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Michael Forcher

Kaiser Max
und sein Tirol

Geschichten
von Menschen
und Orten

Michael Forcher

Kaiser Max und sein Tirol

Inhalt

Vorwort

 

Einleitung

HEIMAT SEINES HERZENS

I

NEUE AUFGABEN FÜR ALTE KAMPFGEFÄHRTEN

Veit von Wolkenstein – Ritter und Redner

Florian Waldauf – Diplomat und Reliquiensammler

II

AN DEN HEBELN DER MACHT

Michael von Wolkenstein – Der Landhofmeister

Paul von Lichtenstein – Der beste Mann von Tirol

Zyprian von Serntein – Der mächtigste Tiroler am Kaiserhof

III

MIT ODER FÜR MAXIMILIAN UNTERWEGS

Blasius Hölzl – Dichterfreund und »anhabiges Finanzerli«

Dr. Johannes Fuchsmagen – Zwischen Universität und Amtsstube

Marx Treitzsaurwein – Des Kaisers Co-Autor

IV

DIE HAUPT- UND RESIDENZSTADT

Innsbrucks bürgerliches Gesicht

Das höf ische Innsbruck

Sigmund der Münzreiche – Vom Fürsten zum Pensionär

Das traurige Schicksal der Bianca Maria Sforza

V

KÜNSTLERKREIS UM MAXIMILIAN

Jörg Kölderer und seine vielfältigen Aufgaben

Niklas Türing d. Ä. und sein Goldenes Dachl

Das Grabmal und seine Künstler – fast ein Krimi

VI

BISCHÖFE IM DIENSTE MAXIMILIANS

Die Bischofstadt Brixen und ein Bischof als »Geldmacher«

Die Stadt Trient, ihre Bischöfe und die Kaiserproklamation

VII

EIN KLOSTER UND EIN STÄDTCHEN AM OBEREN WEG

Stams und die türkische Delegation

Glurns – zweimal im Brennpunkt der Geschichte

VIII

DER GROSSE WAIDMANN

Die Martinswand und die Jägerei

Jagdschlösser und eine Bilderburg

IX

DER GELDBEUTEL, IN DEN MAN NIE UMSONST GREIFT

Tratzberg und die Tiroler Bergherren

Schwaz, die Silberstadt

Warum Hall so besonders war

X

DAS LAND WIRD GRÖSSER

Leonhard von Görz, Lienz und das Pustertal

Kufstein und der Tod des Pienzenauers

Ampezzo und die Brüder Herbst in Toblach

 

Anhang

Zeittafel

Literaturhinweise

Bildnachweis

Vorwort

Seit zwei Jahren hatte Tirol einen neuen Landesfürsten, als 1492 auf dessen Veranlassung im Halltal der fünfte Stollen zur Salzgewinnung angeschlagen wurde. Niemandem wäre es eingefallen, ihn Kaiser-Maximilian-Stollen zu nennen. »Kaiser« war der damals gerade 33 Jahre alte Habsburger ja noch nicht, sondern Erzherzog von Österreich, Herzog von Burgund und seit ein paar Jahren römischer König und damit designierter Nachfolger seines Vaters Friedrich III. als Kaiser des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation. Also König-Maximilian-Stollen? Nein, man wählte den Namen König-Max-Stollen. Denn die übliche Namensform für Maximilian war Max, im Alltag jedenfalls, nur bei offiziellen Anlässen, in Urkunden und anderen Schriftstücken wurde Maximilian ausgeschrieben. Übrigens fand man bis ins 20. Jahrhundert hinein auch in der Wissenschaft nichts dabei, vom Kaiser Max zu sprechen. Heinrich Ulmann wechselt in seiner 1891 erschienenen Biographie ständig zwischen den beiden Namensformen.

Heikler ist der Begriff Kaiser. Denn genau genommen darf man erst ab Februar 1508 vom Kaiser Maximilian I. oder Kaiser Max sprechen, nachdem er – nach jahrelangen vergeblichen Versuchen, zur Kaiserkrönung nach Rom zu ziehen – im Dom von Trient feierlich verkünden ließ, dass er den Titel eines Erwählten Römischen Kaisers für sich in Anspruch nehme. Was ihm aufgrund alter Reichsgesetze durchaus zustand. Trotzdem war es eine Notlösung. Er selbst sah es nicht anders. Mit dem neuen Titel war auch ein anderes Wappen verbunden. Statt des einköpfigen Adlers des Königs führte er nun den doppelköpfigen Adler als Symbol des Kaisertums. Am Goldenen Dachl in Innsbruck wurden die mittleren Wappenreliefs ausgetauscht.

Wir müssen uns daran gewöhnen, König Maximilian zu sagen, solange von Ereignissen erzählt wird, die eindeutig in die Zeit vor 1508 fallen. Der Kaiser Max kommt danach. Schwieriger wird es, wenn es um die gesamte Regierungszeit geht, um den Menschen Maximilian, um sein Lebenswerk. Da kann man getrost vom Kaiser Maximilian sprechen, klar. Überhaupt sollte man sich nicht zu viel Kopfzerbrechen machen. Ich halte es in diesem Buch so, dass ich den Titel möglichst weglasse und nur von Maximilian spreche oder einfach den Titel wähle, der an der Stelle am besten passt.

Dieses Taschenbuch sollte übrigens kein Buch über Kaiser (oder König) Maximilian werden, sondern sein Verhältnis zu Tirol beleuchten. Es gibt eine ganze Reihe von Tirolern, die an der Seite Maximilians für ihr Land, für das zusammenwachsende Österreich, für das Reich oder ganz persönlich für den König und Kaiser tätig waren. Ein paar von ihnen gehörten zum ganz kleinen Kreis der Männer an den Hebeln der Macht. Über sie ausführlicher zu erzählen bleibt in einem »normalen« Buch über Maximilian kein Platz (Hermann Wiesfleckers fünf dicke Bände sind eine Ausnahme). Diese Überlegung war der Ausgangspunkt für dieses Buch. Es sollten einmal die Lebensgeschichten dieser Männer erzählt werden, die man sich sonst in der vielfältigen Literatur zusammensuchen muss. Aber nicht nur Menschen spielten eine wichtige Rolle in der Beziehung Maximilians zu Tirol, auch einzelne Orte hatten große Bedeutung für seine Regierung oder waren entscheidend dafür, dass ihm Tirol zur Heimat des Herzens wurde. Manche waren auch Schauplätze von Ereignissen großer Tragweite.

Die folgenden Geschichten von Menschen und Orten beruhen auf wissenschaftlichen Erkenntnissen und stützen sich auf die Arbeit mehrerer Generationen von Historikern. Die Wichtigsten von ihnen im Anhang zu nennen, war mir umso mehr ein Anliegen, als ich das Buch für ein breites Publikum erarbeitet und geschrieben habe und die leichte Lesbarkeit nicht durch einen Anmerkungsapparat beeinträchtigt werden sollte. Es sind Tiroler Schicksale, Tiroler Zustände und Ereignisse der Jahrzehnte um 1500, die geschildert werden, aber es taucht wie in einem Spiegel hinter den lokalhistorischen Fakten das facettenreiche Bild der überregionalen, ja europäischen Herrschergestalt Kaiser Maximilians I. auf.

Michael Forcher

Innsbruck, im Frühling 2019

Einleitung

HEIMAT SEINES HERZENS

Zwei bekannte Aussprüche Kaiser Maximilians I., so unterschiedlich sie sind, geben sein Verhältnis zu Tirol in bezeichnender Weise wieder: »Tirol ist ein rauher Bauernkittel, aber er wärmet gut« lässt ahnen, wie sehr diesem Hauptakteur auf dem Spielfeld Europa das kleine Gebirgsland im Zentrum des Kontinents zur Heimat seines Herzens geworden ist. Und sein Vergleich Tirols mit einem »Geldbeutel, in den man nie umsonst greift« beleuchtet die praktisch-egoistische Seite der Beziehung. Die Schätze aus den Bergen Tirols und die immer drückender werdende Steuerlast seiner Bewohner haben seine Politik und seine Kriege zu einem Großteil finanziert.

Für Maximilian musste nicht nur das Fließen der Steuern wichtig sein, sondern auch die Sicherung der Landesgrenzen, führte er doch viele Jahre hindurch Krieg in Oberitalien, und nach Niederlagen oder – noch häufiger – bei Rückzügen der kaiserlichen Landsknechte infolge Geldmangels musste dem nachdrängenden Gegner der Weg ins Land versperrt bleiben. Diese Aufgabe sah der Herrscher bei den braven Tirolern in besten Händen. Nicht ohne Grund nannte er sie »die ersten und trefflichsten« seiner Untertanen.

Wie kam dieser Habsburger überhaupt nach Tirol? Er entstammte der steirischen Linie dieser Dynastie, deren Residenz Maximilians Vater, Kaiser Friedrich III., von Graz nach Wiener Neustadt verlegt hatte, das im Mittelalter zur Steiermark gehörte. Hier kam Maximilian am 22. März 1459 zur Welt. Mit dem Aussterben des in Wien regierenden Familienzweigs, der Albertiner, waren 1457 die Länder an der Donau mit der Haupt- und Residenzstadt Wien an Friedrich gefallen. Der Kaiser sah sich jedoch in Wien mit heftigem Widerstand der Bürgerschaft konfrontiert und verlor die Stadt außerdem zusammen mit weiten Landstrichen seines niederösterreichischen Erbes an den Ungarnkönig Matthias Corvinus.

Der bedrängten Situation seines Vaters entsprechend wuchs der junge Maximilian in sehr bescheidenen Verhältnissen auf. Dagegen führte der Vetter seines Vaters, Herzog (ab 1477 Erzherzog) Sigmund der Münzreiche, in Innsbruck einen glänzenden Hof. Seit 1363 gehörte die Grafschaft Tirol den Habsburgern und wurde das ganze 15. Jahrhundert hindurch zusammen mit den Vorlanden, wie man die habsburgischen Stammlande und Besitzungen am Oberrhein und im Schwäbischen nannte, von der dritten habsburgischen Zweiglinie regiert, die Herzog Friedrich IV. mit der leeren Tasche als der erste »Tiroler Habsburger« begründet hatte und die sein Sohn, Erzherzog Sigmund der Münzreiche, nun fortsetzte. Er regierte über ein Land, das wegen seiner Bergschätze und der verkehrspolitischen Lage beiderseits der Nord- und Südeuropa verbindenden Alpenpässe von großer Bedeutung war. Als ihm weder seine erste Frau, die schottische Königstochter Eleonore (†1480), noch seine zweite Gemahlin Katharina von Sachsen (†1524) einen Nachkommen gebar, war der Zusammenschluss aller habsburgischen Länder nur mehr eine Frage der Zeit.

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Erzherzog Sigmund der Münzreiche mit seinen beiden Frauen Eleonore von Schottland (Mitte) und Katharina von Sachsen auf dem Stammbaum Kaiser Maximilians im Habsburgersaal von Schloss Tratzberg

Maximilian I. wurde so zum habsburgischen Alleinerben. Seine Hochzeit mit Maria von Burgund, das einzige Kind des 1477 bei Nancy im Kampf gegen die Schweizer Eidgenossen gefallenen Herzogs Karl des Kühnen, führte ihn aus der Enge und Rückständigkeit des Wiener Neustädter Hofes in eines der reichsten und modernsten Staatsgebilde Europas. Erst diese Verbindung ebnete dem Haus Habsburg den Aufstieg zur europäischen Großmacht. Allerdings brachte sie der Dynastie auch die erbitterte Feindschaft Frankreichs ein und hatte jahrzehntelange Kriege zur Folge. Maximilian war in Burgund nur Prinzgemahl und konnte sich nach Marias Tod (†1482) als Regent für den erst vierjährigen Sohn Philipp nur mühsam gegen die Machtansprüche der selbstbewussten niederländischen Stände durchsetzen. Seine Wahl zum römischen König (1486) machte ihn zwar zum designierten Nachfolger seines kaiserlichen Vaters, im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation mitregieren durfte er nicht.

Umso mehr kam dem jungen Fürsten entgegen, dass die Tiroler Landstände ihren Landesherrn Sigmund den Münzreichen loswerden wollten. Denn mit seiner verschwenderischen Hof haltung und der Hörigkeit auswärtigen Räten gegenüber hatte er das Land an den Rand des finanziellen Ruins geführt, einen unnötigen Krieg mit Venedig angezettelt und durch Pfandschafts- und andere Verträge die Gefahr herauf beschworen, dass Tirol samt den Vorlanden an die bayerischen Wittelsbacher fallen könnte. Da mussten der Kaiser und sein Sohn natürlich eingreifen. Tirol musste habsburgisch bleiben. Und für Maximilian bot sich die Chance, endlich ein Land selbständig zu regieren.

Auf einem Landtag im August 1487, dem – wie in Tirol seit Jahrzehnten üblich – neben Adel, Geistlichkeit und Bürgern auch Abgeordnete der Landgemeinden angehörten, musste Sigmund den Großteil seiner Macht einem Ausschuss des Landtags übertragen. Dass diesem mehrere Adelige angehörten, die als Parteigänger Kaiser Friedrichs III. und König Maximilians I. bekannt waren, war wohl kein Zufall. Im November desselben Jahres traten die Ständevertreter neuerlich zusammen und beschlossen – jetzt bereits in Anwesenheit von persönlichen Vertretern König Maximilians – eine Reihe von Maßnahmen zur Rettung des Landes: Friede mit Venedig, Kündigung der Verträge mit den Wittelsbachern und den vollständigen Rückzug Sigmunds von den Regierungsgeschäften. Das beispiellose, vom Erzherzog bestätigte Schlussdokument des Landtags eröffnete der Stän-deversammlung sogar die Möglichkeit einer Absetzung des Landesfürsten. So weit ließ es Erzherzog Sigmund der Münzreiche aber nicht kommen. Im März 1490 übergab er sein Land König Maximilian, der höchstpersönlich nach Innsbruck geeilt war, um gleich die Huldigung der Ständevertreter als ihr neuer Landesfürst entgegenzunehmen und die Regierung dieses habsburgischen Teilgebietes anzutreten.

Als König Maximilian nach dem Tod seines Vaters (1493) auch die anderen Erbländer der Habsburger unter seinem Szepter vereinte, hätte Tirol seine Sonderstellung verlieren können. Doch für Maximilian, dessen Herrschafts- und Interessensgebiete von der Schweiz bis auf den Balkan, von den Niederlanden bis nach Italien reichten, dessen Ehe- und Bünja sogar Schweden unddnispolitik darüber hinaus Spanien und England, ja sogar Schweden und Russland mit einbezog, für diesen Herrscher voll weit gespannter Pläne war Tirol geradezu das natürliche Zentrum seiner Regierung. Außerdem hegte der König, der 1508 den Titel eines Erwählten Römischen Kaisers annahm, eine besondere Vorliebe für das Land. Er nützte jede Gelegenheit, um nach Tirol zu kommen, und verweilte hier länger als anderswo. Er war leidenschaftlicher Jäger, liebte die Natur und die Berge. Manche haben ihn als ersten Alpinisten bezeichnet, der sogar bis in die Gletscherregion vordrang. Stolz schrieb er in sein privates Jagdbuch, er sei auf dem höchsten Gebirg Europas gewesen, ohne das Erdreich zu berühren. Für Erich Egg besteht kein Zweifel, dass Tirol für diesen durchaus »europäischen« Herrscher zur »Heimat seines Herzens« wurde.

Egg sieht einen Grund dafür im Beginn seiner Herrschaft in Tirol. Maximilian hätte auf dem Landtag von 1490 selbst miterlebt, wie die Ständevertreter an dem zum Rücktritt gedrängten Landesfürsten Sigmund heftige Kritik übten und dann doch mit der Gewährung eines ansehnlichen Jahresbetrages zur Finanzierung seiner aufwändigen Hof haltung einverstanden waren und außerdem die Versorgung der großen Zahl seiner unehelichen Kinder übernahmen. Für Egg ein Beweis »für das menschliche Band, das in Tirol Fürst und Volk umschloss«. Er argumentiert weiter: »Man sagte sich laut die Wahrheit ins Gesicht und mochte sich eigentlich doch ganz gern. Dieses Erlebnis war für Maximilian neu, der in den Niederlanden fast nur Intrigen und Gewalt erfahren hatte.« Dieser Theorie, die manchen wohl als zu romantisch scheinen mag, steht die Tatsache gegenüber, dass Maximilian gerade wegen der Erfahrungen in Flandern von allzu großer ständischer Macht und Mitregierung wenig hielt und sicher mit gemischten Gefühlen miterlebte, wie der rechtmäßige Landesfürst aus der Regierung gedrängt wurde. In Tirol schaltete er deshalb von Anfang an die »ständischen Sippschaften« (Wiesflecker) weitgehend aus und setzte ganz auf seine persönlichen Vertrauensleute. Einige brachte er mit, doch umgab er sich zu allen Zeiten seiner Herrschaft gerne mit Tirolern und setzte sie für wichtige Aufgaben ein.

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Porträt Maximilians I. von Hofmaler Bernhard Strigel aus dem Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum in Innsbruck

Bei der Reform der Tiroler Regierungs- und Verwaltungsbehörden spielte das Vorbild Burgund eine große Rolle. Das »Tiroler Regiment« galt bald schon als Muster einer modernen Staatsverwaltung. Die neuen Gesetze wurden von der Bevölkerung durchaus als Verbesserung der rechtlichen Situation und ihrer Lebensumstände erkannt. Zu Maximilians Reformen gehörte die Einführung der Erbleihe für alle Höfe auf landesfürstlichem Grund, was andere Grundherrn veranlasste, ebenso zu verfahren, und den Tiroler Bauern persönliche Sicherheit und wirtschaftliche Entfaltungsmöglichkeit gewährte. Als Maximilian in den niederösterreichischen Ländern daranging, Regierung, Verwaltung und besonders das Finanzwesen neu zu ordnen, ließ er mehrmals Tiroler und Vorderösterreicher nach Wien kommen, um ihre Erfahrungen weiterzugeben, oder setzte sie gleich auf wichtige Positionen des niederösterreichischen Regiments.

Die Tiroler in Maximilians engster Umgebung und die häufigen Besuche seiner Tiroler Jagdreviere mögen dokumentieren, dass der Kaiser das Land und seine Menschen schätzte, dass er sich hier vielleicht wirklich daheim fühlen konnte. Die machtpolitische Bedeutung der Erwerbung lag jedoch vor allem in den Bergschätzen des Landes, die Maximilians Unternehmungen finanzierten und deren Ausbeutung 1490 den Höhepunkt noch nicht erreicht hatte. Ertragreiche Gruben gab es im ganzen Land. Sie alle übertraf Schwaz, wo allein im Revier Falkenstein 1510 einige tausend Knappen das silber- und kupferhaltige Fahlerz zu Tage förderten. Die Edelmetalle wurden noch vor Ort in zahlreichen Schmelzhütten aus dem Gestein herausgelöst. 332.000 kg reines Silber wurden während der Regierungszeit Kaiser Maximilians in Schwaz gewonnen und großteils in der Haller Münzstätte weiterverarbeitet. Ein bedeutender Teil des Gewinns stand dem Landesfürsten zu. In die halbe Welt exportiert wurde auch das begehrte Kupfer, das durch ein spezielles Verfahren während des Schmelzvorgangs vom Silber getrennt wurde.

Die einzelnen Gruben waren anfangs im Besitz kleiner Unternehmer, sogenannter Gewerken. Einigen der einheimischen Bergherren gelang der Aufstieg in die Nähe jener großen ausländischen Handelshäuser, denen in späteren Jahren die meisten Gruben gehörten, wie den Baumgartnern, Welsern oder den Fuggern aus Augsburg. Ob Hochzeit mit standesgemäßem Aufwand zu feiern, ein Krieg zu führen oder Bestechungsgeld für die Kurfürsten fällig war, Jakob Fugger – oder ein anderer dieser modernen Kapitalisten – streckte das Geld vor. Als die benötigten Summen immer größer wurden, verpfändete Maximilian einzelne Gruben oder gleich das ganze Silber, das über einen gewissen Zeitraum aus einem Revier zu erwarten war.

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Vor allem die Tiroler Bergschätze garantierten dem Landesfürsten reiches Einkommen. (Darstellung der Arbeit von Bergknappen in der Barbarakapelle des Bergwerkortes Gossensaß)

Gegenüber den Einnahmen aus dem Bergsegen spielten der landesfürstliche Grundbesitz, Steuereinnahmen und selbst die Straßenzölle eine untergeordnete Rolle, obwohl dank gestiegenem Warenverkehr auf den Hauptlinien des europäischen Warenaustausches auch diese Geldquelle reichlich floss. Schon in den ersten Jahren seiner Regierung steigerte Maximilian das Steueraufkommen um ein Vielfaches, weil er mit der unter Sigmund eingerissenen Schlampigkeit der Verwaltung aufräumte, mit verschiedensten Vergünstigungen Schluss machte, strenge Kontrollen einführte und das Finanzwesen auf doppelte Buchführung umstellte. Auch bei den Ausgaben wurde gekürzt, was vor allem der zurückgetretene Landesfürst Erzherzog Sigmund zu spüren bekam. Sein Nachfolger nahm ihn zwar gern auf die Jagd mit, aber dass das vereinbarte Jahressalär einen Gutteil der Einnahmen verschlang, wollte Maximilian nicht einsehen und zwang seinen »lieben Oheim«, wie er ihn gerne nannte, etwas weniger aufwändig zu leben. 1496 fiel durch Sigmunds Tod dieser Posten des Landesbudgets ohnehin weg. Dank dieser Maßnahmen mussten in den ersten Jahren von Maximilians Regierung die regulären Steuern und Abgaben nicht erhöht werden, wie es dann in späteren Jahren mehrmals geschah. Zusätzlich zu der immer drückender werdenden Steuerlast verlangte der Kaiser vom Landtag ein ums andere Mal die Bewilligung beträchtlicher Sondermittel für seine Kriege.

Die 1511 erlassene Steuerordnung verband der Landesfürst mit neu festgelegten Richtlinien der Landesverteidigung, die den Tirolern allein überlassen wurde, während er sie gleichzeitig von der Verpflichtung zu Kriegsdiensten außerhalb des Landes befreite. Dieses bis heute von den Tiroler Schützen als ihr Gründungsdokument betrachtete »Elf jährige Landlibell« beruht auf älterer Praxis und entsprechenden Ordnungen Sigmunds des Münzreichen und war das Ergebnis von eingehenden Beratungen mit Vertretern der Landstände. Dass die Tiroler die Kriege der Habsburger mitfinanzieren mussten und in Feindschaften hineingezogen wurden, die ihren ureigensten Interessen widersprachen, war einer der Nachteile der Verbindung mit dem habsburgischen Imperium. So schädigten die Kriege gegen die Republik Venedig den lebenswichtigen Transithandel. Außerdem standen zwischen 1508 und 1516 Jahr für Jahr fast 10.000 Tiroler unter Waffen, um bei Rückschlägen der kaiserlichen Kriegsführung die Landesgrenzen zu verteidigen. 1499 mussten Tiroler Bauern gegen ihre Schweizer Standesgenossen in den Kampf ziehen. Die Folge war eine verheerende Niederlage der Tiroler an der Calven bei Glurns. 4000 bis 5000 Leichen sollen auf dem Schlachtfeld geblieben sein. Anschließend plünderten und verwüsteten die Sieger den Vinschgau bis nach Schlanders hinunter.

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Siegel Kaiser Maximilians I. am »Tiroler Land libell« von 1511 mit der Unterschrift des Tirolers Zyprian von Serntein, der vom Sekretär zum Hof kanzler aufgestiegen war

Die Nähe zum oberitalienischen Kriegsschauplatz machte Innsbruck zum idealen Platz, eine regelrechte Rüstungsindustrie aufzubauen (Herstellung von Waffen und Brustpanzern, Geschützguss) und ein umfangreiches Waffenlager anzulegen. Aus dem Innsbrucker Zeughaus konnten mehrere Heere ausgerüstet werden. Innsbruck war überhaupt – das kann man ohne Übertreibung sagen – das Zentrum von Maximilians Regierung, nicht nur als Tiroler Landesfürst, sondern auch als römischdeutscher König und Kaiser. Abgesehen von Augsburg weilte er in keiner Stadt öfter und länger als in der Tiroler Hauptstadt, die er auch zur Residenz seiner zweiten Gemahlin Bianca Maria Sforza bestimmte. Wäre ihm im Zuge einer Reichsreform die Einführung zentraler Behörden gelungen, hätte er diese nirgendwo anders als in Innsbruck etabliert. Hier tagte 1518 auch der Generallandtag, der erstmals Vertreter aller habsburgischen Erbländer zusammenführte und für das Zusammenwachsen »Österreichs« wichtig war.

Zu Maximilians Zeiten war Innsbruck ein Hauptziel europäischer Diplomaten, die oft wochenlang auf eine Audienz warten mussten. Der König und seine Berater trafen sich hier oder anderswo in Tirol mit Fürsten und Würdenträgern großer und kleiner Staaten zu Verhandlungen und zum Abschluss von Verträgen. Danach gab es Einladungen zu höfischen Jagdausflügen, zu Konzerten der Hofmusik und verschiedenen Festlichkeiten mit Tanz und Mummereien.

Innsbruck hatte in kultureller Hinsicht jedem Gast viel zu bieten, war die Stadt doch schon unter Sigmund dem Münzreichen zu einem europäischen Kulturzentrum aufgestiegen, und Maximilian hatte dessen Bedeutung noch steigern können. Seine naive Freude an Ritterspiel und Tanz, an Geselligkeit und volkstümlicher Unterhaltung paarte sich mit höheren kulturellen Interessen und viel Verständnis für das künstlerische Schaffen seiner Zeit. Die Ausgestaltung Innsbrucks mit so prachtvollen und repräsentativen Kunstwerken wie dem Wappenturm und dem Goldenen Dachl muss auf die zahlreichen Diplomaten und Würdenträger, die sich hier in der Residenzstadt trafen, einen gewaltigen Eindruck gemacht haben. Genau dies wollte der Kaiser erreichen. Die volle Entfaltung des kaiserlichen Glanzes war ein legitimes Mittel seiner Politik. Alle Zweige der Kunst und vor allem auch das Kunsthandwerk sollten dazu beitragen. Dem gleichen Repräsentationszweck dienten Schaujagden und Turniere. Stempelschneider und Münzmeister wiederum waren es, die den Weltruf der maximilianischen Siegel, Münzen und Medaillen begründeten. Auf erstklassige Ausführung seines Porträts mit der typischen Hakennase legte Maximilian auch bei den Münzen größten Wert.

Kunsthandwerk und Kunst aller Sparten sollten nicht nur Maximilians Ansehen bei den Großen seiner Zeit und seine Popularität steigern, es ging auch darum, der Nachwelt ein glanzvolles Bild seines Herrschertums und seines Hauses zu überliefern. Als Höhepunkt, Abschluss und Zusammenfassung seiner zahlreichen diesbezüglichen Initiativen plante Maximilian ein monumentales Grabmal: Alle seine großen Ahnen sollten ihm – in Erz gegossen und vergoldet – das Totengeleit geben und das Haus Habsburg glorifizieren. Die hochentwickelte Technik und lange Erfahrung der Innsbrucker Bronzegießer, die auch den höchsten künstlerischen Anforderungen gerecht wurden, machte es möglich, die Verwirklichung des kühnen Planes in Angriff zu nehmen. Die Bemühungen der Augsburger, den Auftrag für ihre Stadt zu gewinnen, scheiterten.

Mit seinem Grabmal, wenn es auch unvollendet blieb, schuf der Kaiser Maximilian I. für sich ein bleibendes »Gedächtnus« und für Innsbruck bis heute einen der bedeutendsten Kulturschätze und Anziehungspunkt für Besucher aus aller Welt. Dem Land Tirol gab Kaiser Maximilian nicht nur europäische Bedeutung. Er vergrößerte es auch und gab ihm die Grenzen, die sich bis zum Ende des Ersten Weltkriegs nicht mehr veränderten. Unter seiner Regierung kamen 1500 die Herrschaft Lienz und das Pustertal zu Tirol, vier Jahre später auch die bis dahin bayerischen Gerichte Kufstein, Kitzbühel und Rattenberg.

Die letzte Erwerbung war eine Folge des »Großen Venedigerkrieges«, der acht Jahre lang mit kaum vorstellbarer Brutalität gewütet und ganze Landstriche in Oberitalien verwüstet hinterlassen hatte. Völlige Erschöpfung seiner Länder und die Aussichtslosigkeit, weitere finanzielle Mittel aufzutreiben, hatten den Kaiser gezwungen, die Vermittlung seines Enkels Karl, des Königs von Spanien, anzunehmen und 1516 dem für ihn beschämenden Frieden von Brüssel zuzustimmen. Es blieben ihm nur einige Landstriche im östlichen Friaul und an der Tiroler Grenze das Etschtal südlich von Trient mit Rovereto, Herrschaften am Gardasee (Riva) und das Gebiet von Ampezzo (heute besser bekannt als Cortina d’Ampezzo) an der wichtigen Straße vom Pustertal ins Cadore und nach Venedig.

Die Forschung hat längst widerlegt, dass Kaiser Maximilian im Dezember 1518 die Tore Innsbrucks verschlossen vorgefunden hätte und weiterziehen musste, weil er seine Schulden bei den Wirten der Stadt nicht bezahlen hätte können. Die hätten so ein Verhalten – trotz aller Altersmilde des Herrschers – wahrlich bitter gebüßt. An der Geschichte stimmt nur, dass der Tross im Freien kampieren musste, bis wenigstens ein Teil der offenen Rechnungen beglichen war. Der Kaiser hatte auf dem Weg von Augsburg nach Innsbruck noch einige Tage in Ehrenberg und am Heiterwanger See gejagt, am 30. Oktober erreichte er Innsbruck und bezog seine Räumlichkeiten in der Hof burg. Am 2. November überfiel ihn heftiges Fieber. Trotzdem zog er nach wenigen Tagen weiter. Geschwächt, wie er war, stieg er nicht aufs Pferd, sondern ließ sich in einer Sänfte tragen. Ab Hall benützte man den Wasserweg. Von unterwegs schrieb er dem Tiroler Regiment, er werde nach Weihnachten zurückkehren, um einige noch offene Geschäfte zu erledigen. Dazu kam es aber nicht mehr. In Wels, wo der kaiserliche Zug am 25. November ankam, warf den Kaiser ein Gallen- und Nierenleiden aufs Krankenbett, das er nicht mehr verließ. Maximilian I. starb am 12. Jänner 1519.

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Schon in seiner Zeit in Burgund waren Tiroler an Maximilians Seite. Auf diesem Holzschnitt aus seinem auto-biografischen Ritter roman »Theuerdank« gerät Florian Waldauf mit dem König in Seenot.

I

NEUE AUFGABEN FÜR ALTE KAMPF GEFÄHRTEN

Einige Tiroler hatte Maximilian I. schon kennengelernt, lange bevor er nach Tirol kam und neuer Landesfürst der Grafschaft und der habsburgischen Vorlande wurde. Sie folgten ihm nach Flandern, waren seine Kampfgefährten, als es galt, das burgundische Erbe gegen die Ansprüche des französischen Königs zu verteidigen, und standen ihm in den kritischen Jahren der Auseinandersetzung mit den aufständischen Bürgern der flandrischen Städte bei. Als gekrönter römisch-deutscher König nach Tirol gekommen, wo er 1490 Sigmund den Münzreichen als Landesfürst ablöste, waren sie wieder zur Stelle und übernahmen in seinem Dienst wichtige Aufgaben. Die Rede ist vom adeligen Veit von Wolkenstein und vom Bauernsohn Florian Waldauf. Der Name des einen ist mit der Burg Rodenegg bei Brixen verbunden, an den anderen erinnert heute noch die Waldauf kapelle in der Stadtpfarrkirche von Hall in Tirol.

Veit von Wolkenstein – Ritter und Redner

Vielleicht war Veit von Wolkenstein der erste Tiroler, den der spätere Kaiser Maximilian I. kennenlernte. Denn der Sohn des Pflegers von Rodeneck, Enkel des auch den Zeitgenossen bekannten Ritters und Dichters Oswald von Wolkenstein, war im Gefolge des jungen Habsburgers nach Burgund geritten. Dort sollte Erzherzog Maximilian von Österreich, der Sohn Kaiser Friedrichs III., Hochzeit mit Maria von Burgund feiern, der Erbtochter des »Großen Herzogtums des Abendlandes«, und damit Frankreichs Ansprüche abwehren und dem Hause Habsburg eine glänzende Zukunft sichern.

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Wappenstein des Veit von Wolkenstein auf Schloss Rodenegg, das sein Vater als Pfleger verwaltet hatte und das ihm sein kaiserlicher Dienstherr und Freund 1491 in Anerkennung seiner Verdienste schenkte

Was den 21-jährigen Veit von Wolkenstein veranlasste, sich an dieser »Brautfahrt« nach Flandern, in Burgunds »niedere Lande«, zu beteiligen, kann man nur vermuten. Abenteuerlust hat sicher eine wesentliche Rolle gespielt. Verstärkt vielleicht durch die von Rittermythen genährte Begeisterung, den jungen Prinzen und zukünftigen Kaiser beschützen zu helfen und mit ihm ein edles Fräulein vor dem Ansturm der Feinde zu erretten. Das »Bilderbuch« seiner Kindheit, die Fresken der Iwein-Sage im »Wohnzimmer« der Burg, in der er aufgewachsen war, könnte seine Wirkung entfaltet haben.

In der Schlacht von Guinegate (1479) gegen ein französisches Ritterheer tat sich Veit rühmlich hervor und gewann die Gunst des Herzogpaares. Nach Marias Unfalltod (1482) begleitete er Maximilian 1486 als Rat und Kämmerer zur Königswahl nach Frankfurt und zur Krönung nach Aachen, wo er den Ritterschlag empfing. In Flandern hingegen wurde er in die Auseinandersetzung Maximilians mit den Ständevertretern der Niederlande verwickelt, die sich von der neuen Würde des Habsburgers nicht beeindrucken ließen. Als sich die Bürger von Gent und Brügge gegen Maximilian erhoben und ihn einsperrten, gerieten auch Veit von Wolkenstein wie andere Freunde und Günstlinge des Königs in Gefangenschaft, kam jedoch bald wieder frei, eilte ins Reich und kehrte mit dem von Kaiser Friedrichs III. befehligten Reichsheer zurück. Einer gewaltsamen Befreiung Maximilians bedurfte es nicht mehr, denn der hatte gerade unter allerlei Versprechungen die Freiheit wieder erlangt. Zwei Geiseln sollten die Einhaltung von Maximilians Zusagen garantieren. Dass sich neben Graf Rudolf von Anhalt der Tiroler Freiherr Veit von Wolkenstein dazu bereit erklärte, wissen wir aus einem Brief, den der aus Hall bei Innsbruck stammende Jurist und Diplomat Dr. Johannes Fuchsmagen (siehe S. 90–97) an Erzherzog Sigmund von Tirol schrieb. Fuchsmagen war als kaiserlicher Rat in die Verhandlungen eingebunden. Die rebellische Bürgerschaft ließ die beiden jedoch bald wieder frei, wohl weil man die Rache des Kaisers fürchtete, denn dass dieser sich nicht an die Versprechungen seines Sohnes gebunden fühlte, musste jedem klar sein.

Nur zwei Jahre nach diesen dramatischen Ereignissen wurde Maximilian Landesfürst von Tirol und belohnte die Treue seines Tiroler Freundes damit, dass er das bisher von der Familie Wolkenstein nur verwaltete Schloss Rodeneck in dessen Besitz übergehen ließ. Veit aber blieb in den folgenden Jahren fast ständig in Maximilians Nähe, der vor allem seine wohl vom Großvater geerbte Rednergabe nutzte und ihn bei Verhandlungen und auf Reichstagen die entscheidenden Reden halten ließ. Veit von Wolkensteins vertraute Stellung war allgemein bekannt, sodass mächtige Reichsfürsten und nicht minder wichtige Städte den Wolkensteiner in oft heiklen Angelegenheiten um Vermittlung beim König baten. Wie fast jeden seiner Räte und Beamten pumpte der König auch den Wolkensteiner um beträchtliche Summen an und überließ ihm dafür 1496 Schloss und Herrschaft Ivano in der Valsugana als Pfandlehen.

Zu dieser Zeit beendete Veit von Wolkenstein, der mit Elisabeth von Montfort verheiratet war, aber keine Kinder hatte, das ständige Herumreisen. Vermutlich stand es mit seiner Gesundheit nicht zum Besten, denn er überließ Burg Rodenegg gegen eine Leibrente seinem Bruder Michael, übernahm zwar noch das Amt eines Statthalters in den Vorlanden, starb aber bereits um den Jahreswechsel 1498/99 in Freiburg im Breisgau. Er könnte sich dort anlässlich eines Reichstages aufgehalten haben. Es wird wohl König Maximilian gewesen sein, der ihn im Chor des dortigen Münsters bestatten ließ. War immerhin eine große Ehre.

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Schloss Rodenegg, seit 1491 im Besitz des Veit von Wolkenstein

Florian Waldauf –
Diplomat und Reliquien-
sammler

Unter den Tirolern im Umkreis Maximilians kommt Florian Waldauf eine besondere Stellung zu: Erstens weil er vielleicht der Einzige war, den man ohne Übertreibung als persönlichen Freund des Königs bezeichnen kann, zweitens wegen seiner Herkunft aus dem Bauernstand und drittens wegen seiner tief im Mittelalter verwurzelten, von Humanismus und Zeitgeist unbeeinflussten Religiosität, worin er dem in anderen Lebensbereichen »modernen« Maximilian nicht unähnlich war.

Etwas revidieren muss man wohl die gängige Vorstellung vom armen »Bauernbuben« Florian und seiner überraschenden Karriere am Kaiserhof. Denn so groß und unvorhersehbar war der Sprung nicht. Waldaufs Vater gehörte zu den Wohlhabenden der Gemeinde. Und die Baldauf (so die ursprüngliche Namensform) vom Balfenhof im Weiler Asch der Pustertaler Ortschaft Anras hatten angesehene Bürger in Lienz als Verwandte, einige standen im Dienst der Görzer Grafen. Sie besaßen Höfe und Gründe im weiten Umkreis und verpachteten sie an Bauern. Aus der Verwandtschaft von Florians Mutter Walburga Wieser in Kartitsch und Sillian waren ebenfalls mehrere Mitglieder bereits in sozial höhergestellte Schichten aufgestiegen. Unter ihnen gab es Domherren, Richter und landesfürstliche Beamte. Über einen von ihnen wird der um 1465 als eines von sieben Kindern geborene Florian zunächst wohl in die Brixner oder die Innichner »Domschule« gekommen sein, wo er sich hervorragende Kenntnisse der lateinischen Sprache und jene Bildung aneignen konnte, für die er zeit seines Lebens bekannt war. Sein Onkel Hans Wieser in Innsbruck, Sekretär des Landesfürsten Erzherzog Sigmund, war es dann, der ihm eine Anstellung bei den Landesbehörden vermittelte. Aus Dank dafür kümmerte sich Florian Waldauf nach Hans Wiesers Tod 1486 um dessen Kinder als deren »nächster Freund und Beistand«. Auf Familien netzwerke konnte man sich offenbar verlassen.

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Diesen kunstvoll gemeißelten Grabstein ließ Florian Waldauf von Waldenstein 1493 seinem Vater Jörg in Asch setzen, einem Ortsteil von Anras im Pustertal.

In diesem Zusammenhang ist auch interessant, dass Florians Bruder Leonhard mit Veronika Hölzl aus Sillian verheiratet war, der Schwester des ebenfalls in Sigmunds und später in Maximilians Diensten stehenden Blasius Hölzl (siehe S. 78–89). Seinem 1493 verstorbenen Vater Georg setzte der auf der Karriereleiter emporgekletterte Sohn an der Kirchenmauer von Asch einen Grabstein, den die Wappen der inzwischen geadelten Familie Waldauf von Waldenstein und das Familienwappen der Wieser aus Kartitsch zieren. Die hohe künstlerische Qualität des Steins lässt erkennen, dass er bei einem der besten Hofbildhauer Innsbrucks in Auftrag gegeben wurde.

Eine erste Wappenbesserung wurde Florian Waldauf – damals noch Baldauf geschrieben – bereits 1483 durch Erzherzog Sigmund den Münzeichen gewährt und von Kaiser Friedrich III. bestätigt. Einige Jahre vorher – Heinz Moser meint um 1470 – dürfte er seinen Dienst als Kanzleischreiber angetreten haben. In der entsprechenden Urkunde wird als Grund für diese landesfürstliche Gnade genannt, dass er sich als »sehr verwendbar« erwiesen habe. Als sich der Landesfürst in den 1480er Jahren durch seine Verschwendungssucht und durch eine den Landesinteressen abträgliche Politik den Unwillen der Ständevertretung zuzog, musste sich Florian Waldauf entscheiden, ob er ohne Vorbehalte zu seinem Dienstherren stehen oder ob er sich auf die Seite eines einflussreichen Personenkreises stellen sollte, der eine Änderung der Herrschaftsverhältnisse herbeiführen wollte. Bestand doch die ernste Gefahr, dass Tirol und die Vorlande den Habsburgern verloren gehen konnten. Sigmund verpfändete laufend Tiroler Herrschaften, ja ganze Teile seines Fürstentums an die Wittelsbacher, um sein aufwändiges Hof leben finanzieren zu können. Er stand völlig unter dem Einfluss der »Bayernpartei« am Hof und einiger Räte, die aus München reichlich dafür entlohnt wurden. Er war ja auch mit dem Wittelsbacher Herzog Albrecht IV. von Bayern befreundet und half ihm, Maximilians Schwester Kunigunde gegen den Willen des Kaisers zu heiraten. Dass die Hochzeit noch dazu in Innsbruck stattfand, mussten beide als Affront empfinden.

In dieser Situation musste der Kaiser eingreifen. Während die Ständevertreter im Landtag ein Gesetz zur weitgehenden Entmachtung des Landesfürsten und die Bildung einer landständischen Regierung vorbereiteten, betrieb Friedrich III. insgeheim die Übernahme der Herrschaft in Tirol durch seinen Sohn und Alleinerben Maximilian. Dazu brauchte er Verbündete in Tirol, die unabhängig von den mächtigen Adelsfamilien im Land waren. Denn diese wollten selbst von Sigmunds Schwäche profitieren und dachten weniger an die Interessen des Hauses Habsburg. Auf Habsburgs Seite stand der Haller Jurist Dr. Johannes Fuchsmagen, der seit 1485 nicht mehr für den Tiroler Landesfürsten tätig war, sondern als kaiserlicher Rat agierte. Wahrscheinlich hat er Florian Waldauf dazu gebracht, ebenfalls in den Dienst Kaiser Friedrichs bzw. Maximilians zu treten, der gerade zum römisch-deutschen König und damit zum Nachfolger seines Vaters auf dem Kaiserthron gewählt worden war. Denn als Beamter des amtierenden Landesfürsten war er an seinen Diensteid gebunden und hätte kaum etwas unternehmen können. Eine Bestellungsurkunde ist nicht erhalten, doch nennt König Maximilian in einer am 16. Mai 1487 ausgestellten Urkunde Florian Baldauf (immer noch in dieser Schreibweise) »unseren Sekretär« und bedankt sich – wohl informiert von Dr. Fuchsmagen – für die Dienste, die er den »Häusern Österreich und Burgund« geleistet habe, insbesondere für dessen Bemühungen, dass Tirol »bei uns und unserem Haus Österreich bleiben und davon nichts gewendet noch zerstreut werde«. Als Belohnung bekommt Florian Waldauf reichliche Pfründe aus einem Haller Salinenamt zugesprochen.

Als dann im Haller Landtag vom August 1487 Sigmund unter Kuratel gestellt, die »bösen Räte« entlassen und Verpfändungen rückgängig gemacht werden, ist dies für Maximilian Anlass genug, Florian Waldauf (ab jetzt gilt diese Schreibweise des Namens) in den Ritterstand mit dem Adelsprädikat »von Waldenstein« zu erheben. Und wieder nennt der König den Grund für diese bedeutende Auszeichnung. Es ist Waldaufs »getreuer Fleiß, die Mühe und die Arbeit bei der Zerstörung des unordentlichen Regiments mit Wagung seines Leibs und Lebens«. Eine ähnliche Formulierung findet man auch in einer späteren Urkunde. Es muss wohl wichtig gewesen sein. Für uns bleibt dieser Punkt rätselhaft, denn wir wissen nicht, warum und wie Waldauf bei seinen pro-habsburgischen Aktivitäten in Lebensgefahr gekommen sein könnte. Wollten ihn seine Gegner aus dem Weg schaffen? Wir können uns ja überhaupt schwer vorstellen, was sich so Dramatisches abgespielt haben könnte in jenen Wochen und Tagen, als es um die Rettung Tirols für Österreich ging. Stoff für einen historischen Thriller. Hier ist Phantasie gefragt. Der seriöse Historiker kann aufgrund der erhaltenen Quellen nicht mehr dazu sagen. Waldauf selber nimmt nie darauf Bezug, was auch seltsam ist, denn er stellt sonst sein Licht nie unter den Scheffel.

Kurz nach den Ereignissen des Jahres 1487 beginnt Waldaufs Zeit an des Königs Seite. Maximilians Sekretär wird zu dessen Kampfgenossen. Im Frühjahr 1488 weilte Kaiser Friedrich III. gerade zu Verhandlungen mit seinem weitgehend entmachteten Vetter Sigmund und der vom Landtag eingesetzten Ständeregierung in Innsbruck, als die Nachricht eintraf, dass der um das burgundische Erbe, die Regentschaft und die Vormundschaft für seinen Sohn Philipp ringende König Maximilian von den aufständischen Bürgern von Brügge in eine Falle gelockt und gefangen genommen worden sei. Eine ungeheure Schandtat, einen rechtmäßigen Landesherrn und gesalbten König derart zu behandeln! Überall im Reich herrschten Entsetzen und Empörung, nicht nur in den habsburgischen Ländern. In Andachten und Bittprozessionen erflehten die Menschen seine Befreiung. Der sonst so bedächtige, selten zu raschem Handeln entschlossene Kaiser rief sofort zur Sammlung eines Reichsheeres auf, wobei er diesmal auf die Unterstützung wenigstens einiger der wichtigen Fürsten zählen konnte, da es nicht zuletzt um die Ehre des Reichs ging.

Mit dem Kaiser brach ein kleines Tiroler Aufgebot nach Flandern auf. Auch Florian Waldauf schloss sich ihm an, rüstete auf eigene Kosten einige Knechte aus und erschien Ende April vor Brügge. Irgendwann kam in Tirol die Geschichte auf – und sie hält sich bis heute–, Florian Waldauf hätte versucht, seinen König aus der misslichen Lage zu befreien. Er hätte sich dazu mit dem schwäbischen Ritter Kunz von der Rosen zusammengetan, einem einfallsreichen und lustigen Gesell, der auch von Historikern unzutreffend als Maximilians Hofnarr bezeichnet wird. Und die beiden wären, als Mönche verkleidet, zu Maximilian vorgedrungen. Der Tiroler hätte vorgeschlagen, Maximilian solle die Kutte anziehen und entkommen, er würde an seiner statt in der als Gefängnis dienenden Cranenburg bleiben. Maximilian hätte dies aber entschieden abgelehnt. – Alles reine Erfindung! Wie es wirklich war, wurde in Zusammenhang mit Veit von Wolkensteins Rolle beim flandrischen Bürgeraufstand schon dargestellt (siehe S. 29–30).

Florian Waldauf war jedenfalls von Maximilians Befreiung an immer in seinem engsten Umkreis zu finden, machte alle Kämpfe gegen die flandrischen Rebellen mit und folgte dem König auch in das Herzogtum Brabant und in die nördlichen Grafschaften Seeland und Holland, wo es ebenfalls Unruhen zu beschwichtigen und Kämpfe zu bestehen gab. »Tapfer, ritterlich, keck und unverdrossen« hätte er sich verhalten, lobt Maximilian seinen treuen Tiroler im Adelsbrief. Sicher viel zur gegenseitigen Verbundenheit beigetragen hat ein Abenteuer, das die beiden am Tag nach Dreikönig des Jahres 1489 zu bestehen hatten. Es geschah während der Überfahrt von dem damals noch weitgehend von Wasser umschlossenen Amsterdam nach Sperdam (heute Spaarndam, ein zur Gemeinde Haarlem gehöriges Dorf). Hofgesinde und Kriegsvolk benützten mehrere große Schiffe, doch ging es dem König zu langsam, und er befahl, ein kleineres, schnelleres Boot heranzuschaffen, das außer Segel auch über Ruder verfügte.

Zusammen mit einem Teil seines Gefolges stieg er um und eilte den anderen Schiffen voraus. Doch plötzlich fiel dichter Nebel ein und sie verloren die Orientierung. Gleichzeitig schnitten die vielen am Wasser treibenden Eisschollen die dünnen Holzplanken auf, sodass Wasser ins Boot drang. Eile war geboten, doch niemand wusste, in welche Richtung es zum sicheren Hafen ging. Bald standen alle knöcheltief im Wasser, schrien verzweifelt um Hilfe und erflehten Rettung von allen Heiligen und Engeln. Nur der König behielt die Ruhe, zeigte »keine Entfärbung des Gesichts«, blieb »ganz tröstlich und unerschrocken« und ließ die Lecks mit Kleidungsstücken verstopfen. Es nützte wenig. Wie Florian Waldauf später bekennt, war auch er von Todesangst erfüllt und gelobte im Falle ihrer Errettung eine dreifache Stiftung: Als Erstes wolle er stiften, was Gott am wichtigsten und für das Seelenheil vielen Christenmenschen am notwendigsten sei. Zweitens wolle er stiften, was der Jungfrau Maria am wohlgefälligsten sei, und zum Dritten, was den Engeln und Heiligen am meisten Lob und Ehre bringe. Kaum waren diese Gedanken zu Ende gebracht und durch heiligen Eid besiegelt, lichtete sich der Nebel, die Sonne kam hervor, die Eisschollen schmolzen dahin, und die Ruderknechte sahen das Ziel vor Augen. Zwei Stunden später gingen der Kaiser und sein Gefolge samt dem frommen Pustertaler in Sperdam heil und gesund an Land.

Illustration

König Maximilian I. mit Gefolge in Seenot (Holzschnitt von Hans Burgkmair d.Ä. im Haller Heiltumsbuch)

Drei Tage später berichtete Waldauf seinem Beichtvater von dem Gelübde und wollte dessen Rat, wie er sein Versprechen verwirklichen sollte. Denn in Todesgefahr etwas zu geloben und es dann in die Tat umzusetzen, ist etwas ganz Verschiedenes. Das merkte auch der wackere Ritter nur zu bald. Woher das Geld nehmen? Und was hatte er eigentlich versprochen? Was war am gottgefälligsten, was nützte den Christenmenschen am meisten, womit stellte er die Muttergottes zufrieden, was brachte den Engeln und Heiligen am meisten Lob und Ehre? Der Beichtvater riet ihm, alles dem König zu erzählen. Maximilian, der ja wahrscheinlich diesem Gelübde sein Leben verdanke, würde ihm sicher in jeder Weise helfen. Und so war es dann auch. Der König zog den Bischof von Brixen sowie Theologen und Rechtsgelehrte von sieben Universitäten hinzu, um richtig auszulegen, was der Tiroler in Seenot versprochen hatte, und dann bei der Erfüllung des Gelübdes ja nichts falsch zu machen. Das Ergebnis dieser Beratungen wurde in einem Stiftungsbrief niedergeschrieben. Die wesentlichen Punkte sind die Stiftung eines Predigeramtes, die Erbauung einer Maria-Himmelfahrt-Kapelle und die Gründung eines »Heiltums« mit möglichst vielen Reliquien. Die Verwirklichung wurde zu Waldaufs eigentlichem Lebensziel. Die Kosten übernahm zu einem beträchtlichen Teil der König.

Bevor Florian Waldauf an die fromme Aufgabe schreiten konnte, standen weiter Politik und Kampf im Vordergrund. Zunächst war Tirols Landesfürst Sigmund der Münzreiche zu überreden, auf die Herrschaft zu verzichten und seinen Teil der habsburgischen Länder dem habsburgischen Alleinerben zu übergeben. Eine beachtliche Summe auf die Hand, die natürlich Jakob Fugger vorstreckte, und eine mehr als nur ansehnliche jährliche Apanage versüßten ihm den Rücktritt. Florian Waldauf, der – obwohl unzweifelhaft Parteigänger des Königs – weiter Sigmunds Vertrauen besaß, wird viel dazu beigetragen haben, dass der Übergang so reibungslos verlief und ohne allzu große Demütigung des mit seinen 63 Jahren damals schon als betagt geltenden und von verschiedenen Krankheiten geplagten Fürsten. Als er mit Maximilian schon wieder weitergezogen war, versicherte er seinem ehemaligen Dienstherrn, dass er »ganz untertänig willig und geneigt sei«, Sigmunds »Sachen und Geschäfte« beim König »treulich« zu vertreten. Dieser sei damit einverstanden. Tatsächlich ernannte Maximilian Florian Waldauf zum » Sollicitator [Vermittler, Sachwalter, Anwalt] und Diener« Erzherzog Sigmunds und seiner Gemahlin Katharina von Sachsen.

Diesem Umstand haben wir es zu verdanken, dass wir über die Ereignisse der nächsten Jahre Informationen aus erster Hand haben. »Neue Zeitungen« nennt Florian Waldauf seine laufenden brief lichen Berichte an den abgetretenen Erzherzog. Sie sind im Tiroler Landesarchiv erhalten und stellen eine einzigartige Geschichtsquelle dar. Die ersten Briefe schildern den Ungarnfeldzug, den Maximilian unmittelbar nach der Regierungsübernahme antrat, um nach dem Tod des Königs Matthias Corvinus die von diesem besetzten habsburgischen Länder im Osten zurückzugewinnen. Die Stadt Wien, wo Corvinus residiert hatte, hat sich »wiederumb zu uns gekeret«,»Florian Waldauf, Sekretär«»Käsebretter«»Hopfenstangen«