachtet er sie – in ihrem Glanz und sogleich in ihrem Elend –, ist er doppelt froh, kein Hofmaler zu sein.

Anna von Ungarn stolziert umher und überlegt. Die Steifheit ihrer Gewänder gestaltet ihre Bewegungen puppenhaft, hölzern gar, wo sie doch so gerne geschmeidig wäre. Geschmeidig bewegt sich hingegen der Maler – auch in seinen Gedanken. Da sie ihn noch braucht, könnte sie ja etwas von ihm lernen, etwas, was sie eigentlich nicht lernen darf: die Neugier. Neugier sei unschicklich für Damen, murren ihre Hoflehrer immer mit sauertöpfischen Mienen. Ihr Unterricht gestaltet sich auch als saurer Wissensbrei, den sie jeden Morgen löffeln muss. Sonntags maßregelt sie dann noch der Pfarrer der Hofkirche, der sogleich ihr Beichtvater ist: Neugier sei Weibern streng verboten. Sie gelte als Lockmittel des Teufels. Doch was hat sie überhaupt zu beichten? Jeder ihrer Schritte wird überwacht, man möchte sie für einen Bräutigam „abrichten“, sie gefügig machen wie einen Schoßhund. Empörung durchzuckt ihre Gedanken wie ein grelles Wetterleuchten.

Der Maler möchte nichts von alldem. Er plagt sie jedoch mit seiner übergroßen Neugier, denn er möchte ihre Seele malen. Ja, ihre Seele. „Ein Maler erkennt die Idee eines Menschen, die in ihm wohnt. Seine Aufgabe ist es, diese Idee festzuhalten“, verkündete er jüngst.

„Ha. Ein guter Maler vielleicht“, konterte sie ironisch. Was bildet der blasierte Kerl sich eigentlich ein? Wofür hält er sich? Nun, zumindest bringt er Farbe in mein Leben, denkt sie.

„Man muss das Wesen der Dinge erfassen. Selbst ein Batzen Dreck gleicht keinem anderen“, so seine neueste ungeheuerliche Behauptung.

„Was? Dreck ist nicht gleich Dreck?“ Sie rief ihn einen Narren: „Gott schuf den Menschen nach seinem Bilde. Nun soll Dreck etwas Besonderes sein?“ Ihre ungarischen Hofdamen verlachten ihn in der Sprache ihrer Heimat, die er – Gott sei Dank! – nicht versteht: „Was weiß so ein Malerpinsel schon? So ein Geröll-Leonardo aus Tirol. Ist Er der Meister des Drecks?“, kicherten sie mit ihren hellen und unbeschwert heiteren Stimmen, wo sie, ihre Herrin, doch auch immer wie eine Herrin klingen muss.

In Ungarn lernte Anna einst: Dinge sind so, wie sie sagte, dass sie sind. Sie hatte das letzte Wort! „Herrscher herrschen, Zweifler scheitern!“, ermahnte sie ihr Vater. „Anna, wir Jagiellonen entstammen einem stolzen, alten Königsgeschlecht. Das ist unsere Verpflichtung.“ Nur ihr Vater sagte zärtlich „Anna“ zu ihr, nur er durfte es. Da war ihre Mutter schon längst verstorben.

Es schmerzt Anna, dass sie vergaß, wie es klang, wenn die Frau, der sie ihr Leben verdankt, ihren Namen aussprach. „Petite, sie tat dies im französischen Singsang, so als würden die Buchstaben tanzen“, tröstete Jeanne sie einmal. Als ihre Amme weiß sie dies, und da sie schon die Amme ihrer Mutter war, scheint es Anna, als verwebe sie ihr Leben mit dem ihrer toten Mutter. Als spänne sie Fäden zwischen ihnen. Fäden aus Gold. Nein, Fäden noch kostbarer als Gold: Fäden der Liebe. Fäden, die niemals zerreißen. Anna kennt diese Art von Liebe nicht, und außer Jeanne tröstet sie niemand.

„Sollte eine Braut nicht auch etwas von der Liebe wissen?“, fragte der Maler kürzlich und brachte Anna in Verlegenheit. Wieder drohte sie, ihn einsperren zu lassen. „Majestät entschuldigen Sie, ich meine die Liebe zu den Dingen. Mir geht es um Wahrhaftigkeit“, erklärte er sichtbar eingeschnappt, aber vorsichtig geworden. „Wahrhaftigkeit? Er maßt sich an, wahrhaftig zu sein?“, prustete sie heraus. Ein künstliches Lachen, das wussten sie beide. „Aber Majestät, Dinge sind so, wie sie nun einmal sind. Meine Aufgabe ist es, das Wesen der Dinge abzubilden. Wahre Schönheit offenbart sich überall, man muss sie nur erkennen. Das meinte ich mit der Liebe zu den Dingen. Leider sind meine Worte nicht so geschult wie meine Augen. Ich bin Maler, kein Dichter“, sagte er dann höflich. Sein Mienenspiel und seine Bewegungen erfüllte wieder diese Geschmeidigkeit, um die sie ihn beneidet. „Ein Schwätzer ist Er“, unterbrach sie ihn aber. Das war ein Scheingefecht, denn tief in ihrem Inneren spürte Anna, wie etwas in ihr erwachte. Wie Neugier in ihr aufkeimte. Öffnete dieser Provinzmaler ihr die Augen für Dinge, die sie – in ihrem goldenen Käfig – gar nicht sah und nicht sehen sollte?

Ja, vielleicht war ein Batzen Dreck ja nicht nur ein schmutziges Nichts? Und ein Stein nicht nur ein Stein? Nun, ihre Steine waren Edelsteine. Sie entstammten fernen Ländern jenseits der Meere, wurden sorgsam geschliffen und ihr dann als Geschenk auf Samtkissen gereicht: Rubine, rot wie Blutstropfen, wasserblaue Saphire, Smaragde, so grün wie Moos nach einem Regen, Diamanten, die jeden Lichtstrahl in blitzende Regenbogen verwandeln. Doch vielleicht sollte sie auch die kleinen Dinge betrachten? Liebe zum Detail lehren sie ihre Lehrer nicht. Diese Blindschleichen und Langweiler. Aber nie würde eine Anna von Ungarn zugeben, dass sie etwas lernt von einem Maler. Einem Provinzmaler.

Nein, er darf keine Macht über sie haben. Nicht noch mehr Macht … Sitzt sie ihm Modell, verspürt sie neuerdings ein seltsames Gefühl: Die feinen Härchen an ihrem Körper richten sich auf, dann kriecht dieses Zittern ihrer Nerven – oder was auch immer dies ist – tiefer, kriecht prickelnd über ihren Bauch, prickelt bis unter ihre Röcke. Lustvoll. Ist dies Sünde? Eine Todsünde sogar? Oder ist sie krank und sollte ihren Leibarzt rufen lassen? Sie zögert. Erführen ihre Feinde von ihrer Malaise – sicher ein Frauenleiden –, würde man sie noch mehr verspotten. Heimlich verspotten. Aber sie weiß alles!

Eine Anna von Ungarn weiß auch, dass sie auf dünnem Boden steht, selbst in ihrem Prachtgewand. All das, wozu man sie in ihrer Heimat Ungarn und später in Prag erzog, ist in Gefahr. Hält man sie deshalb so lange in Innsbruck gefangen? Zerfällt ihr Plan zu herrschen zu Staub?

„Auch Goldstaub verweht der Wind.“ Diese Dreistigkeit brummte der Maler, als sie ihm das letzte Mal Modell saß. Er tat es scheinbar im Selbstgespräch mit Farbpulver hantierend. War es Ocker? Es war eine gelbliche Erdfarbe, er vermischte sie mit zerstoßenem Glimmer und einem Öl aus Nüssen. Sie mag diesen Geruch, auch der Maler riecht nussig.

Dass sie ihn neuerdings lieber mag, verrät sie nicht einmal Jeanne. Doch seit der Kaiser verstarb, hatte kein Mann mehr Augen für sie. Zumindest blickt sie keiner an, wie dieser Maler es tut, dabei ist sie schon im siebzehnten Jahr. Doch man hält sie noch immer für ein dummes Mädchen, denn sie hat einen Makel: Der Kaiser legte sie nie in sein Bett! Sie war seine Braut, ohne ein Brautlager. Eine strategische Gemahlin: „per procurationem“. So nannten dies Maximilians Berater, die seine Verträge aufsetzten. Auch diesen Ehevertrag, der sie nun schon seit Jahren in Innsbruck festhält wie eine Geisel. Grauhaarige Männer mit blassen Lippen und ausgefuchsten, aber schalen Gesichtern – scheinbar schlug kein Herz in ihrer Brust.

Nun, so ein „Brauthandel“ ist ein Geschäft, das weiß sie wohl. Sie weiß auch, dass der Kaiser sie als Stellvertreter für seine Enkel heiratete. Für junge Kerle, die sie nicht einmal kannte. Für diesen Karl oder für den jüngeren Ferdinand.

„Ha, diese goldene Gans bringt nicht nur Ungarn, sondern auch Böhmen und Kroatien mit“, hörte sie flüstern. Noch Hässlicheres trug man ihr zu: „Sollte ihr Bruder Ludwig, ihr einziger Bruder, keinen Sohn für den Thron der Jagiellonen zeugen – noch ist er ein Kind und Kindlein sterben nun einmal wie die Fliegen –, dann fällt der Thron an die Habsburger.“ Hoffte Maximilian sogar auf diesen „tragischen Erbfall“? War er ein Thronjäger?

Nein, sie mag nicht schlecht über ihn denken. Seit er verstarb, hält sie sein Andenken in Ehren, denn er berührte sie. Berührte alle ihre Sinne, dabei war er fast ein halbes Jahrhundert älter als sie. Aber was für ein halbes Jahrhundert! Ja, sprechen nicht viele schon vom Maximilianischen Zeitalter? Und sie war mit dabei, war mittendrin: Sie war seine Braut!

Zunächst hatte sie natürlich auch Angst vor diesem Mann, schreckliche Angst, obgleich man ihr beigebracht hatte, sie zu verbergen. Aber sie war ja noch ein in der Liebe völlig unbeschriebenes Blatt, er hingegen war mit allen Wassern gewaschen, war ein Tausendsassa.

Doch bald schon geriet sie in seinen Bann. „Mein Herz hat keine Falten und mein Arsch keine Runzeln“, lautete eine seiner Zoten, die sie zum Lachen brachte. Und wer brachte sonst ein ernstes Mädchen wie sie zum Lachen? Ja, der ehrwürdige Kaiser konnte ein Spaßmacher sein: mitunter derb, aber auch geistreich, voller Esprit und Charme. Er begeisterte jedes Publikum, riss alle mit sich, nicht nur sie. Dieser prachtvolle Mann war ein Vielgeliebter.

Doch Maximilian verschloss sich den Sehnsüchten seiner jungen Braut und behandelte sie wie ein Kind. Gut, er unterhielt sie mit Bällen, Hofmaskeraden, Versteckspielen, Jagdausflügen, Schneeballschlachten, denn der Winter in den Bergen Tirols ist lang. Er war aufmerksam, war konziliant, nur leider war er ohne Leidenschaft. Küsste er sie, so küsste er nur ihren Scheitel, selten ihre Stirn. Dabei spitzte er künstlich seine Lippen.

„So küsst man keine Geliebte, so küsst man den Popo eines Säuglings“, munkelten ihre Hofdamen. Gott sei Dank war auch der Kaiser des Ungarischen nicht mächtig. Dass sie den Lästermäulern den Mund verbat, änderte nichts an den Küssen ihres Mannes. Küsste er ihre Hände, tat er dies nur, wenn sie die Handschuhe trug, die er ihr geschenkt hatte, gefertigt aus dem zarten Leder von Rehkitzen. Ihr schien es, als verabscheute Maximilian die Wärme ihrer Haut. Ihren Duft.

Kalte Küsse schmerzen eine Braut. Auch wenn sie damals noch blutjung war, hätte sie sich ihm ja vielleicht sogar hingegeben. Zumindest in ihren Gedanken schlang sie ihre spindeldünnen Arme und Beine um ihn, umklammerte ihn wie ein dressiertes Äffchen. Ungeachtet ihrer Angst. Er – der mächtigste Herrscher auf Gottes Erdboden und der letzte Ritter, wie man ihn nannte – war auch mit weit über fünfzig Jahren noch eine imposante Erscheinung. Alle Frauen, die ihn sahen, verzehrten sich nach ihm: reiche wie arme, alte wie junge. Doch er verschmähte Annas junges Fleisch und sparte sie auf für seine Enkel …

Nun muss sie lernen, ohne ihn zu leben, seit der Tod ihn ihr entriss. Das meinen selbst ihre Lehrer in Innsbruck. Sie liest Bücher, spricht mehrere Sprachen, musiziert, ist welterfahren. Sie kam weit in Europa herum, weiter als mancher Tiroler Bergmensch es sich überhaupt vorstellen kann, dem sein enges, verschattetes Tal die ganze Welt ist. Doch was sie von ihrem „Gatten“ lernen wollte, das brachte Maximilian ihr nicht bei: die Liebe. Die Liebe, wie ein erfahrener Mann sie seiner Braut lehrt. Zumindest die Liebe in den Gedanken.

Wieso verschmähte er mich? Diese Frage quält sie in der Stille der Nacht. Doch offen begehren darf eine Frau nicht. Eine wie sie schon gar nicht. „Weiber empfangen, Weiber begehren nicht!“, zitieren ihre Lehrer die Bibel, ihr Rücken krumm vom Herabbeugen über das Lesepult. Ihrem Maximilian war biblische Sittsamkeit fremd. Er liebte das pralle Leben. Zelebrierte es. Einmal hörte sie Tiroler Dienstboten heimlich reden: „Er hat zwölf Schlafweiber – allein in Innsbruck. Und allesamt verwöhnt er sie.“

Auch sie verwöhnte er – wenn auch nur mit Geschenken. An Zuneigung geizte er jedoch, selbst mit kalten Küssen sparte er. Doch sie will endlich von der Süße der Liebe naschen. Ist sie jetzt nicht alt genug? Liegt sie nachts wach in ihrer kalten Kammer, tut sie dies nicht mehr wie ein Stück Holz. Nun berührt sie sich.

Zunächst wagte sie nicht, dies zu tun. Doch jetzt schmiegt sie ihre Hände um ihre Brüste, als seien ihre kleinen Handteller die großen Pranken eines Mannes. Sie spürt Leben darin, ein Pochen, manchmal auch ein schmerzhaftes Ziehen. Ist dies sündhaft? „Gott, der Schöpfer, schuf auch mein sprießendes Fleisch“, sagt sie sich, wenn ihre Hände immer wieder dorthin wandern. Ihre Brüste zu halten, gibt ihr ein Gefühl von Geborgenheit in der einsamen Kälte der Nacht.

Erst gestern hörte sie die Hofdamen flüstern: „Es wird Zeit für unsere Herrin, bei einem Mann zu liegen. Ihre Brüste quellen auf und sie wird ruhelos wie eine rollige Katze.“ Gerne hätte sie auch diese Tratschweiber nach Ungarn zurückgejagt. Aber es war auch gut, die Wahrheit zu hören. Wann hören die Wände einer Hofburg so etwas wie die Wahrheit?

Nur der Maler sagt ihr Dinge, die man zu einer Königin nicht sagen darf. Ach, und neuerdings bringen seine Blicke eine Saite in ihr zum Klingen, die nicht gespielt wird. Einen Ton, den sie noch nicht genau kennt. Doch wenn er sie so anblickt, ist sie das Gefäß für diesen Ton. Es ist ein warmer Ton, das spürt sie. Er bringt all ihre Sinne zum Schwingen.

Sie liebt Musik, doch sie darf nur heimlich musizieren, nur in der Abgeschiedenheit ihrer Kammer. Dort tanzen ihre Fingerkuppen über die schwarz-weißen Tasten ihres Clavichords. Ein zierliches Instrument aus gutem Klangholz, das sie in Venedig bestellte. Ein „Schmuckkästchen“ üppig mit Rosen bemalt, mit rosafarbenen Blütenkelchen aus den geheimen Gärten Venedigs.

Erstaunlich, wie leise so ein Clavichord sein kann, wie intim und zauberhaft im Ton. So klingt es gerade laut genug, um ihr Schluchzen zu übertönen, und es schenkt ihrem Schmerz eine Melodie. Dringen die geschmeidigen Töne aus ihrer Kammer, hegt niemand Verdacht, dass sie weint. In einer Hofburg besitzt ja alles Ohren – selbst die Wände.

Mit ihrem Clavichord, diesem kleinen Frauenzimmer-Instrument, komponiert sie auch. Dabei ist Frauen das Komponieren streng verboten, sie dürfen ja kaum musizieren. „Musik macht die Weiber leichtsinnig, sie fördert ihren Fürwitz, macht sie rebellisch und stellt die Weltordnung auf den Kopf“, zitierten ihre Erzieher einmal die Worte Hippolyts. Dumme Worte eines alten Mannes aus dem uralten Rom.

Sie rang ihrem Gatten ab, musizieren zu dürfen. Maximilian ließ sie sogar von einem niederländischen Lautenspieler unterrichten und von einem Organisten. Erlaubte der Kaiser dies, da er selbst Musik liebte? Oder tat er dies aus schlechtem Gewissen heraus, da seine Küsse kalt waren? Ach, ihr großer Max, sie vermisst ihn.

Seit er verstarb, soll sie ihre Zeit beim Gebet oder mit Stickarbeit verbringen. Soll ihre Sehnsucht in Kissenbezüge einsticken, auf denen später Gäste ihre Hintern platzieren und Darmwinde fahren lassen. Was für eine Verschwendung ihrer Zeit, die sie gerne für die Liebe nutzen würde. Beim Hantieren mit den spitzen Nadeln zersticht sie sich oft die Fingerkuppen. „Für jede heimliche Sünde einen Tropfen Blut“, tadelte ihre Sticklehrerin sie.

Das Leben in der Hofburg wird Anna zur Qual. Schmeichler und Schönredner umschwirren sie, Seelenwächter überwachen und reglementieren sie. Allein der Maler beflügelt sie noch. Seit ein paar Monaten sehnt sie jede Porträtsitzung herbei. Doch nie würde sie dies zugeben. Wieso denkt sie überhaupt über solche Menschen nach? Menschen ohne Stand. Domestiken.

Außerdem ist der Maler kein schöner Mann, aber wiederum kein hässlicher Mann und sein Haar ist noch voll. Ein grober Klotz ist er auch nicht mit seinen geschmeidigen Bewegungen und seinen erstaunlich fein geformten Händen. Keine riesigen Männerpranken. Seinen langen Fingergliedern haftet meist Farbe an, denn beim Porträtieren werden seine Finger bunt, dies erheitert sie. Wo sieht man sonst so lustige und dabei so ausdrucksstarke Hände?

Sie kennt einen Farbton für seine Haare, er lehrte sie ja auch die Vielfalt der Schattierungen. Seine Haarsträhnen haben die Couleur von Bucheckern. Bucheckern? Zuvor kannte sie diese Früchte der Rotbuche gar nicht. Die Nüsse der Armut: Schweine fressen sie und Bettler. Der Maler schmuggelt fremde Dinge in die Hofburg. Exotisches. Einmal forderte er sie auf, ihre Augen zu schließen und ihre Handflächen vorzustrecken. Das ziemt sich nicht für eine Königin, doch sie tat es, und er legte etwas hinein. „Legt Er mir frischgeborene Mäuse in die Hände?“, kreischte sie erschrocken. Die Wachen wollten ihn schon ergreifen.

Gott sei Dank bewegten die kleinen Mitbringsel sich nicht und sie verströmten einen Duft wie der Maler: irgendwie nach Natur, nach Nüssen. Sie war heimlich begeistert. Sie mag auch, dass er sich rasiert, das sieht sauber aus verglichen mit seinen bunten Händen. Bärtige Männer mag sie nicht: „Gestrüpp-Gesichter“ schimpft sie diese. Obgleich ihr Vater einen Bart trug, ein rabenschwarzes Ungetüm, das ihm das Aussehen eines Bären gab. „Ungarische Könige müssen wild aussehen! Das entspricht unserer Tradition“, erklärte er. Dabei verbarg das Gestrüpp einen Mann, der zu tiefer Liebe fähig war, der ihre Mutter von Herzen geliebt hatte. „Sie war eine Fremde, die zu früh verstarb, um im Land der bärtigen Männer heimisch zu werden“, meinte Jeanne dazu.

Der Maler trägt keinen Bart und die Farbe seiner Augen ist grünlich mit gelben Sprenkeln um die Pupillen, als schwebten kleine Sterne darum.

„Es ist so, dass ein Maler das Innerste eines Menschen erkennt“, fabuliert er nun und reißt sie aus ihren Gedanken.

„Ein guter Maler“, weist Anna ihn erneut zurecht. Eiskalt, wenn auch halb im Scherz. Eigentlich ein altes Spiel zwischen ihnen.

Da sie selten scherzt – schließlich gehört es nicht zu ihrer Aufgabe, der Aufgabe einer Herrin, mit diesen Leuten zu scherzen –, nimmt der Maler ihren Hohn doch für bare Münze. „Ich sehe Dinge, die nicht einmal Majestät von sich wissen“, geht ihm der Mund über. Sogleich erschreckt über die Wucht seiner Worte, mindert er sie jedoch mit einem Katzbuckel.

„Was sieht Er denn in mir?“, provoziert Anna ihn.

Er redet sich heraus, er meinte dies auch nur so im Scherz. „Ein Hofmaler war ich schon in meiner schwäbischen Heimat nicht. Ich war ein freier Mann“, murrt er aber noch. Dann verzieht er sich hinter seine Staffelei und erledigt seine Arbeit schweigend.

Fordern nicht sogar die Bauern neuerdings mehr Freiheit? Freiheit von erpresserischen Steuern und Freiheit vom Joch des Adels? Hans Maler überlegt. Ja, der Bauernmut gefällt ihm. Frei wird er auch in seiner neuen Heimat bleiben: der malerischen Bergwelt Tirols, in die auch Schwaz eingebettet liegt. Unter den steilen Hängen des Karwendelgebirges vermisst er jedoch die Freiheit der Weite. Eine Weite, die nur sich selbst gehört. Eine Weite, die sich in changierenden Blautönen und zerzausten Wolken verliert. Weite beruhigt ihn, sofern sich nichts hineindrängt. Auch keine Berge. Als Maler liebt er eine Weite, die sich dem Menschen entzieht, wenn man sie sucht. So wie die Farbe Blau: die Farbe des Wassers, die Farbe des Himmels, die Farbe der Ferne. Blau leuchtet in der Distanz intensiver, es verkörpert das Wesen der Freiheit. Ja, er sucht auch den inneren Weitblick. Die Weite der Gedanken. Was wäre ein Maler ohne Weitblick? Bestenfalls ein billiger Anstreicher. Sollen andere vor dir zu Kreuze kriechen, kleine Ungarin. Ein Hans Maler skizziert deinen Schmollmund, aber er kriecht nicht, sagt die Stimme in seinem Kopf.

Der Künstler betrachtet dieses Wesen ganz aus Gold und Licht. Jeder Betrachter wäre hingerissen. Doch er kennt sie zu gut: In völliger Dunkelheit gelänge mir dein Gesicht, kleine Ungarin, denkt er nun. Die länglichen Konturen, deine gerade Nase, die Symmetrie der Nasenlöcher – Gott zeigt sich auch in der Symmetrie –, der winzige Höcker an der Nasenwurzel, deine fleischige Unterlippe – auch ohne Schmollen verrät sie das schwere Erbe deiner Großmutter Elisabeth von Österreich. Nun kommt meine Lieblingsstelle: das Grübchen in deinem runden Mädchenkinn. Ein klitzekleines Grübchen, aber immerhin. Dieses Grübchen ist eine Melodie.

Sie erinnert mich an eine Weise, die meine Lina gerne singt. Sie trällert sie umso lauter, wenn sie flatterndes, um sein Leben gackerndes Geflügel zum Hackstock trägt, es köpft und rupft. Lina besingt eine Liebesnacht, eine Liebesnacht im Mai – die Hände noch voller Blut. Das ist verstörend und zugleich voller Energie: „Unter der Linde an der Heide, wo unser beider Bett war, da findet ihr gebrochene Blumen und Gras. Dort küsste er mich wohl tausendmal! Und tandaradei sang die Nachtigall. Seht, wie rot mein Mund ist.“ Schon Walther von der Vogelweide sang dieses Lied. Doch dies weiß meine Lina nicht, die weder lesen noch schreiben kann. Aber sie weiß, was rotgeküsste Lippen sind und ein von meinen Bartstoppeln wundgescheuertes Kinn. Sie weiß es von unseren geheimen Nächten. Von meinen tausend Küssen. Und immer wenn ich meine Lina so sehe – blutbesudelt und von Liebe singend –, dann weiß ich, sie ist eine Meisterin. Eine Meisterin des kleinen Glücks.

Die Kammer des reinen Lichts

„Schläft Er? Oder ist Er faul?“

Eine echte Stimme reißt Hans Maler aus seinen Gedanken. Es ist sie. Natürlich sie. Ihre Stimmlage ist wieder so gekünstelt wie zuvor ihre Heiterkeit. Anna ist um Stärke bemüht, um Haltung. Schließlich ist man nicht allein, ihr halber Hofstaat beobachtet sie. Wann ist man je allein in der Hofburg zu Innsbruck? Dabei suchte er für diese Porträtsitzung extra eine intime Kammer und fand sie in einem Nebentrakt der Hofburg. Nach langem Suchen. Er hoffte, dort mit ihr allein zu sein, ohne ihren Rattenschwanz an Hofschranzen.

„Sicher ist Er faul!“, Anna legt nun noch mehr Ironie in den Unterton.

Ihre Worte sind verletzend und es brüllt in ihm: Du nennst mich faul? Du hast noch keinen Tag gearbeitet! Keine Stunde! Er atmet tief durch, zwingt sich zu Diplomatie: „Aber Majestät, wie könnte ich in Anwesenheit einer Königin je schlafen? Ein Maler blickt nach innen, wenn er die Augen schließt. Ich malte mir gerade aus, wie ich Ihre Schönheit und Ihr edles Wesen so festhalte, dass es einer Königin würdig erscheint.“ Einmal mehr unterstreicht er seine Worte mit einer Verbeugung, doch noch in gekrümmter Haltung spürt er Unwillen in sich aufsteigen. Er schmeckt sauer in seinem Mund.

„Ha, Er ist also aufgewacht“, äfft Anna und schenkt seiner Schmeichelei keine Beachtung.

Der Maler weiß, dass sie nie von einer Überzeugung abweicht, die sie einmal ausgesprochen hat. Sie hält stand wie ein Feldmarschall. So ist sie erzogen. „Gefällt Ihrer Majestät meine Kammer des reinen Lichts? Sie schmeichelt der Garderobe und dem Teint einer Königin. Dort dringt das weißeste Licht ein!“ Um bei ihr Begeisterung für seinen Fund zu wecken, stellt er sich vor die Fensterfront, breitet seine Arme aus und scheint im weißen Licht zu baden, dann dreht er sich um seine eigene Achse: einmal, zweimal. Zwar kostet ihn diese Kasperei Überwindung, aber er weiß, dass sie solch kindische Szenen liebt. Sie ist halt doch noch ein halbes Kind …

Dabei ist Malers Begeisterung für das Berglicht Tirols echt. Die Strahlkraft inspiriert ihn. Und nicht nur ihn: Albrecht Dürer war davon so ergriffen, dass er auf seiner Reise nach Italien schon in Tirol wie im Rausch aquarellierte. Auch Stadtansichten von Innsbruck schuf er, allesamt vom Berglicht durchglüht.

Das Berglicht wäre für die kleine Ungarin jedoch zu grell. Es hätte zu viel Brillanz. War es doch seine Aufgabe als ihr Maler, dem wahren Wesen des Mädchens gerecht zu werden: ihren Launen, ihrer machtverliebten Gespreiztheit, ihrem Leiden an sich selbst und dem ungestillten Hunger einer Heranwachsenden nach Liebe. In seiner Kammer des reinen Lichts wäre die Stimmung ideal – ideal für eine wie sie.

Er suchte lange nach dem „Malerwinkel“ für dieses exklusive Modell, denn die Hofburg ist eine verbaute Herrschaftskiste voller Schatten und ungünstiger Winkel, die den Lichteinfall verändern. Auf seiner Suche fand er sogar Treppen, die im Nirgendwo enden. Jeder Burgherr, wie Sigismund der Münzreiche, baute an der Innsbrucker Hofburg herum und hinterließ seine Zeichen. Nun liegt sie wie ein Koloss voller Ecken, Kanten und Türme im Herzen der Stadt. Ein sperriger Koloss.

Kaiser Maximilian verlieh der Hofburg zum Jahrhundertwechsel seine ganz eigene Handschrift: So beeindruckt der Wappenturm mit den Insignien seines Herrschaftsgebietes, und ein großer Empfangsraum mit gotischen Säulen empfängt Besucher beim Eintreten würdig. Auch eine Kürnstube, in der Maximilian seine vielen Jagdtrophäen ausstellte, und eine Silberkammer dienen der Beeindruckung illustrer Gäste. Und was wäre zu einem Dach aus Gold zu sagen?

Auch der Festsaal in der Beletage enthüllt das Wesen des „großen Max“, nicht umsonst wird er Riesensaal genannt. Als Hans Maler ihn zum ersten Mal durchschritt, erinnerte er ihn an ein Spielzimmer von Giganten, denn ein gewaltiges Deckenfresko zeigt Herkules, den für seine Stärke berühmten griechischen Heros. Um seine breiten Schulten trägt er das Fell eines Löwen, den er selbst mit bloßen Händen erlegte, ansonsten ist er splitterfasernackt. Mit seiner berühmten Herkules-Keule, groß wie ein Baumstamm, kämpft er mit dem ebenfalls keulenbewaffneten Riesen Geryon. Jener trägt gar nichts am Leib. Diese Krieger entsprachen dem Kampfgeist des Kaisers, aber auch seinem deftigen Humor: So lachte Maximilian schallend, wenn seinen Gästen oder keuschen Hofdamen die Augen übergingen bei so viel nacktem Männerfleisch.

Der Rennplatz vor der Hofburg diente dem agilen Kaiser für Ausritte und als Turnierplatz. Er liebte körperliche Herausforderungen jeder Art. Die Prachtseite der Hofburg richtet sich nach Süden und nach Südosten – zur Sonne hin. „Im Reich der Habsburger geht die Sonne nie unter“, betonte der Kaiser gerne vollmundig und meinte damit deren Besitztümer in Übersee.

Der Besitz dieser mächtigen und weiter nach Macht hungernden Familie ist Hans Maler als Künstler jedoch ziemlich egal. Er möchte kühles Nordlicht am Antlitz seines Modells herabströmen sehen. Ein Licht, das sich im Verlauf des Tages kaum ändert. Deshalb lotste er die kleine Ungarin in diesen Seitentrakt.

Er missfällt dem eitlen Gänschen jedoch. Sie schmollt schon wieder: „Hier ist es mir zu bäuerlich. Ich erwarte mehr Respekt: Er porträtiert eine Königin! Das soll in diesem Stall geschehen?“ Angewidert rümpft sie die Nase.

„Bäuerlich? Aber Majestät! In meiner Kammer des reinen Lichts erscheint alles Kostbare noch würdevoller. So gleicht Ihre Majestät einem … äh … Wesen … äh … aus Himmelslicht geschaffen.“ Maler ringt um Worte, weigert sich aber, von einem „Engel“ zu sprechen. Nein, ein Engel ist dieses Mädchen sicher nicht. Und er ist kein großer Redner. Er ist nun mal kein Dürer, der selbst einen Kaiser bezirzte. Aber er ist genau der Richtige, um dieses Mädchen der Vergänglichkeit abzutrotzen. Selbst eine wie sie wäre bald vergessen, gäbe es nicht solche wie ihn: Bewahrer des Fleisches. „Wer schreibt, bleibt, und wer malt, bewahrt“, sagt er selbstbewusst.

„Ach, verschone Er mich mit seinen Weisheiten, wenn Er mich schon an einen so schäbigen Ort entführt“, kontert Anna. Auf ihr Zeichen hin zupfen gleich mehrere Kammerdienerinnen an den Gewändern ihrer Herrin herum. Ordnen Samt, Seide, Brokat, Gold und Juwelen. Dann wedelt Anna sie fort, als seien diese Frauen lästige Fliegen, und winkt stattdessen Jeanne zu sich her.

Nur sie darf jeden Abend und jeden Morgen das Goldhaar ihrer Herrin bürsten. Einhundert Striche in Wuchsrichtung am Morgen und nochmals einhundert zur Nacht. Sind aufwendige Frisuren für den nächsten Tag gefragt, spült Jeanne die Haare ihrer Herrin mit Bier. Das macht sie fest und glänzend. Aber der Geruch? Muss eine Luftvergolderin wie eine Bierschänke riechen, fragt sich selbst der Maler.

Nun wackelt Jeanne freundlich mit dem Kopf, dann stopft sie mit ihren dicken Fingern lose Haarsträhnen ihrer Herrin unter deren Goldhaube zurück und streicht die Ränder sorgsam glatt. Eine rührende Szene, findet der Maler. Dieses Wesen ohne jegliche Taille hegt für ihre – verglichen mit ihr zwergenhaft winzige – Herrin zärtliche Gefühle. Das trifft nicht auf alle Hofschranzen zu, die unter den Launen der kleinen Ungarin leiden.

„Was schaut Er mich so an? Will Er etwa nur gaffen, wenn Er mich an einen so unwirtlichen Ort verschleppt? In einem stinkenden Tiroler Bauernstadel könnte es kaum schlimmer sein. Eine Zumutung für mich und meine Entourage.“

Zu Annas Worten wedelt ihre kleine Hand nun in seine Richtung. Wie Nadelstiche dringen diese abfälligen Gesten in ihn ein. Er bläst die Backen auf und spannt seine Muskeln an. Ja, er spürt, er könnte seine Contenance verlieren.

„Also mich malte er nicht so schön wie Ihre Majestät“, lacht Siegmund von Dietrichstein, der nun hinzutritt. Der Obersthofmeister ist um Heiterkeit bemüht, um höfischen Esprit. Kaiser Maximilian I. setzte den verdienten Mann und Kampfgefährten noch persönlich in dieses Amt ein. Ein schweres Amt. Der Kaiser, auch ruhmvoll auf dem Schlachtfeld der Liebe, wusste: Es wird schwer, Gefühle zu bändigen zwischen den Allüren eines machthungrigen Kindes und dem Begehren einer jungen Frau. Und die knospende Blüte zu beschützen, sogar vor sich selbst.

Böse Zungen bei Hofe schimpfen Dietrichstein einen Günstling, denn der Kaiser verheiratete den fröhlichen Kärntner mit seiner unehelichen Tochter Barbara von Rottal. Maximilian verfügte sogar in seinem Testament, Dietrichstein solle nach seinem Ableben zu seinen Füßen ruhen. Schau an, er ist des Kaisers Schoßhund selbst noch im Tod, hörte man Neider schon tuscheln.

Die Blicke des Obersthofmeisters und des Malers treffen sich, man versteht sich gut. Die neue Frisur des Freundes lässt Hans Maler jedoch schmunzeln, denn Dietrichstein gleicht dem toten Kaiser nun bis aufs Haar: Den glatt gekämmte Blondschopf schnitt der Hofbarbier über den Augenbrauen und unterm Kinn kerzengerade ab, diese Kopfzier heißt nicht umsonst Kaiserfrisur.

„Was gibt es da zu lachen? Er träumt und tut nichts – der faule Herr Maler. Ist Er sich zu fein, eine Königin zu malen? Nun stört noch der Obersthofmeister.“ Die Worte der kleinen Ungarin verraten, was an ihr alles nicht edel ist. Auch ist bekannt, dass sie die Freundschaft der beiden Männer missbilligt. Nach ihrem Empfinden sollte ein Mann von Adel – der Vertraute ihres verstorbenen Gatten – nicht mit einem Bürgerlichen befreundet sein. Und dann ausgerechnet mit einem Maler. Dabei war ihr Gatte mit Dürer befreundet, aber auch dies missfiel ihr …

Beide Männer zucken zusammen, als auf ein Schnalzen von Annas Finger hin plötzlich Menschen herbeieilen. Musikanten. „Herrgott, was geschieht hier?“, raunt der Maler. Eindringlinge stürmen in seine Kammer des reinen Lichts – samt ihren Instrumenten. Dickbäuchige Lauten, Bratschen und Schalmeien, groß wie Holzprügel, werden über seinen Kopf balanciert, kleinere Instrumente wie Flöten verschwinden unter Gewändern. Auch Gesangsstimmen strömen herbei. Es wird gedrängelt und geschubst. „Majestät, wie soll ich so arbeiten, wie könnt Ihr mir das antun?“, empört er sich mit bebender Stimme.

„Muss eine Königin etwa fragen, wenn sie von ihrem Orchester Kurzweil wünscht?“, blafft Anna.

„Herrje, passt auf meine Sachen auf. Meine Malutensilien!“, ermahnt er die Eindringlinge und eilt mit erhobenen Armen – abwechselnd seine Staffelei und seinen Arbeitstisch beschützend – hin und her. Im Gesicht die Sorge um seine Schätze: Krüge voller Bleigriffel, Kohlestifte oder Pinsel in vielerlei Größen, Gläser befüllt mit Ölen, Eigelb, Harzen und seinen Farben, die er zum Transport nach Innsbruck in Schweinsblasen und zum Malen dann in Muschelschalen aus Perlmutt aufbewahrt. Seine Farben sind sein ganzer Stolz, manches Farbpigment reiste um die halbe Erde und kam über Venedig in den Norden. Ein Maler ist halt auch eine Art Weltreisender, denn sein Material kommt von weit her, weiß er. Umso mehr erzürnt es ihn nun, dass Eindringlinge alles gefährden. Wie kann die kleine Ungarin ihm das antun?

Nun, die Invasion der Musiker umströmt seine Kostbarkeiten bisher ohne größeres Malheur. Er will schon aufatmen, da trifft ihn der Schaft einer Laute am Hinterkopf. Er spürt einen dumpfen Schmerz, und das Künstlerbarett rutscht ihm in die Augen. „Passt doch auf, ihr Tölpel!“ Ohne die Anwesenheit ihrer Herrin würde er die Störenfriede laut brüllend hinauswerfen. Sie entweihen seine Kammer des reinen Lichts.

„Musik aus meiner Heimat stimmt mich froh und tötet die Langeweile.“ Annas herrischer Ton duldet keinen Widerspruch. Der Maler spürt, wie Wut ihm die Zornesröte ins Gesicht treibt. Am liebsten würde er die kleine Ungarin schlagen.

„Also, ich finde es kurzweilig, Meister Maler zuzuschauen“, schaltete Siegmund von Dietrichstein sich ein – erneut um Mäßigung bemüht.

Doch verlogene höfische Harmonie ist nicht die Sache des Malers, er knurrt: „Diese vielen Körper verdunkeln und beschmutzen meine Kammer des reinen Lichts, die Ihre Majestät mit Ihrer Anwesenheit erhellt. Wenn auch nicht hell genug. Und entsteht Malkunst nicht in der Stille …?“

„Schweig Er. Diese Kammer ist ein kaltes Loch“, unterbricht Anna ihn. „Und seit wann schadet Musik einem Maler? Einem, der Sein Handwerk versteht? Vielleicht erhellt mein Orchester ja auch Sein dunkles Gemüt?“ Ihre Worte garniert sie mit einem Lächeln. Einem vergifteten Lächeln.

Hastig greift Hans Maler nach einem mittelgroßen Pinsel, als wäre es eine Stichwaffe. Dann besinnt er sich. Um ruhige Atmung bemüht, macht er abwechselnd ein Auge auf und zu, wobei er vor dem jeweils geöffneten Auge mit dem Pinselstiel in ihre Richtung Maß nimmt. Waagrecht und senkrecht. Er misst den Abstand ihrer Augen zur Nasenwurzel, die Position ihrer Augenbrauen zur Nasenwurzel, die Länge der Nasenspitze zur Oberlippe, die Distanz ihrer schmollenden Unterlippe zum Kinn, die Position ihres Grübchens darin – und so weiter …

Freihand maßzunehmen hat er gelernt, selbst so hat er ein Gefühl für Proportion. Die beherrscht jedoch nicht jeder Maler, ein Beweis dafür ist „die Armada der hässlichen Jesulein“, so nennt er dies. Er findet es unerträglich, die Kindlein Gottes mit vermeintlichen Wasserköpfen, Froschfüßen und unnatürlich verdrehten Körpern auf dem Schoß einer Himmelsmutter sitzen zu sehen, von dem sie eigentlich herabplumpsen müssten, diese armen Missgeburten. Hässliche Jesulein entehren die Kunst und sogleich die Religion. Ja, nur ein virtuos geführter Malerpinsel ist der verlängerte Zeigefinger Gottes. Dies lehrt er auch seinen Gesellen daheim.

Ja, ein Hans Maler studiert Distanzen, beobachtet haargenau, muss seine Modelle fast schmecken, fühlen und riechen, bevor er auch nur einen Strich zu Papier bringt. Befindet er sich in der Hofburg, arbeitet er jedoch weder auf Papier noch auf Leinwand. Da er anreisen muss, wählte er etwas Solides, zudem muss ein Brautbild ja selbst auf Reisen gehen. Muss die Abgebildete möglichen Verehrern ansichtig machen.

Er malt die kleine Ungarin auf Holz. Aber Holz aus seiner Heimat soll es sein: Die gewaltige Donaueiche ist ideal. Sie wächst langsam und ihr Holz ist stark. Tafelmacher aus Ulm liefern ihm das beste Material, das entlang der Faser geschlagen sein muss.

All dies geht durch seinen Kopf, als er mit dem Pinsel in der Luft hantiert. Er zwingt sich zur Konzentration. Selbst Gott nimmt Maß, im Paradies herrscht Symmetrie, denkt er. Trotz seines Unmutes bleiben seine Bewegungen routiniert. Geschmeidig, fast katzenhaft. Seine ruhige Hand und die ihm vertraute Länge des Pinselstiels erlauben ihm freies Schaffen ohne Raster oder Hilfsmittel.

Dabei preist selbst ein Dürer in seinem Buch Erleichterungen für Maler an: Apparate und Gestelle zur Fixierung der Perspektive und der Proportion. Er probierte das von Dürer empfohlene Fadengitter zwar aus, kam aber schlecht damit zurecht. Vor allem bei Hofe. Soll er so ein quadratisches Gitter etwa zwischen sich und sein Modell spannen? Die vielen Musiker und ihre sperrigen Instrumente lassen ihm kaum Raum zum Atmen.

Noch immer spürt er Zorn in sich. Kontrolliert mühsam seinen Atem. Im Moment sähe er die kleine Ungarin gerne hinter einem Gitter: den Eisenstäben eines Kerkers. Sie raubt ihm die Freude an seiner Arbeit, sie zerstört seine innere Ruhe und Weite.

Doch das kennt er ja schon von ihr: Arroganz und Rechthaberei sind Teil ihres Wesens. Zudem ist sie klüger, als ihr guttut. Sie beherrscht mehrere Sprachen und hörbar gut Deutsch. Ja, ihr Wortschatz ist größer als der seiner Lina, aber die Sprache des Herzens beherrscht sie nicht, die beherrscht seine Magd. Das einfache Tiroler Mädchen beherrscht sogar die Sprache der Liebe, wie sie sich nur Menschen zuflüstern, die lustvoll umschlungen beieinanderliegen.

Der kurz auflodernde Gedanke an seine Lina mäßigt Malers Zorn. Aber es war unrecht, dass die kleine Ungarin diesen intimen Ort künstlerischer Arbeit, den er so sorgsam aussuchte, zu ihrer Bühne machte. Der Herrschaftsbühne ihrer kindischen Eitelkeit, die ihr Orchester nun noch verherrlichen soll mit Musik.

Herrje, er hasst ungarische Musik! Sie erscheint ihm als ein wildes Brausen und erzeugt einen Pfeifton in seinem Kopf. Wie sollte sich ein Künstler bei diesen ungewohnten Klängen und Dissonanzen konzentrieren? Dabei ist Innsbruck doch eine Stadt der Musik! Der Wohlklänge! Kaiser Maximilian I. liebte die Kunst – als ein Mann mit wachen Sinnen schwelgte er in Malerei und Musik. Ja, er brachte eine große Musiktradition nach Tirol – beflügelt durch seine verstorbenen Gattinnen Maria von Burgund und Bianca Maria Sforza. Die Adelshöfe Europas blicken nun neidisch nach Innsbruck, wenn es um gute Musik geht. Nach Ungarn sicher nicht.

Er ließe sich als Maler bei seiner Arbeit ja noch einen französischen Troubadour gefallen, die der Kaiser schätzte. Auch Lieder, Motetten oder Chansons, wie jene eines Pierre de la Rue, vertrugen sich mit Malerei. Aber dass diese Nervensäge nun ungarische Musik aufspielen lassen will, die an osmanische Klänge erinnert, wird unerträglich sein. Ein Angriff auf seine Kunst. Vielleicht tut er der kleinen Ungarin ja manchmal Unrecht, aber sie ist einfach zu ungestüm. Zu selbstverliebt auch. Herrgott, sie soll sich benehmen in seiner Gegenwart, sie ist schließlich nichts als sein Modell!

„Wird aus meiner Kammer des reinen Lichts nun eine Hölle des Lärms?“, murrt der Maler. Solche Widerworte waren gefährlich, aber das ist ihm jetzt völlig egal. Sie stehen sich gegenüber: er und sie. Fast auf Tuchfühlung und doch Welten voneinander entfernt. „Entstehen große Werke nicht in der Stille?“, sagt er ihr mitten ins Gesicht. Dabei weicht keiner dem Blick des anderen aus. Anna blinzelt nicht einmal und er beobachtet, wie das Schwarze in ihren Augen sich zu kleinen Punkten verengt.

„Große Werke vielleicht.“ Ihre Stimme ist wieder hart und dunkel.