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Bernhard Aichner

Kaschmirgefühl

Ein kleiner Roman über die Liebe

Für dich, Ursula.
Nichts ist schöner, als mit dir
verrückt auf dieser Welt zu sein.
Du bist meine Sonne, mein Lächeln, mein Land.
Hand in Hand mit dir. Jeden Tag für immer.

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– Hörst du mich?

– Ja.

– Ich bin Yvonne. Und ich werde mich jetzt um dich kümmern. Ich werde dafür sorgen, dass du diesen Anruf nie wieder vergisst.

– Ich habe das hier noch nie gemacht.

– Das macht gar nichts. Du sagst mir, worauf du stehst, und dann machen wir alles, was du dir vorgestellt hast.

– Ich habe mir nichts vorgestellt.

– Ach, komm schon, Süßer.

– Wirklich nicht. Ich weiß nicht, wie das hier funktioniert. Ob ich das überhaupt kann. Fühlt sich irgendwie komisch an.

– Jetzt mal ganz langsam. Du bist doch scharf, oder? Sonst hättest du kaum hier angerufen. Also hör auf nachzudenken und entspann dich. Es gibt hier keine Regeln, kein richtig oder falsch. Es geht nur darum, dass wir beide ein bisschen Spaß miteinander haben.

– Ich bin mir nicht sicher.

– Mach dir keine Sorgen, gemeinsam bekommen wir das hin. Kannst mir vertrauen, ich bin richtig gut in meinem Job. Ich verspreche dir, dass du gleich den Orgasmus deines Lebens haben wirst.

– Danke.

– Du bedankst dich?

– Ja.

– Aber wofür denn?

– Dafür, dass Sie mich nicht auslachen.

Sie? Du bist ja süß. So schüchtern, das mag ich. So einer wie du ist mir tausendmal lieber als all diese Typen, die nach vier Minuten auflegen und sich nicht mal verabschieden, geschweige denn sich für irgendwas bedanken. Freut mich wirklich sehr, dass du so höflich bist. Und dass du unter all den Frauen da draußen gerade mich angerufen hast.

– Das war Zufall.

– Das denke ich nicht. Ich weiß, das klingt verrückt, aber seit ich heute Morgen aufgewacht bin, warte ich insgeheim darauf.

– Worauf?

– Auf einen Anruf, der mein Leben verändern wird. Auf einen Mann, den ich glücklich machen kann. Auf einen, der vielleicht auch mich glücklich machen wird.

– Sagen Sie das zu jedem?

– Ja.

– Funktioniert es?

– Meistens. Aber jetzt mach erst mal deine Augen zu.

– Was soll ich?

– Du sollst deine Augen zumachen.

– Und wozu soll das gut sein?

– Ich bin dir näher, wenn sie zu sind. Also mach einfach, was ich dir sage, und alles wird gut.

– Sie sind jetzt zu.

– Sehr gut. Und jetzt möchte ich wissen, für wen ich mich ausziehe. Wie heißt du, mein Süßer?

– Joe.

– Echt jetzt?

– Ja.

– Du heißt doch nie im Leben Joe.

– Warum denn nicht?

– Weil du schüchtern bist. Und schüchterne Männer heißen nicht Joe. Außerdem hast du deine Augen offen.

– Woher wollen Sie das wissen?

– Ich mach das hier schon ziemlich lange.

– Ich fühle mich unwohl, wenn die Augen zu sind. Wie gesagt, es ist das erste Mal, dass ich so etwas mache.

– Dann lass sie offen. Aber bitte lüg mich nicht mehr an, Joe.

– Ich lüge nicht.

– Alle lügen, glaube mir. Das fängt beim Namen an und hört beim Aussehen auf. Du erzählst mir doch sicher gleich, dass du eins neunzig groß bist, schlank und muskulös, und dass du es eigentlich gar nicht nötig hättest, hier anzurufen. Stimmt’s?

– Nötig habe ich das tatsächlich nicht.

– Wusste ich’s doch.

– Vielleicht ist es besser, wenn ich jetzt auflege.

– Aber warum denn?

– Weil ich mir das anders vorgestellt habe.

– Wie denn? Sag es mir.

– Nicht so.

– Rede ich dir zu viel?

– Nein. Ich dachte einfach, dass es anders abläuft. Entschuldigen Sie bitte. Ich wollte Sie nicht kränken oder zurückweisen.

– Du willst mich nicht zurückweisen? Du hast das Konzept wohl nicht verstanden. Du bist es, der hier anruft. Du willst etwas von mir, und nicht ich von dir.

– Ich wollte Sie wirklich nicht verärgern.

– Hör endlich auf mich zu siezen. Sag mir lieber, was ich für dich tun kann. Wie du es gerne hättest. Enttäusch mich jetzt nicht, Joe. Auf welche Schweinereien stehst du?

– Sie sind seltsam.

– Was bin ich?

– Seltsam.

– Weil ich dir nicht sage, dass du der Größte bist, oder was? Weil ich nicht stöhne? Ich bin dir zu wenig Nutte, richtig?

– Nein, das ist es nicht.

– Soll ich dir sagen, dass ich nackt bin? Dich einfach nur geil machen?

– Nein.

– Du willst dir ganz gemütlich einen runterholen, genau so ist es doch, oder?

– Nein, so ist es nicht.

– Wie ist es dann, verdammt noch mal? Denkst du, du kannst hier anrufen und mich beleidigen? Willst du mich erniedrigen, dich abreagieren, deinen Frust an mir abarbeiten?

– Es gibt keinen Grund, mich so anzufahren. Ich habe Ihnen nichts getan.

Dir. Ich habe dir nichts getan.

– Ich dachte, das hier ist eine Sexhotline.

– Ist es auch. Aber wir spielen hier nach meinen Regeln.

– Ich glaube nicht, dass ich das will.

– Du willst. Sonst hättest du bereits aufgelegt.

– Ich wollte dir wirklich nicht zu nahe treten.

– Du bist wirklich süß. So einen wie dich habe ich selten.

– Das alles hier ist ein großes Missverständnis. Ich wollte dich nicht erniedrigen. Tut mir wirklich leid.

– Bleib locker, Joe. Ich hab doch nur Spaß gemacht. Wollte sehen, wie du reagierst, wenn man dich anpflaumt. Quasi ein Belastungstest gleich zu Beginn. Ich würde sagen, du hast ihn bestanden.

– Warum tust du das?

– Damit das Ganze ein bisschen spannender wird. Wir beide wollen uns ja nicht langweilen, oder? Außerdem weiß ich jetzt, mit wem ich es zu tun habe. Du scheinst ein sensibler Mann zu sein. Ein Frauenversteher. Ist selten heutzutage. Gefällt mir, Joe. Und deshalb darfst du dir jetzt auch etwas wünschen. Egal was, ich mache es.

– Ich muss jetzt auflegen.

– Aber warum denn?

– Das ist mir zu schräg hier. Du bist mir zu schräg.

– Ach, komm schon, Joe. Jetzt wird es doch richtig gemütlich. Wir lernen uns gerade erst kennen. Ich denke, dass das Ganze auch für mich spannend werden könnte. Wenn ich mir vorstelle, was du gleich mit mir machen wirst, werde ich ganz feucht.

– Es tut mir leid.

– Was tut dir jetzt schon wieder leid?

– Ich muss meine Mutter ins Bett bringen.

– Du musst deine Mutter ins Bett bringen? Habe ich das gerade richtig verstanden?

– Sie schläft. Tief und fest neben mir auf der Couch. Wenn sie die ganze Nacht hier liegt, jammert sie morgen wieder, dass sie Kreuzschmerzen hat.

– Was um Himmels willen redest du da?

– Sie ist vor dem Fernseher eingeschlafen, ich wollte sie nicht wecken.

– Spinnst du?

– Sie hat nur mich. Ich kümmere mich um sie.

– Du rufst bei einer Sexhotline an, während deine Mutter neben dir schläft?

– Ja.

– Das glaub ich jetzt nicht.

– Ist aber so.

– Da habe ich mich wohl getäuscht in dir. Schade. Du bist auch nur einer dieser Spinner, die mir mein Leben schwermachen.

– Aber es kann dir doch egal sein, ob sie da ist oder nicht.

– Glaubst du wirklich, dass ich es mit dir mache, während deine Mutter neben dir sitzt? Ich mag es zwar, wenn nicht immer alles ganz nach Plan läuft, aber das geht zu weit.

– Wenn man der Statistik glaubt, erledigst du ohnehin deine Hausarbeit, während du mit mir telefonierst. Wahrscheinlich bügelst du gerade.

– Drehst du jetzt völlig durch?

– Ich habe ein bisschen im Internet recherchiert, bevor ich diese Nummer gewählt habe. Es heißt, dass diese Frauen etwas ganz anderes machen, während sie telefonieren.

– Diese Frauen?

– Ja. Außerdem habe ich gelesen, dass es darum geht, die Anrufer so lange wie möglich in der Leitung zu halten.

– Du bist ja ein ganz Schlauer.

– Ich würde sagen, du bist außerordentlich gut. Auch wenn es ziemlich ungewöhnlich sein dürfte, wie du es machst. Wahrscheinlich kann nicht jeder damit umgehen, dass du so durchgeknallt bist, oder?

– Weißt du was, Joe?

– Was denn?

– Du kannst mich mal.

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– Hörst du mich?

– Ja.

– Ich bin Yvonne. Und ich werde mich jetzt um dich kümmern. Ich werde dafür sorgen, dass du diesen Anruf nie wieder vergisst.

– Fängst du immer so an?

– Du schon wieder?

– Ja.

– Was soll das? Mit Perversen will ich nichts zu tun haben, ich denke, das habe ich klargemacht. Weck deine Mama auf und geh mit ihr ins Bett, wenn du willst. Aber mich lässt du bitte in Ruhe.

– Es gibt keine Mama auf der Couch. Die habe ich erfunden. Wollte nur sehen, wie du reagierst. Quasi ein Belastungstest gleich zu Beginn. Ich würde sagen, du bist durchgefallen.

– Du hast mich verarscht?

– Ja. So wie du mich vorhin. Ist nur fair, finde ich.

– Respekt. Hätte ich dir gar nicht zugetraut.

– Das freut mich, Yvonne.

– Das war ziemlich abgefahren, Joe.

– Danke.

– Ich muss zugeben, ich habe wirklich gedacht, dass du völlig humorlos und verklemmt bist.

– Bin ich das nicht?

– Schaut nicht so aus. Deshalb schlage ich vor, dass wir noch mal von vorne anfangen. Wir gehen die ganze Sache langsam und behutsam an. Wie du nämlich schon richtig gesagt hast, geht es hier darum, den Anrufer so lange wie möglich in der Leitung zu halten. Damit ich so viel Geld wie möglich verdiene.

– Du bist witzig.

– Ja, das bin ich wohl.

– Und sehr ehrlich.

– Da muss ich dich leider enttäuschen.

– Du heißt also nicht Yvonne?

– Natürlich nicht.

– Und du schaust auch nicht so aus wie auf der Anzeige?

– Auf welcher denn? Ich habe in verschiedenen Zeitungen inseriert. Mit unterschiedlichen Fotos. Welches hast du vor dir?

– Blond, große Brüste.

– Oh ja, die ist heiß. Das Foto funktioniert am besten.

– Wer ist die Frau?

– Keine Ahnung, ich hab das Foto aus dem Netz geklaut.

– Aber das ist doch strafbar, oder? Warum erzählst du mir das?

– Weil ich mich dir zuliebe bemühe, ehrlich zu sein.

– Aber es fällt dir schwer.

– Ja. Weil es am Ende nur darum geht, Illusionen zu verkaufen. Wenn die Männer da draußen große Brüste wollen, habe ich große Brüste. Wenn sie auf kleine stehen, habe ich kleine. Ich bin alles, was du dir wünschst, Joe.

– Also was macht dich an? Warum hast du mich angerufen?

– Das ist eine gute Frage.

– Darf ich raten?

– Ja.

– Du bist verheiratet, in deiner Ehe läuft es nicht mehr so richtig. Du bist verzweifelt und wolltest endlich wieder mal Dampf ablassen. Richtig?

– Falsch.

– Dann bist du einer dieser einsamen Kerle, die niemanden haben, mit dem sie reden können. Du hattest seit Monaten keinen Sex, wahrscheinlich schon seit Jahren nicht. Und jetzt hast du dich nach langem Hin und Her endlich dazu durchgerungen, bei dieser Nummer anzurufen.

– Nein, so ist es auch nicht.

– Wie ist es dann, Joe?

– Ich bin glücklich verliebt.

– Ich verstehe. Und deshalb rufst du die Frau mit den großen Titten an.

– Es ist kompliziert.

– Ich habe Zeit, Joe. Und ich höre dir gerne zu. Aber weil ich heute einen guten Tag habe, sage ich es dir noch einmal. Dieses Gespräch kostet Geld. Vor allem, wenn du dich entschließt, länger auszuholen.

– Geld spielt keine Rolle.

– Das sagst du jetzt. Aber nachher bereust du es. Es wäre nicht das erste Mal, dass sich hier einer um den Verstand redet. Wenn du also möchtest, kann ich mein Strickzeug kurz zur Seite legen, und wir machen es miteinander.

– Strickzeug? Kein Scherz?

– Kein Scherz. Ich bin nackt, und ich stricke. Sitze in meinem Schaukelstuhl und warte darauf, dass aus dieser verdammten Wolle ein Pullover wird. Aber leider ist die Sache wesentlich schwieriger, als ich mir das vorgestellt habe. Ich bin völlig unbegabt, was das Stricken angeht.

– Du bist also nackt?

– Ja. Da ist nur der Wollfaden auf mir.

– Erzähl mir mehr.

– Ich dachte, du wolltest mit mir über deine wunderbare Beziehung reden.

– Wie schaust du wirklich aus? Kleine Brüste?

– Was denn nun, Joe? Doch die Sexhotline?

– Ficken oder reden, Joe? Du musst dich entscheiden.

– Reden. Wie gesagt. Ich bin verliebt.

– Noch mal, Joe. Warum rufst du hier an?

– Wir telefonieren doch nur. Es ist nichts passiert.

– Noch nicht, Joe. Aber der Wollfaden, der zwischen meinen Beinen liegt, sagt mir, dass es nicht mehr lange so bleiben wird. Kaschmir, Joe. Diese wunderbare Wolle ist wie ein Finger, der mich da unten berührt. Wenn ich weiterstricke, läuft der Faden genau über meine feuchte Muschi.

– Muschi?

– Ja, Joe. Muschi.

– So hat meine Mutter dazu gesagt, als ich ein Kind war.

– Du kannst sie auch Fotze nennen. Oder Möse, wenn dir das lieber ist. Wichtig ist nur, dass sie nass ist. Und dass sie sich jetzt durchaus vorstellen könnte, wie du sie leckst.

– Hör bitte auf, so zu reden.

– Wie rede ich denn?

– Das ist ordinär. Und widerlich. Ich will das so nicht.

– Aber ich spüre doch, dass du heiß bist, Joe. Am liebsten würdest du mir mein Strickzeug aus der Hand reißen und über mich herfallen, stimmt’s?

– Nein.

– Warum nicht?

– Ich kann nicht.

– Schämst du dich?

– Nein.

– Doch, das tust du, Joe. Das alles hier passt nämlich nicht in deine Welt. Es ist dir peinlich, dich mit einer wie mir über ihre feuchte Muschi zu unterhalten. So ist es doch, oder? Deine Geliebte könnte ja davon erfahren. Sie würde dir das nie verzeihen, richtig?

– Richtig.

– Das ist Schwachsinn, Joe. Und weißt du auch, warum? Es gibt gar keine Geliebte. Und du bist auch nicht glücklich, du bist allein da draußen. Und nur aus einem einzigen Grund rufst du die Tittennummer an. Weil da sonst keiner ist, der dich in den Arm nimmt, Joe. Niemand außer mir.

– Du irrst dich.

– Und du bist feige. Traust dich nicht. Tust nicht, was du gerne tun möchtest.

– Das ist lächerlich. Ich muss mir das hier nicht anhören.

– Du bist dir also zu gut dafür, es der versauten Schlampe am Telefon zu besorgen. Du hältst dich für etwas Besseres, nicht wahr? Aber das ist lächerlich, Joe. Weil du in Wirklichkeit doch nur ein verklemmter kleiner Scheißer bist. Einer, der mir Märchen erzählt, weil er nicht imstande ist, sich ein einziges Mal im Leben fallen zu lassen.