Illustration

Paul Fröhlich

Vermischte Erinnerung

HAYMON

Vermischte Erinnerung

Almabtrieb, Autobahn, Fichtennadeln, Senkgrube, Karfiol, Abschürfungen, gebrochene Finger, violett angeschwollen. Regenglitsch, Bachstaub. Zwiebelund Schnittlauchgeruch an den Händen der Mutter. Zerklüftete Hände. Im Winter kamen die Jäger vorbei, zogen Taschenmesser und tranken Branntwein.

In der Nacht träumte ich von blutigen Hasenpfoten, von Rucksäcken mit Hirschknopfaugen.

Wir stellten Limonadeflaschen ins Bachwasser; ertränkten Ameisen mit Spucke; klebriger Tod.

Das verlassene Bahnhaus: dämmrig, kühl. Die Mädchen legten sich zum Schmusen auf den schweren Tisch, waren zwölf oder jünger, die Burschen alle über vierzehn. Nach dem Regen dampfte der Waldboden, roch wie Honigsud. Wir spießten Insekten an Baumstämme, ließen sie in der Sonne dörren. Eine Mutprobe bestand darin, Schmeißfliegen und kleine Falter in Brot einzukneten und zu schlucken.

Die Stube roch nach Geranien und gebügelter Wäsche. Auf dem Uhrkasten stand die Branntweinflasche, mit Weihwasser gefüllt, ofenwarm. Daneben: Arnikaschnaps, Johannisöl, daneben: der Spucknapf des Großvaters. Der Großvater rauchte Virginier, nahm Farnkrautbäder gegen die vereiterten Füße.

Das Vieh. Der niedere, schwitzende Stall. Geruch von Sägemehl und dampfendem Urin. Gurren und Flattern der Hennen. Hennen mit Schicksal, in dem ein Marder, eine Kuhklaue oder eine kalte Winternacht eine Rolle spielten. Ich sehe Mutter mit einem blutigen zuckenden Federbalg in der Hand traurig zum Brunnen gehen: Die Hennen waren ihr Volk, genauso wie die Kinder und Kochtöpfe.

Die Kühe waren sein Volk. Er schlug sie mit dem Melkfuß oder tätschelte sie mit dem Striegel, er heilte sie von Euterentzündungen, Blähungen und eingetretenen Nägeln.

Diese wogenden geduldigen Bäuche mit trensenden Mäulern und Augen so sanft wie Seegras!

Der Vater.

Sein Griff nach dem Teller befahl die Familie an den Tisch. Sein Griff nach der Zeitung brachte die Familie zum Schweigen. Die Hände des Vaters waren verlängerte Instrumente des Schweigens. Wenn sie mich an den Ohren packten, fühlte ich keinen Schmerz, sondern Angst, in einen Abgrund gehoben zu werden.

Meine Sprache ist eine Gewohnheit aus Landschaft und Kindsein. Eine Gewohnheit aus Abschauen und Auswendiglernen. Die ersten Sätze, die ich lernte: das Abendgebet; der schmerzhafte Rosenkranz, der glorreiche Rosenkranz. Gebete für Verstorbene und Sterbende.

Zu Hause wurde nur über Dinge gesprochen, die mit Arbeit, Essen oder Schicksalsschlägen zu tun hatten. Die Sätze, die im Laufe eines Tages fielen, waren mehr Bestandteile des allgemeinen Hausrates als des Einzelnen, der sie im Munde führte. Gefühle zeigte man durch Weinen, Lachen oder Unwillen, es war nicht üblich, etwas, das zum Weinen oder Lachen war, über die Geste hinaus zu beschreiben. Wenn von der Erinnerung die Rede war, erzählten Hände und Augen mit; das Zuhören war immer auch ein Zuschauen und Mitgestikulieren.