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Bernhard Barta

Sissis Kopf

Ein Salzkammergut-Krimi

Prolog (5. August)

Das Zimmer. Mehr klein als groß. Sie kümmerte sich nicht darum. Sie brauchte keinen Riesenkomfort. Das Halbdunkel. Die Stickvorhänge. Der röhrende Hirsch an der Wand. Alles verströmte Geborgenheit. Und doch war ihr kalt. In den Beinen spürte sie noch die nasse Fahrt. Bad Ischl bis Gmunden. Ein einziger Wolkenbruch. Die Tür fiel ins Schloss. Sie lehnte sich dagegen. Streifte den ersten Stöckelschuh ab, dann den anderen.

Das Hotel hatte sie erst nach sorgfältigen Recherchen gewählt. Tolerant und verschwiegen, hieß es, und Verschwiegenheit war Gold wert. Vor allem in ihrer jetzigen Situation. Der redselige Wirt hatte sie mit Komplimenten überhäuft, aber beim Check-in nicht nach ihren Papieren gefragt. Jede Wette, er wollte sie ins Bett kriegen. Wie die anderen. Sie öffnete den Reißverschluss ihres Gepäckstücks und kontrollierte den Inhalt. Wieder im Bett sank sie erleichtert zurück auf den Kopfpolster. Alles frisch gemacht. Ans Leben im Hotelzimmer würde sie sich schon noch gewöhnen. Sie würde es müssen. Denn schon bald war sie auf der Flucht. Sie würde verschwinden. Unsichtbar sein. So gut es nach so einer Sache ging.

6. August

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Der Himmel war über ihnen zusammengefallen. Regen aus vollen Schaffeln, tagelang. Nun wagte sich endlich wieder die Sonne hervor. Vorsichtig lugte sie über den Stein. Weich und warm. Lächelte über das kleine Seestädtchen. Er konnte die frischen Hügel sehen. Ihr Tannengrün riechen. Den Gmundner Berg. Den See. Lachende Sommerflirts drangen herein. Touristen!

Chefinspektor Gustav Adam Brandner schloss leise das Fenster und wandte sich wieder dem Geschehen des heutigen Vormittags zu. Dem Festakt auf Schloss Orth, dem Posten der Salzkammergutpolizei. Dem Herrn Major. Der Laudatio auf den Birngruber. Der Seppi platzte vor Stolz.

„Eine Ehre. Ein Herzensanliegen! Namens des Linzer Präsidiums …“

Josef Birngruber weinte. Rekordhalter beim Gmundner Knödelwettessen. Fixstarter am Ebenseer Fetzenzug. Vor allem im Herzen Salzkammergutpolizist. Ihm fielen die Tränen auf die neue Uniform, aber er schämte sich nicht. Wie der Herr Major ihn lobte. Wie er seine Bedeutung betonte. Als neuer Revierinspektor. Seine Aufgaben. Das Amt.

Natürlich. Es wäre ja schon längst fällig gewesen. Sechs Jahre Salzkammergutpolizei. Hatte er nicht alles gegeben? Auch noch den Banküberfall aufgeklärt. Fast im Alleingang. Tat er nicht alle Arbeit, die der Chef nicht tat? Berichte tippen. Kirtag bewachen. Sogar den Verkehr regeln, sollte es wieder einmal notwendig sein.

Die Milli schaute zu ihm her. Klare Sache. Sie stand auf die neue Uniform. Auch der Chef rieb sich das rechte Auge. Alle gerührt. Das Buffet wartete. Alles für ihn. Weltklasse!

Chefinspektor Brandner lächelte seinem Untergebenen zu und wischte sich tatsächlich eine hartnäckige Seemücke aus dem Auge. Birngrubers Beförderung. Gott sei Dank hatte er sie bei den Linzern durchgebracht. Alles andere als einfach. Der Seppi. Ein Sturkopf wie kein zweiter! Keiner, der sich einen Haxn ausriss, aber eben doch mit dem Herzen am rechten Fleck. Wo gehobelt wird, da fallen Späne, sagt man in Oberösterreich. Bei dem Birngruber war das gerade so. Jetzt also Revierinspektor! Alles gut. Wären da nicht diese Schmerzen. Der Brandner griff sich ans Bein. Wieder einmal nur wegen des Geldes.

„Wir haben nicht genug Fantasie!“, hatte der Landesvater gesagt. Nicht genug Geld, hatte er aber gemeint.

„Und wir in Gmunden“, hatte der Bürgermeister dann gesagt, „wir haben’s auch nicht mehr. Und wenn die Leute zu wenig haben, dann kommen sie halt auf solche Ideen. Da kommt dann eben sogar die Sparkassa dran. Bankraub in Gmunden!“

Deswegen hatte der Brandner jetzt Schrotkugeln im Bein.

Der Herr Major wirkte leicht genervt. Vielleicht, weil der Birngruber die Freudentränen nicht in den Griff bekam. Vielleicht weil er hungrig war. Vielleicht weil es gar nicht so einfach ist. Dort oben in Linz. Auf dem Präsidium.

Da knallte die Milli endlich den Korken. „Prost, Birngruber! Erst einmal anstoßen.“

Noch ein wenig Smalltalk mit dem Major. Zu den Brötchen! Frohlockte da schon der Birngruber. Alles gut.

Die anderen gingen hinunter. Buffetfressen à la Birngruber, man kannte das ja. Doch er blieb noch ein Weilchen am Fenster. Horchte zum Wasser hin. Fühlte das Sonnenkitzeln auf seiner Nase. Roch die Reinanken. Wenn der Herr Major weg war, dann würde er noch ein wenig die Angel ausholen. Die Sonne würde wieder scheinen. Die Reinanken würden ihm schon noch anbeißen. Er erhob sich vom Schreibtisch. Da läutete sein Telefon.

„Guten Morgen, Hoheit!“

„Brandner, wo bist du?“

„Am Apparat. Wie steht’s mit der Hirschjagd?“

„Ach wo, Hirschen! Komm her!“

„Ja was ist denn passiert?“

„Unersetzlich!“

„Was gibt’s denn?“

„Gemein. So gemein …“

„Herrschaftszeiten! Was ist denn?“

„Die Sisi … Hast du verstanden, Brandner? Die Sisi ist weg!“

„…“

So hatte er den Erzherzog noch nie erlebt. Einfach aufgelegt. Ganz ohne Abschied. Nun ging der Magnus nicht mehr an das Telefon. Viermal hatte er es versucht. Natürlich machte er sich da gleich auf den Weg. Noch ein Handgriff zum Brötchenbuffet. Die Grellingerin hatte ihre Schinken-Kren-Stangerl ja nicht umsonst gemacht. Sondern für den Birngruber. Den zerrte er auch noch irgendwie vom Frühstück.

Nun aß der noch weiter am Beifahrersitz. „Einsatz ist Einsatz.“ Auch wenn der Seppi noch nicht danach aussah. Er stopfte sich den Schinken in seinen Wampen und den Wampen dann in die Uniform.

Den Brandner packte der Zorn. Wie sehr er sich gefreut hatte auf den beschaulichen Dienst. Auf seine Angel im Fenster. Die Fische. Den See.

Sein Fuß senkte sich auf das Pedal. Altmünster flog vorüber, Pühret, Nachdemsee, Winkl, Traunkirchen.

Endlich war der Birngruber fertig. „Feines Frühstück“, schmatzte der noch daher. Und dann, ob es nicht vielleicht doch an der Zeit wäre, ihn endlich aufzuklären. Er war jetzt Revierinspektor. Als solcher traute er der Sache nicht recht.

„Welche Sisi ist weg, Chef?“

„Hat er nicht gesagt, Seppi.“

„Vielleicht sein Hunderl, Chef? Die Jagdmischung?“

„…“

„Ein Vogerl, das ihm ausgekommen ist?“

„…“

„Vielleicht ist der ja auch Vogelfänger. Wie der Bürgermeister. Nun ist ihm ein Vogerl abgeposcht.“

Der Brandner antwortete nicht. Doch er machte sich so seine Gedanken zu der sogenannten „Jagd des kleinen Mannes“. Die Tradition, wo sie Singvögel im Salzkammergut einfingen und über den Winter in Volieren hielten. Für ihn Tierquälerei.

„Chef?“

„Ja?“

„Also wegen der Sisi, die weg ist. Was meint der damit?“

„Weiß nicht, Seppi.“

„Wie alt ist denn der Kaiser?“

„Kein Kaiser, Seppi. Sondern Erzherzog.“

„Der Erzherzog.“

„Ein echter Prinz. Nur eben keiner, der als nächster Kaiser regiert.“

„Schon siebzig, der Prinz, oder?“

„…“

„Locker siebzig.“

„Kann sein.“

„Da vergisst man’s schon mal …“

„Was vergisst man schon mal?“

„Na! Dass die tot ist! Die Sisi.“

„Ich glaub nicht, dass der Magnus damit seine Urgroßmutter meint.“

„Vergessen hat er was. Genaue Meldung machen. Kaiser hin oder her.“

„…“

„Muss uns doch sagen, was da passiert ist, Chef.“

„Er war halt echauffiert.“

„Chauffiert oder nicht. Unsereins fährt ja auch selber!“

Der Brandner fuhr mit Blaulicht wie Sau. Immer wieder tauchte es auf. Immer wieder in seinem Kopf. Der Erzherzog, wie er auf und ab lief. In heller Verzweiflung. In seiner Villa. „Die Sisi ist weg!“

Sie fuhren in Bad Ischl ein. Rasten durch die Kurve im Kreisverkehr. Vorbei am Hotel Hubertushof. Durch das Tor. Über den Kiesweg, über die Ischl, durch das lauschige Wäldchen hindurch hinauf.

Die Kaiservilla. Da stand er. Händeringend. Hubertusmantel gegen die Ischler Morgenfrische. Der allseits beliebte Erzherzog.

„Na servus! Das dauert bei euch!“

„Sag, was ist los?“

„Die Sisi, Brandner! Sie haben sie gestohlen!“ Er leerte ein Glas goldgelber Flüssigkeit.

„Bier hilft halt immer“, nickte der Birngruber verständnisvoll.

„Baldriantropfen! Sie …“

„Sisi“, vervollständigte der Birngruber fälschlich. „Was heißt denn nun ‚Sisi gestohlen‘, Herr Kaiser?“

Der Magnus winkte die beiden Polizisten zwischen den Säulen hinter sich her. Im Schritt des Militärs durchmaß er die Halle. Sie gelangten bis vor eine Eichentüre. Er schloss auf. Am Ende des Ganges prangte ein weißer Marmorblock.

„Da habt ihr’s!“

„Eine Statue!“ Der Birngruber griff sich an den Kopf. Dann auf die Figur.

Die Statue! Das Hauptwerk des Zumbusch.“

„Kaiserin Elisabeth von Österreich … fecit Caspar von Zumbusch (1830–1915).“ Der Birngruber las umständlich die in Gold eingehauene Schrift. Doch etwas fehlte.

„Wo ist der Kopf, Herr Kaiser?“

„Das ist es ja!“, rief der Erzherzog wütend.

Der Brandner verfluchte Birngrubers Einfalt. Ihm war der Zumbusch natürlich bekannt. Einer der wichtigsten Künstler der Kaiserzeit. Die Sisi-Statue galt den Ischlern als Heiligtum. Nun hatten die Diebe ihren Kopf.

„Es gibt nur den Zugang?“ Der Brandner zückte sein Notizbuch und deutete auf die Türe, durch die sie gekommen waren.

„Im Erdgeschoß, ja. Noch einer im ersten Stock. Die Treppe am Ende des Gangs führt hinauf.“

„Fehlt noch etwas anderes aus der Villa?“

„Nur der Kopf.“

„Aufgebrochene Türen?“

Der Erzherzog schüttelte den Kopf. Er habe alles kontrolliert. Jeden Winkel im Haus.

Im Hintergrund rückte der Birngruber mit seiner Kamera den Tatort ins Bild. Die Türe, den Gang, den Sockel, die Sisi ohne Kopf. Sichtbare Spur eines Jahrhundertdiebstahls. Mürrisch murmelte er vor sich hin. Einen Kaiser bestiehlt man nicht!

„Wie kamen die Täter dann in den Wohnbereich?“

„Na von hier, Gustl. Oben ist alles von innen versperrt.“

„Alarmsicherung?“

„Ich selbst schalte die Anlage ein. Immer um neun Uhr abends. Dann folgt mein Kontrollgang, und ich ziehe mich ins Schlafzimmer zurück.“

„Gibt es Kameras?“

„Wir haben die Außenanlage. Der Alarm geht los, wenn jemand ein Fenster öffnet. Das genügt ja. Dachte ich zumindest.“ Der Erzherzog senkte resignierend den Kopf.

„Befand sich der Kopf um neun Uhr noch hier?“

„Das kann ich nicht sagen. Ich sehe nicht immer hier an der Treppe nach.“

„Die Türen?“

„Eingang und Terrasse verfügen über Hochsicherheitstüren. Alle unversehrt.“

Der Birngruber setzte die Dokumentation der Statue mit lautstarken Kommentaren fort. Der Brandner konnte sich da nur schwer konzentrieren.

„Wann hast du also den Diebstahl bemerkt?“

„Erst vorhin. Ich kam herunter ins Kaisercafé. Wollte mir den Ischler Mittwoch holen. Da war es gegen acht.“

„Also wann genau hast du die Sisi zuletzt gesehen?“

„Halb fünf“, entschied der Erzherzog schließlich. „Davor war ich noch unten im Café. Mein Nachmittagstee.“

„Schrecklich! Schrecklich, mein Lieber!“

Harry Baumann stand in der Tür. Schon im Heraneilen fiel er dem Erzherzog in den Arm. Die Polizisten tauschten einen vielsagenden Blick. Der Juwelier war noch mehr aus dem Häuschen als der bestohlene Erzherzog.

„Ich bin der Baumann“, stellte er sich vor. Unnötig. Jeder im Dorf kannte ihn. Harry Baumann, der Fünfte. Fachmann für Schönes und Altes. Seine Ahnen hatten Franz Josephs Uhren in der Villa geputzt.

„Im Kaiserhaus! Da beraten nur wir! In fünfter Generation. Was habt ihr für eine Spur? Ihr habts doch …?“

„Stehen am Anfang“, knurrte der Birngruber. Vorsicht. Der Brandner wusste es, dem Seppi riss leicht die Hutschnur. Doch auch ihm ging Baumanns Beratergetue auf die Nerven. Der war zwar Kunstfachmann, doch hier nicht einmal Zeuge. Er erinnerte sich daran, was ihm die Milli immer ins Stammbuch schrieb. Er müsse sich besser durchsetzen! Da kam ihm der Baumann jetzt recht. Wie der der Polizei in die Parade fuhr. Dem würde er zeigen, wo der Bartl den Most holt!

„Fragen stellen wir, Baumann! Da du aber schon hier bist, kannst du uns helfen. Wie hoch ist der Schaden?“

„Ihr wisst also gar nichts. Na, woher auch? Nur Bezirkspolizei.“

„Also?“

„Ein Unikat. Mindestens drei, eher vier.“

„Vier Blaue sind nicht grad die Welt.“

Der Erzherzog runzelte die Stirn. Den Birngruber traf Baumanns Blick wie ein Blitz und er betonte jedes einzelne Wort.

„Vier – Hundert – Tausend – Euro! Herr Fachmann Birngruber.“

„Kann man erfahren, wie der Kopf aussieht?“, bemühte sich der Brandner wieder um Sachlichkeit.

„Da ist sie! Die Urgroßmama! Im Atelier Zumbusch.“ Der Erzherzog zog eine alte Fotografie aus dem Umschlag und hielt sie ihm hin. Es zeigte die Kaiserin in einem hohen hellen Raum, wie ihn Bildhauer benutzten. Daneben stand die nun kopflose Statue. Schneeweiß. Der schönste Marmorkopf, den Brandner je gesehen hatte. Selbst im Kunstgeschichtestudium hatte er kaum Prachtvolleres studiert.

„Sisi war zweiundvierzig. Der Kaiser selbst bestellte dieses Geschenk zur Silberhochzeit. Es sollte etwas Besonderes für sie werden. Tatsächlich hat kaum ein Künstler die Kaiserin selbst zu Gesicht bekommen. Nur der Zumbusch arbeitete mit ihr persönlich. Er schlug Sisis Kopf aus einem Marmorblock und ihren Körper aus einem anderen. Dann wurden beide Marmorteile zusammengefügt.“

„Man hat es kaum gemerkt. Bisher“, setzte der Erzherzog nach. Die Kaiserin auf dem Bild trug ihr Haar seitlich nach hinten gebunden. Ein Kollier aus kostbaren Steinen lag um ihren Hals.

„Der berühmte Rubinschmuck!“, dozierte der Baumann und leckte gierig die Lippen. Schon hatte er sich das Foto geschnappt. „Eigentlich ein Kollier im Besitz Marie-Antoinettes. Es kam zurück nach Österreich und wieder in Sisis Besitz. Sogar die Juwelen hat Zumbusch nachgebildet. Das Kollier ist seit 1918 verschollen, aber der Marmorkopf gab uns noch eine Vorstellung davon.“

Baumanns Monolog versetzte Brandners Geist in eine andere Zeit. Eine Epoche aus Macht und Ruhm. Er sah die Kunstgalerie seiner Großeltern vor sich, dann seiner Eltern, nun war sie in seinem Besitz. Er sah die Gemälde der Brandner-Ahnen, die Sammlung von Marmorbüsten. Zu jeder einzelnen hatte der Großvater immer die tollsten Geschichten erzählt.

„Und was tut die Polizei?“ Der Baumann holte ihn unsanft zurück in die Realität.

„Aufklären! Das ist ein Tatort, Baumann. Wenn ich dich also bitten dürfte.“

Damit nahm er ihm das Sisi-Foto wieder ab. Sie würden es benötigen.

„Ich gehe. Kundschaft aus China, mein Lieber!“ Der Baumann fühlte sich zur Seite geschoben. Er herzte noch einmal den Erzherzog und marschierte gekränkt aus der Tür.

„Keine Spuren von Einbruch, die Fenster verriegelt …“, wiederholte der Brandner vor sich hin. Er spielte den möglichen Weg des Diebstahls durch, auch für den Birngruber und den Erzherzog. „Alles geschah gestern nach sechzehn Uhr dreißig bis heute acht Uhr in der Früh. Wenn der Alarm nicht losging, drang man auch nicht von außen ein. Also …“

„Du meinst?!“ Dem Erzherzog stand der Schrecken groß ins Gesicht geschrieben.

„Jemand hat einfach hier aufgesperrt.“

„Gütiger Gott!“

„Wer besitzt denn den Schlüssel für diese Tür?“

„Nur ich. Dann noch die Erzherzogin und meine Söhne. Doch sie sind alle verreist.“

„Noch jemand?“

„Der Geschäftsführer vom Kaisercafé.“

„Den brauchen wir. Außerdem würde ich gerne die Angestellten befragen.“

Der Inspektor winkte den Birngruber zu sich.

„Seppi! Du gehst mir durch Ischl. Weißt schon, die Leute interviewen. Vielleicht hat jemand gesehen, wie einer etwas in Kopfgröße weggeschleppt hat.“

Der Birngruber salutierte und packte zusammen.

„Das Sisi-Foto brauchen wir, Magnus.“

Der Erzherzog nickte. Er hatte sich wieder gefasst und ging, um sein Personal zu instruieren.

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***

Eine Stunde später schlenderte Revierinspektor Josef Birngruber über die Pfarrgasse. Er hatte sich quer über die Promenade durchgefragt. Sogar bis zum Kurhauspark und weiter zum Kreuzplatz. Niemand hatte gestern etwas Auffälliges bemerkt. Auch nicht die Frau Angelika von der Villa Seilern. Als Direktorin des besten Hotels im Kaiserdorf kannte die immer den neuesten Ischler Klatsch. Doch dieses Mal hatte ihm auch die Angelika nichts Kriminelles erzählen können.

Jetzt erst recht, dachte der Birngruber, als er den Zauner in der Pfarrgasse passierte. Erschöpft stieß er die Türe der Konditorei auf. Ein freier Tisch war nicht in Sicht. Er nahm die Uniformkappe ab und wartete etwas verlegen vor der Kuchentheke. Dahinter lächelte Zauners längst verblichene Gründergeneration von der Wand.

„Ja, die Polizei! Da hab ich doch immer ein Platzerl.“

„Servus, Zauner! Ich …“

„Du bist jetzt Inspektor! Kompliment! Hab’s gehört.“

„Revierinspektor!“, stellte Birngruber richtig, es freute ihn, dass seine Beförderung sich schon herumgesprochen hatte.

Doch der Zauner Sepp hatte ihn schon am Uniformarm gepackt. Durch den Grünen Salon führte er den Birngruber nach hinten. Vorbei an Urwaldbildern und exotischen Vögeln. Der Birngruber würde den Ischler Kaltenbachwald bevorzugen. Weit weg von den anderen Gästen wurde er an den Personaltisch bugsiert. Auch der Zauner nahm Platz.

„Also, was willst du? In Uniform! Ich dachte, wir waren uns einig. Polente ist schlecht fürs Geschäft!“

„Hör zu, Zauner. Da kann ich leider keine Rücksicht nehmen. Das ist jetzt amtlich.“

„Soso, amtlich. Hast du schon bestellt?“

„Das Zauner.“

Der Zuckerbäcker winkte einem seiner Dirndl und orderte ein Zauner-Frühstück. Doppelte Portion. Auch als Herr Inspektor falle ihnen der Birngruber nicht vom Fleisch! Der lachte mit.

„Pass auf, Zauner! Wir suchen wen.“

„Du suchst jemanden?“

„Einen, der etwas Schweres weggeschleppt hat. Oben von der Villa.“

„Aha. Wen genau?“

„Was heißt genau?“, parierte er den Alten unwirsch. „Wenn ich’s wissen tät, müsste ich dich doch nicht fragen!“

„Aber wie kann man jemanden suchen und dabei gar nicht wissen, wen?“

„Bist du der Inspektor oder ich?“

„Du. Was hat man denn gestohlen?“

„Wieso gestohlen?“

„Na, du suchst eine Person, die was Schweres von der Kaiservilla weggeschleppt hat. Also …“

„Also hast du? Jemanden bemerkt? Oder nicht?“

„War gestern nicht da. Die Auslieferungstour. Der Stollen geht besser denn je!“

Das hätte der Zauner ja gleich sagen können, dass der gestern gar nicht da gewesen war!

„Du weißt schon, Birngruber. Isst du einen Zauner-Stollen, musst du einen Stauner …“

„Und die Zaunerin?“, fiel er dem Bäcker mitten in sein Gedicht.

Doch der Zauner sprang schon wieder auf. So ein Promi hatte es eben eilig. Als er wenig später wiederkam, war nur zu erfahren, dass weder die junge noch die alte Zaunerin Besonderes auf der Pfarrgasse bemerkt hatten. Genauso wenig wie sein Personal.

Frustriert machte sich der Inspektor auf seinen Weg. Er hatte ganz Ischl verhört. Bis auf die letzte, seine beste Auskunftsperson.

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***

Liebevoll legte Annie Kurz alles vor sich auf den Kassatisch. Kriminalroman und Lovestory. Ratgeber und Reiseführer. Buch für Buch zauberte sie in ihre Auslage unwiderstehliche Arrangements. Nicht jeder wurde über Nacht zum Altphilologen. Aber der Schneider Sonnleitner machte nicht nur die schönsten Lederhosen im Ort. Er fand auch das neue Buch über die Ausseer Salinenmaler im Schaufenster und interessierte sich seit kurzem für Karl Mays Abenteuer. Und wenn sie sich in der Beratung etwas mehr Mühe gab, vielleicht auch noch für einen Liebesroman. Und wie kam es, dass sich der Kuk Max in seinem Beisl noch zum Verfechter veganer Sommerküche wandelte? Wer hatte ihn inspiriert? Natürlich ihre Empfehlungen. Annie musste lächeln. Sie kannte ihre Kundschaft. Für sie gestaltete sie ihre Auslage. Besonders bemühte sie sich jedes Jahr vor dem 18. August. Dann kamen Zehntausende nach Ischl gereist, um Geburtstag zu feiern. Kaisers Geburtstag.

Sie schnürte noch ein Paket Sisi-Postkarten und schielte hinüber zum anderen Schaufenster. Schon vor einer Stunde hatte sie ihn gesehen. Wie er sich betont beiläufig in der Pfarrgasse herumdrückte. Wie er erst mit der Hutmacherin, dann mit den Damen vom Keramikladen sein Schwätzchen hielt. Um schließlich am Ramschkorb vom Dessoussalon in den Höschen zu wühlen. Für wen überhaupt?

Als der Birngruber auch noch ohne Kaufsackerl aus dem Drogeriemarkt kam, wusste das Fräulein Annie Bescheid. Alles dienstlich. Befragungstour. Nun musste sie lachen. Ein genialer Kaufhausdetektiv, der sich für unsichtbar hielt. Dabei sah der Seppi so breit aus, als würde er sich nur von Schweinsbraten und Zauner-Frühstück ernähren. Da würde sie glatt die Sarah-Sommer-Jubiläumsausgabe darauf verwetten! Schon wieder drückte der die Riesennase an ihrem Schaufenster flach. Jetzt hatte sie aber genug.

„Mei Seppi, so komm halt herein!“

Erschrocken schluckte er den Rest Zauner-Semmel hinunter. Die Annie war gschmah. Absolute Traumfrau. Ob sie auch etwas für ihn fühlte? Er hatte schon mit dem Schlimmsten gerechnet. Dass sie ihn vielleicht nicht bemerkte. Oder ihn gar einmal aus ihrem Buchgeschäft warf. Schließlich war seit einiger Zeit ein großer Mann an Annies Seite zu sehen. Ein Riese. Sie nannte ihn Ernst. Doch dieser Ernst schien nicht mehr hier zu sein.

„Fräulein … Annie.“

„Du kommst ja gar nie zu mir! Schäm dich!“

„Ist halt alleweil viel zu tun.“

„Immer g’schaftig, der Herr Inspektor!“

„Du hast es gehört?“ Er wuchs um ein paar Zentimeter.

„Ganz Ischl redet’s schon“, lachte die Annie. „Aber du bist ja wohl nicht wegen meiner schönen Auslage da.“

„Naja …“

„Also?“

„Wir suchen halt wen. Eine vermutlich fremde Person.“

„Fremd?“

„Jawoll.“

„Herrschaftszeiten, Seppi! Lass dir nicht jedes Wort aus der Nase ziehen.“

„Na also …“ Er sah sich vorsichtig um, bis er sicher sein konnte, dass niemand im Laden war. Dann bemühte er sich um einen amtlichen Ton. „Gestern hat jemand was weggeschleppt. Von der Kaiservilla.“

„Von der Villa? Gestohlen?“

„Dazu kann ich leider nichts sagen.“

„Aber mir erzählst du’s doch, gell?“

Der Birngruber bemerkte die gefährliche Wendung in diesem Gespräch. Besser nicht reagieren! Wo die jetzt auch noch die Lippen so verführerisch spitzt. Die Annie soll nur sehen, wie ein Revierinspektor dichthalten kann.

„Laufende Ermittlungen.“

„Natürlich“, meinte sie bewundernd. „Was ein echter Inspektor ist, der muss sein Geheimnis bewahren.“

Der Birngruber nickte. Er war nur froh, dass der Annie der Ernst der Lage klar wurde.