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Robert Sedlaczek

Sprachwitze

Die Formen. Die Techniken. Die jüdischen Wurzeln

Mit mehr alsv 500 Beispielen

Der Kalauer ist tot, es lebe der Flachwitz! – Sprachwitze sind in Mode

Der Zeit ihre Witze! Kurze Witze mit einem Doppelklang als Pointe entsprechen unserer schnelllebigen Zeit. Sie werden nicht nur erzählt, sondern auch getextet, gemailt und gepostet. Nicht jeder kann über sie lachen, aber offensichtlich haben sie eine große Anhängerschaft.

Es könnte sein, dass Sie jetzt „Auweh!“ schreien. Vielleicht fragen Sie sich auch: „Wo ist denn da der Witz?“

Ein Wesenselement aller Witze ist der Überraschungseffekt. Wenn die Pointe kommt, sind wir zunächst verblüfft. Dann entlädt sich die Verblüffung in einem Lachen, Lächeln oder Schmunzeln. Und dass diese Witze mit ihrer Pointe Verblüffung auslösen, wird niemand bestreiten.

Wir haben es hier mit einer neuen Art von Sprachwitzen zu tun. „Mehr Curry“ klingt genauso wie der Name des Sängers der Popgruppe Queen. Und der Name des Schauspielers Morgan Freeman wird wörtlich genommen und ins Deutsche übertragen. Das dritte Beispiel funktioniert ein wenig anders: Die Wörter Cola und Bier werden zusammengehängt, aus der Wortmischung entsteht ein Verb: kollabieren. Wer hätte gedacht, dass darin zwei Getränke stecken?

Inzwischen gibt es zahllose Witze dieser Art. Auf den Witzeseiten im Internet werden sie als Flachwitze kategorisiert, und die entsprechenden Sites werden häufiger besucht als so manche Seite mit alten, herkömmlichen Witzen.

Viele Flachwitze sind Scherzfragen. Dabei handelt es sich um ein unerratbares Rätsel, das auf Witzigkeit angelegt ist. Der Witzeerzähler stellt eine Frage, der Witzezuhörer sagt: „Weiß ich nicht.“ Dann folgt die Pointe.

Manchmal werden ganze Ketten von Flachwitzen gebildet. In diesem Fall sollte der letzte dieser Einzeiler besonders schräg sein.

Vermutlich werden Sie jetzt einwenden: Sind das nicht Kalauer? Die wissenschaftliche Witzeforschung ist sich darüber nicht einig. Ist Flachwitz ein anderes Wort für Kalauer oder der Ausdruck für etwas Neues? Die Kalauer-Experten in Kalau (= alte Bezeichnung für Calau), einem Ort in Brandenburg, wo diese Witze entstanden sein sollen, sind der Meinung, dass es seit Jahrzehnten keine neuen, echten Kalauer mehr gibt. Wenn man in Kalau den Kalauer für tot erklärt, dann muss schon etwas Wahres dran sein.

Außerdem ist Kalauer in Wirklichkeit eine Verballhornung des französischen Begriffs calembour(g) (= Wortspiel). Ein Zusammenhang zwischen dem Kalauer und dem Ort Kalau wurde erst in den 1860er Jahren hergestellt. Die Zeitschrift Kladderadatsch hat dabei kräftig mitgeholfen. Sie druckte Kalauer unter dem Titel Aus Kalau wird berichtet ab.

Unter calembour(g) versteht man in Frankreich ein Wortspiel, das sich auf die unterschiedliche Bedeutung zweier Wörter gründet, die gleich ausgesprochen werden – so definiert es beispielsweise das Wörterbuch Petite Larousse. Ein Beispiel sind die Ausdrücke „Veilchen“ und „Feilchen“ (= kleine Feile).

Nach dieser Definition wären alle anderen Witze keine klassischen Kalauer.

Viele Flachwitze leben einzig und allein vom Wortspiel. Ein zusätzlicher Sinn, eine Tendenz (siehe S. 24), lässt sich nur in ganz seltenen Fällen erkennen. Der Text dient lediglich dazu, mit der Sprache zu spielen.

Ich bin der Auffassung, dass die Flachwitze in die Fußstapfen der Kalauer getreten sind, und kann das auch belegen. Seit es das Internet gibt, wird die Häufigkeit von Wörtern im Rahmen des Digitalen Wörterbuchs der deutschen Sprache (DWDS) erhoben. Das Projekt der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften stützt sich auf gigantische Textkorpora und ist beispielhaft. Ein paar Klicks – und auf der DWDS-Website sieht man, wann der Terminus Flachwitz entstanden ist: Ende der 1990er Jahre. Zwei Jahrzehnte später sind die Belege in die Höhe geschnellt. Gleichzeitig ist der Kalauer in der Statistik abgestürzt.

Für mich ist der Flachwitz eine neue Kategorie, und in diese fallen nicht nur die klassischen Kalauer. Viele Flachwitze haben einen anderen Bauplan, sie bedienen sich einer komplizierteren Technik.

Daneben gibt es auch noch die Methode, Wörter zu zerlegen und neu zusammenzusetzen:

Manche Witze sind surrealistisch, es werden Geschichten erzählt, die zur Realität in krassem Widerspruch stehen.

Vielleicht schmunzeln wir in diesem Fall deshalb, weil Penisse und Neutronen eben nicht sprechen können und im Witz so reagieren, wie wenn sie Menschen wären.

Flachwitze können die Wirklichkeit auch völlig auf den Kopf stellen.

Früher wurden Witze in Printmedien veröffentlicht und mündlich verbreitet. Heute werden Witze auch ins Netz gestellt und verlinkt. Einige funktionieren nur schriftlich, man kann sie ohne anschließende Erklärung nicht erzählen.

Hier geht es nicht nur darum, dass das englische Wort twitter – deutsch übrigens „Gezwitscher“ – und das deutsche Wort „G(e)witter“ ähnlich klingen – oder anders betrachtet, dass bei twitter eine verkürzte Form der Vorsilbe Ge- vorangestellt wird. Der Witz schöpft seine Kraft auch aus dem Umstand, dass wir mit der Pointe zu den datenschutzrechtlichen und gesellschaftspolitischen Problemen der sozialen Medien geleitet werden. Twitter wird mit einem Unwetter verglichen, vor dem man sich adäquat schützen sollte. Es hilft nicht, sich schnell unter einen Baum zu stellen.

Kalauer haben den Ruf, „wenig geistreiche“ Witze zu sein. Das sagt man auch den Flachwitzen nach. Eigentlich haben wir es mit „Aphorismen ohne Sinn“ zu tun. Wer Aphorismen liebt und in Flachwitzen einen Sinn sucht, muss zwangsläufig enttäuscht sein. Und manche Flachwitze sind wirklich schlecht.

Die Wörter „Brot“ und „Board“ sind klanglich weit voneinander entfernt, sodass eine gedankliche Verbindung schwer herzustellen ist. Aber vielleicht ist es ein Unsinnswitz, und es könnte sein, dass Sie gerade deshalb über diesen Einzeiler lachen.

Sigmund Freud bezeichnet in seinem Buch Der Witz und seine Beziehung zum Unbewussten die Kalauer als die „billigsten“ Witze, weil sie mit leichtester Mühe gemacht werden können (Freud, S. 60). Dies gilt auch für die Flachwitze. Sie haben einen Mitmacheffekt. Man fühlt sich animiert, neue Flachwitze zu erfinden und zu verbreiten.

Aber etwas anderes faszinierte Sigmund Freud ganz besonders: Der Erzähler eines Flachwitzes – und in gewisser Weise auch der Zuhörer – fühlt sich durch Regression in seine Kindheit zurückversetzt, in eine Zeit, in der noch keine Denk- und Realitätszwänge herrschten (Freud, S. 139–140). Es gebe eine „Lust am befreiten Unsinn“. Freud sah in diesen Witzen „eine große Erleichterung der psychischen Arbeit“, weil es ursprünglich jedem Menschen näherliegt, „sich an den Klang, statt an den Sinn zu halten“.

Interessant ist, dass Freud in großer Zahl Aphorismen analysiert und daneben nur einige Sprachwitze in Dialogform. Dies hängt damit zusammen, dass Anfang des 20. Jahrhunderts Witze mit prononcierten Pointen, wie wir sie heute kennen, erst im Entstehen waren. Auch Situationswitze gab es damals noch nicht. Das sind Witze mit einem Handlungsablauf, aus dem heraus sich die Pointe entwickelt. Aus diesen Witzen könnte man ein Video machen und auf YouTube publizieren.

Wortspiele und Sprachwitze auseinanderzuhalten, ist schwierig. Das von Freud zitierte Kunstwort famillionär – eine Wortmischung aus „familiär“ und „Millionär“ – ist auf sich allein gestellt ein schwer verständliches Wortspiel. Taucht famillionär aber in einem Kontext auf – in diesem Fall in einem Text Heinrich Heines, der den Besuch bei einem Rothschild darstellt – wird es zu einem Sprachwitz. Wir werden uns später damit ausführlich befassen (siehe S. 209).

Einfacher ist die Unterscheidung zwischen Witz und Humor. Witze sind Dialoge oder kurze Erzählungen, die den Zuhörer oder Leser mit einem überraschenden Ausgang zum Lachen bringen sollen – in einer abschließenden Pointe. Manche Witze haben überdies eine Zwischenpointe, bei der die Geschichte schon zu Ende sein könnte. Humor ist die Begabung eines Menschen, den Unzulänglichkeiten der Welt zu begegnen, die alltäglichen Schwierigkeiten und Missgeschicke mit heiterer Gelassenheit zu ertragen: Humor ist, wenn man trotzdem lacht.

Josef Joffe, Herausgeber der Wochenzeitung Die Zeit und Autor des Buches Mach dich nicht so klein, du bist nicht so groß, meinte einmal: „Der jüdische Witz ist gekennzeichnet durch Selbstironie, durch die Fähigkeit, über sich selber zu lachen, aber auch durch Galgenhumor.“ In diesen seltenen Fällen treten also Witz und Humor gepaart in Erscheinung. Im Verlauf des Buches werden Sie auf einige Beispiele stoßen (siehe S. 79 ff., 117 ff., 167 ff.).

Zurück zu den Flachwitzen, die heute omnipräsent sind. Einzeiler, bestehend aus Frage und Antwort oder aus einer Feststellung, werden oft auch in ein dazu passendes Foto oder Video gestellt und dann im Internet verbreitet. Diese Form von Flachwitz wird Meme genannt. Die originellsten von ihnen werden unzählige Male geteilt. Sie haben oftmals einen Bezug zu einem aktuellen Ereignis oder zu einem Film beziehungsweise einer TV-Serie.

Im Internet habe ich ein Porträt von Eddard „Ned“ Stark gefunden, dem Lord von Winterfell aus der TV-Serie Game of Thrones. In das Foto wurde ein mundartlicher Text montiert.

Das klingt wie die Warnung eines Steirers, den Pötschenpass an der oberösterreichisch-steirischen Grenze nicht ohne Ketten in Angriff zu nehmen, und ist zweifellos witzig – wenn es aus dem Mund des Lords von Winterfell kommt und gleichzeitig sein Bild zu sehen ist. Aufgrund des beschränkten Platzangebots sind die Texte immer Einzeiler – sie bestehen oft nur aus ein paar Wörtern.

Die Herkunft des Begriffs Meme (das Meme, Mehrzahl: die Memes) oder Mem (das Mem, Mehrzahl: die Meme) ist strittig. Oft wird der britische Evolutionsbiologe Clinton Richard Dawkins als Erfinder des Ausdrucks genannt. Zwar hat er 1976 analog zum englischen gene den Begriff meme verwendet, aber er war nicht der erste. Der Ausdruck Mem findet sich bereits in einem 1948 erschienenen Buch des österreichischen Physikers und Kybernetikers Heinz von Foerster. Jedenfalls wurde das Wort von der Online-Community aufgegriffen und dazu verwendet, eine neue Art von Bild-Text-Botschaft zu benennen.

Früher hat ein Mensch anderen Menschen einen Witz erzählt. Heute kann diese Form der Kommunikation auch im Dialog mit einer Maschine stattfinden. Der digitale Assistent von Amazon, genannt Alexa, ist zuhause ein Helferlein von frühmorgens bis spätabends. Gleiches leistet der Google Assistant, wenn man unterwegs ist. Mit beiden kann man Wetterberichte abhören, Abfahrts- und Ankunftszeiten von Zügen erfahren, sich mit jeder Art von Musik unterhalten lassen und vieles mehr. Das Gleiche leistet das Apple-Programm Siri. Man könnte diese Angebote mit dem Slogan „Sie suchen, wir finden!“ umschreiben.

Alexa, Google und Siri reagieren auch auf die Aufforderung: „Erzähle mir einen Witz!“ Nicht überraschend sind es kurze Witze, und viele davon weisen eine sprachliche Komponente auf.

Einmal wollte ich den Assistenten von Google aufs Glatteis führen. Ich fragte ihn: „Bist du verliebt?“ Die Antwort war ein Sprachwitz mit Doppelsinn.

Ruud Klein, der Illustrator des wöchentlichen Leitartikels im Profil, verwendet Sprachwitze in seinen Zeichnungen. Einmal legte er einem Koch, der einen riesigen dampfenden Topf in seinen schon glühenden Händen hielt, folgenden Satz in den Mund:

Ein andermal kommentiert er die Diskussion über die Zukunft der EU. Wir sehen einen alten Mann mit Bart, der in einem Fauteuil sitzt und sagt:

Auch auf Hitradio Ö3 wird immer wieder sprachspielerisch gewitzelt. Im Sommer 2019 lief auf diesem Sender die Comedyserie Casa Chaos mit witzigen Dialogen aus einer Wohngemeinschaft. Einige Male wurde in Casa Chaos auch auf tagesaktuelle Ereignisse Bezug genommen, so auf den Dopingskandal unter Skilangläufern im Februar 2019.

Auch manche Dialoge des Ö3-Callboys sind Sprachwitze. Als Beispiel möchte ich zwei Anrufe von Gernot Kulis verkürzt wiedergeben, einen bei der Wiener Städtischen Versicherung, einen bei einer Trafikantin.

Es ist erstaunlich, dass es Gernot Kulis immer wieder gelingt, bei anonymen Anrufen Dialoge zu produzieren, die reif fürs Kabarett wären. Dass er auf Verwechslungen wie „Stehtische“ und „Städtische“ baut oder zusammengesetzte Wörter wie „Herbstzeitlose“ falsch zerlegt, erweist ihn als Kenner der Witzetechniken.

Vielleicht wird es Ihnen beim Lesen dieses Buches so wie mir ergehen. Anfänglich konnte ich mit Flachwitzen nicht viel anfangen. Aber je länger ich mich damit beschäftigte, desto mehr faszinierten sie mich.

Daneben gibt es auch noch längere Sprachwitze, die ein Wortspiel enthalten oder durch Verwendung sprachlicher Mittel zustande kommen. Das halte ich übrigens für eine recht brauchbare Definition für den Terminus „Sprachwitz“.

Auf diesen intelligent konstruierten Dialog werde ich später zurückkommen (siehe S. 116), genauso auf den folgenden Witz, der von einem regionalen Sprachunterschied handelt (siehe S. 283 f.).

Sprachwitze und Wortspiele existieren in so gut wie allen Kulturen. Den Begriff calembour(g) im Französischen habe ich bereits erwähnt, im Englischen wird ein Wortspiel pun genannt. In den Theaterstücken und Sonetten von William Shakespeare finden sich viele puns, es sollen mehr als dreitausend sein. Hier ein oft zitiertes Beispiel aus Richard III.:

Richard, der hier von sich spricht, ist ein Sohn des Hauses York. Shakespeare verwendet das Wortspiel zwischen den gleichklingenden Wörtern son (= Sohn) und sun (= Sonne), um einen Gegensatz zwischen Winter und Sommer herzustellen.

Vor allem die intelligenten Figuren in den Shakespeare’schen Stücken sind regelrechte punster:

Hamlet nimmt die Neckerei des Friedhofsarbeiters auf und beschuldigt ihn, dass er lüge – wobei „liegen“ und „lügen“ im Englischen gleich klingen.

Von Shakespeare stammt auch ein Satz, der gerne fälschlich als Hinweis verstanden wird, dass unsere heutigen Witze kurz sein müssen. Es sagt nämlich der Schwätzer Polonius in Shakespeares Hamlet (II. Akt, 2. Szene):

Puns waren nicht immer und nicht bei allen so beliebt. Für den Schriftsteller Samuel Johnson, Herausgeber einer epochalen Shakespeare-Ausgabe, stellten sie „the lowest form of humor“ dar. Die gegensätzlichen Beurteilungen reichen bis in die Gegenwart. So war beispielsweise Alfred Hitchcock ein begeisterter Anhänger von Wortspielen: „Puns are the highest form of literature.“ Andere haben ihm heftig widersprochen.

Friedrich Schiller lässt in Wallensteins Lager (8. Auftritt) den Kapuziner, der Abraham a Sancta Clara nachgebildet ist, in Klangwitzen und Wortspielen schwelgen.

Heinrich Böll legt in Die verlorene Ehre der Katharina Blum seiner Hauptfigur am Ende der Erzählung folgenden Satz in den Mund:

Dann fällt der sexuell aufdringliche Zeitungsschreiberling tödlich getroffen zu Boden. Böll hat also in die Schlüsselszene seiner Erzählung einen Sprachwitz eingebaut. Einige Kritiker meinten, ein derartiges Wortspiel wäre eines angesehenen Schriftstellers nicht würdig gewesen.

Wortspiele polarisieren, und sie sind so alt wie die Sprache selbst. Belege aus der Antike stammen aus Mesopotamien, aus Ägypten und aus China. Auch in den Hieroglyphen der Mayas sind Wortspiele zu finden.

Den ältesten belegten Witz verdanken wir der sumerischen Kultur Mesopotamiens. Er datiert aus der Zeit von etwa 1900 bis 1600 v. Chr., könnte aber bereits 2300 v. Chr. erzählt worden sein.

Der zweitälteste Witz ist auf einer ägyptischen Papyrusrolle verzeichnet, diese wird mit 1600 v. Chr. datiert.

Der drittälteste Witz stammt aus der Zeit 1200 v. Chr., er wurde in Adab, Mesopotamien, aufgezeichnet. Der Ort liegt heute im Irak.

Der Text ist leider nicht vollständig lesbar, die Pointe kann nur erraten werden, sie dürfte obszön gewesen sein. Paul McDonald, Professsor für kreatives Schreiben an der Universität Wolverhampton, der 2008 die zehn ältesten Witze für einen TV-Sender eruiert hat, konstatiert: „Allen gemeinsam ist ihr Bruch mit Tabus und eine gewisse Rebellion.“

Die älteste erhaltene Witzesammlung ist der Philogelos (Lachfreund), die darin enthaltenen Witze, 265 an der Zahl, sind in griechischer Sprache verfasst. Als Autoren werden zwei ansonst unbekannte Griechen namens Hierokles und Philagrios genannt. Die Zusammenstellung wird wohl erst nach der römischen Kaiserzeit abgeschlossen worden sein, weil die Tausendjahrfeier Roms im Jahr 248 n. Chr. erwähnt wird. Andere Witzsammlungen aus der Antike werden in diversen Quellen erwähnt, sind aber nicht erhalten.

Der Philogelos ist thematisch gegliedert. Es gibt Witze über unfähige Wahrsager und dümmliche Gelehrte, über Säufer, Witzbolde, Frauenhasser und Menschen mit starkem Mundgeruch. Einige Witze sind obszön, andere frauenfeindlich. Witze über Homosexualität sind in der Sammlung nicht enthalten, obwohl Geschlechtsverkehr unter Männern üblich war.

In zahlreichen Witzen ist die Hauptfigur eine dumme Person: ein Abderit, Kymenier oder Sidonier. Die Einwohner der griechischen Städte Abdera und Kymene sowie der hellenisierten ehemaligen Phönizierstadt Sidon waren die Ostfriesen der Antike. Oft wird der Dumme auch als Scholastikos bezeichnet, das entspricht nach dem heutigen Verständnis am ehesten einem zerstreuten Professor. Aber einen Scholastikos hat es in so gut wie jedem Beruf gegeben, und er konnte jung oder alt sein. „Er ist der Typ des Erz-Dummkopfs, des pedantischen, gar nicht unsympathischen ‚Denkers‘, der mit messerscharfer Logik schlussfolgert – nur eben völlig falsch, weil er in seiner Zerstreutheit, Beflissenheit oder vermeintlichen Geistesschärfe von allem Gebrauch macht, nur nicht vom gesunden Menschenverstand.“ (Weeber, S. 46)

Die dümmlichen Hauptfiguren im Philogelos sind austauschbar. Ein Witz, der als Abderiten-Witz gebracht wird, kommt später als Scholastikos-Witz noch einmal daher oder umgekehrt.

In diesem Witz wird die Dummheit des einen durch die Dummheit des anderen überboten. Wir werden auf diese Technik später zurückkommen (S. 79 ff.).

Manchmal entpuppt sich der dumme Scholastikus als der Gescheite. Väter hatten das Recht, ihre Kinder zu töten. Der Scholastikos rebelliert gegen dieses Prinzip und gleichzeitig gegen seinen Vater.

Unfähige Wahrsager haben große Probleme, die Zukunft vorherzusagen. Aber sie können sich auf eine neue Sachlage prompt einstellen. Dadurch nehmen Witze eine überraschende Wendung.

Im Mittelpunkt des folgenden Selbstmörderwitzes steht wieder einmal ein Abderit und sein unlogisches Handeln:

Ich habe den Philogelos nach Sprachwitzen durchsucht und einige gefunden. Meist basieren sie auf dem Doppelsinn eines Wortes oder einer Wendung.

Hier wird der Gedanke „schwarz wie die Nacht“ weitergesponnen, wodurch ein Doppelsinn entsteht: Gemeint ist einerseits die Frau, andererseits die Dauer des Liebesdienstes.

Das in der Pointe auftauchende Verb hat neben „lieben“ noch einen zweiten Sinn: „küssen“.

Der Maulesel ist das Kreuzungsprodukt eines Pferdehengstes und einer Eselsstute. Daher lag es nahe, einen Maulesel als „Halbesel“ zu bezeichnen und die einfache Gleichung aufzustellen: 2 Maulesel = 1 Esel.

In diesem Fall wird in der Pointe eine Wendung wiederholt und modifiziert.

Eine spezielle Kategorie sind Witze über Männer mit Mundgeruch. Einen davon haben Sie bereits gelesen, andere haben einen fäkalen Hintergrund.

Derartige Ekelwitze sind Tabubrüche: Über Fäkales redet man nicht gern. Das muss auch damals so gewesen sein, sonst wären diese Dialoge keine Witze. Nach Freud besteht in der frühkindlichen Entwicklung eine Lust an den Vorgängen der Verdauung. Die normale Reaktion von Erwachsenen gegenüber den Exkrementen ist hingegen die des Ekels.

Womit ich das Buch Philogelos zumache und das Thema abschließe. Einige Witze erinnern mich an die Geschichten aus Schilda, also an die Schildbürgerstreiche, oder an die jüdischen Witze über die Einwohner von Chelm. Manche sind eher schwach, andere wirken modern und zeitlos, haben sogar ein Pendant in der Gegenwart.

Ich habe aus dem Philogelos die besten Witze ausgesucht, das mag ein verzerrtes Bild bei der Beurteilung ihrer Qualität ergeben. Viele sind äußerst kurz, so kurz wie die heutigen Flachwitze. Die meisten Witze sind Dialoge „und die Pointe besteht (meist) in einem Ausspruch, viel weniger oft in einem Tun“, konstatiert der Altphilologe Andreas Thierfelder, der die Witze des Philogelos übersetzt und kommentiert hat (Thierfelder, S. 22). Gemeint ist: Situationswitze kommen im Philogelos nicht vor.

Zwar keine Sprachwitze, aber interessante Wortspiele sind in der Bibel zu finden, sowohl im Alten als auch im Neuen Testament. Hier ein oft zitiertes Beispiel aus Matthäus 16,18:

Dass ein Wortspiel vorliegt, zeigt nicht nur der griechische Urtext, sondern auch der lateinische: „tu es Petrus, et super hanc petram aedificabo ecclesiam meam …“ Petrus hieß mit einem Übernamen Kephas, und daraus wurde, ins Lateinische übersetzt, Petrus, was auf petra (= Felsen) deutet. (Gauger, 2006, S. 26–27)

In diesem Buch über Sprachwitze geht es schwerpunktmäßig um jene Witzekultur, die für Österreich typisch ist und zu einem Teil jüdische Wurzeln hat. Ein ähnliches Buch über die Sprachwitze bei Christian Morgenstern, Heinz Erhardt, Otto Waalkes und bei einigen anderen müsste noch geschrieben werden.

Vielleicht sollte ich hier gleich das Problem streifen, dass man Witze nicht erklären darf. Wenn jemand in einer Gesellschaft einen Witz erzählt und anschließend die Pointe erläutert, dann hat er sich als Witzeerzähler disqualifiziert. Wer ein Buch über Sprachwitze schreibt und die dahinterstehende Technik erläutert, muss also zwangsläufig gegen dieses eherne Gesetz des Witzeerzählens verstoßen. Anders geht es leider nicht. Die eine oder andere Erläuterung habe ich in den Anhang verschoben, dort finden Sie auch Quellenangaben und zusätzliche Informationen, die den Lesefluss stören würden.

Genauso unmöglich ist es, die Regeln der Political Correctness bei der Auswahl der Witze einzuhalten. Freud hat festgestellt, dass in Witzen häufig das zum Vorschein kommt, was üblicherweise unterdrückt wird, zum Beispiel infolge einer Hemmung, sexuelle oder aggressive Triebe auszuleben. Der Witz baut diese Hemmung kurzzeitig ab, dadurch entsteht ein Lustgewinn aus erspartem psychischem Aufwand (Freud, S. 132 ff.). Diese Auffassung wird auch als Entladungstheorie bezeichnet.

Freuds Buch Der Witz und seine Beziehung zum Unbewussten gilt nicht nur als Schlüsselwerk der Psychoanalyse, sondern auch der Witzeforschung. Für mich waren vor allem jene Kategorisierungen hilfreich, die den ersten Teil seines Buches ausmachen. Fachbegriffe wie Wortmischung, Mehrfachverwendung desselben Materials, Modifikation, Verschiebung, Unifizierung, Darstellung durchs Gegenteil und Aufsitzer gehen auf ihn zurück oder wurden von ihm popularisiert.

Freud unterscheidet zwischen Technik und Tendenz eines Witzes. Die Technik ist das Hauptthema meines Buches, aber die Tendenz spielt oft eine zusätzliche Rolle.

Freud stellt bei den Tendenzwitzen vier Kategorien auf:

obszöne, entblößende Witze,

aggressive (feindselige) Witze,

zynische Witze (kritische, blasphemische),

skeptische Witze.

Die Tendenz weckt Gefühle beim Zuhörer, sie ist „das Körnchen Salz“ oder „das Tröpfchen Adrenalin“, wie es Arthur Koestler formuliert (Koestler, S. 52). In obszönen Witzen geht es um Sexuelles, das gesellschaftlich tabuisiert ist, im Witz hingegen angesprochen wird – oft verklausuliert, verhüllend. Aggressive Witze richten sich gegen das Fremde oder gegen politische Gegner. Zynische Witze attackieren Grundsätze, die allgemein anerkannt sind. Zu dieser Gruppe gehören auch blasphemische Witze. In diesen werden religiöse Dogmen oder der Gottesglaube selbst angegriffen. Skeptische Witze zweifeln jede Form der Erkenntnis an, in Tierwitzen und Kinderwitzen lösen sie beim Zuhörer ein Gefühl der Rührung aus. Die meisten Flachwitze haben keine Tendenz.

Hier werden keine Gefühle angesprochen. Es geht einzig und allein darum, das Zeichen π zu verbalisieren und die Lösung „Piraten“ zu finden. Dass Seeräuber und Piraten ein und dasselbe sind, ergibt sich sofort. Wir lächeln über derartige Witze einzig und allein deshalb, weil sie uns überraschen, und der Zuhörer darf ein wenig stolz sein, dass er das Rätsel entschlüsselt hat.

Als Hipster bezeichnet man eine Person mit starkem Szenebewusstsein, womit eine Abgrenzung vom Mainstream signalisiert wird. Dies äußert sich in der Bekleidung: Flanellhemden, Hornbrillen, Schlauchschals, Röhrenjeans, Converse-Schuhe, Tätowierungen und Piercings, aber auch im Getränkekonsum: Hipster trinken Szenegetränke wie Club-Mate-Limonade. Sie verwenden Smartphones, Tablets und MacBooks.

Der Hipster ist in diesem Witz im wörtlichen Sinn eine Zielscheibe: Auf ihn wird geschossen. Nach der analytischen Methode Sigmund Freuds ist er auch im übertragenen Sinn eine Zielscheibe: Er ist neben dem Erzähler und dem Zuhörer jene dritte Person, gegen die sich die aggressive Tendenz des Witzes richtet. Wer vom Mainstream abweicht, wird bestraft.

„Nein, der Witz geht ganz anders!“ – Ein Witz und viele Versionen

Ich habe für dieses Buch sowohl alte als auch neue Witze ausgewählt, wobei die alten Witze meist Klassiker sind und bereits viele Jahre auf dem Buckel haben. Aber: Es gibt Witze, die muss man einfach kennen.

Besonders die älteren existieren oft in verschiedenen Versionen, und dann taucht die Frage auf: „Welche ist die bessere?“ Leidenschaftliche Witzeerzähler lassen in dieser Hinsicht keine Kompromisse gelten. Sie warten, bis die Pointe fertig ist, und sagen dann: „Nein, der Witz geht ganz anders!“ – und beginnen ihn neu zu erzählen.

Wenn man die äußerst umfangreiche wissenschaftliche Literatur über Witze und die Witzesammlungen durchsieht, fällt auf, dass einzelne Witze immer wieder in verschiedenen Abwandlungen auftauchen. Aber schon kleine Änderungen können einen Witz beschädigen oder völlig zerstören. In diesem Buch werden Sie einige Beispiele dafür finden.

Oft ist auch das subjektive Empfinden ganz entscheidend. Ich meine, dass sich Witze durch Kürze und Zielstrebigkeit auszeichnen sollen. Hans-Martin Gauger, ein langjähriger Professor für Romanistik an der Universität Freiburg im Breisgau und der einzige Wissenschafter, der sich in den letzten Jahrzehnten mit Sprachwitzen befasst hat, verlangt in seinem Buch Das ist bei uns nicht Ouzo von einem Witz folgende Eigenschaften: „Ein Witz sollte um des Hörers oder Lesers willen schnell sein Ziel erreichen. Andererseits muss alles – dann aber wiederum nur das – gesagt werden, was zur Realisierung der Pointe nötig ist. Es ist der Witz selbst, der Kürze will. Genauer: Nicht er selbst, sondern unser Bewusstsein von ihm. Metaphorisch aber ist es in der Tat ‚er selbst‘. Er will also möglichst schnell zur Pointe und – mit ihr und durch sie – zu der kleinen Explosion kommen, die das Lachen oder das Lächeln des Hörers sind.“ Gauger vertritt daher das Prinzip: „so lang wie nötig, so kurz wie möglich“, schränkt jedoch anschließend ein: „Zur nötigen Länge gehört aber auch (rien n’est simple) eine gewisse Farbigkeit, eine gewisse andeutend situierende Ausgestaltung, also durchaus nicht nur das rein logisch oder intellektuell Notwendige.“ (Gauger, 2006, S. 14–15)

„Witze, sind die kürzeste und präziseste Form erzählter Literatur“, meinte einmal Hellmuth Karasek, er war einer der vier Diskussionsteilnehmer des Literarischen Quartetts. Gute Witze unter Literatur einzureihen, wird nicht falsch sein – in einem gut erzählten Witz muss jedes Wort „sitzen“. Und manche Sprachwitze, die sich der Dialogform bedienen, sind eigentlich allerkürzeste Minidramen. Situationswitze sind allerkürzeste Kurzgeschichten.

Mit dem Satz „Nein, der Witz geht ganz anders“ könnte man auch die viel beachtete Polemik Friedrich Torbergs gegen Salcia Landmann und ihr 1960 im Schweizer Walter Verlag erschienenes Buch Der jüdische Witz überschreiben. Salcia Landmann, geboren in Żółkiew, damals Galizien, heute Ukraine, war die Tochter des Ehepaares Israel Passweg und Regina Passweg, geborene Gottesmann. Während des Ersten Weltkriegs übersiedelte sie mit ihrer Familie in die Schweiz nach St. Gallen. Sie promovierte in Philosophie und heiratete den Philosophen Michael Landmann. Ihre schriftstellerische Arbeit verstand sie als „stilles Requiem auf die untergegangene ostjüdische Kulturwelt“.

Das erinnert ein wenig an Friedrich Torbergs Bestreben, der jüdischen Kultur, die durch die Schoah vernichtet wurde, ein Denkmal zu setzen. Sein erfolgreichstes Buch, Die Tante Jolesch, trägt den Untertitel „Der Untergang des Abendlandes in Anekdoten“.

Im Oktober 1961 erschien in der Zeitschrift Der Monat jene Polemik Torbergs, die in der Folge hohe Wellen schlagen sollte. Ihr Titel: „Wai geschrien!“ oder Salcia Landmann ermordet den jüdischen Witz. Anmerkungen zu einem beunruhigenden Bestseller. Torbergs Aufsatz wurde seither oft in Auszügen zitiert, ich wollte den gesamten Artikel lesen. Also bestellte ich in der Nationalbibliothek den 14. Jahrgang der Berliner Zeitschrift und las in Heft 157 den durchaus vergnüglichen Beitrag. Anhand einiger Beispiele zeigt Torberg, wie Salcia Landmann die Witze ruiniert hat. Der folgende Witz über das Witzeerzählen selbst war bereits in den 1930er Jahren publiziert worden, in einem Buch, das im Titel nicht das Wort „Witze“, sondern den Ausdruck „Schwänke“ stehen hatte.

Das ist ein schöner Metawitz, ein Witz über den Witz beziehungsweise über das Witzeerzählen, und er hat einen subtilen Inhalt. Die beste Interpretation dieses Witzes habe ich in Josef Joffes empfehlenswertem Buch über den jüdischen Humor mit dem Titel Mach dich nicht so klein … gefunden. „Die Gojim, also die Christen, sind aus Sicht des Erzählers grundsätzlich nicht besonders helle“, schreibt der angesehene Herausgeber der Wochenzeitung Die Zeit, „aber der Landbesitzer und der Polizist, die Mächtigen, sind noch blöder als der Bauer, der in der Hierarchie nur knapp über dem Juden steht und deshalb schon fast ‚einer von uns‘ ist.“ Auf diese Weise „erhebt sich der Jude über seine Umwelt“. Für den osteuropäischen Schtetlbewohner, der selber fast nie Land besitzen durfte, „ist der Verpächter eine wirtschaftliche und der Polizist eine existenzielle Bedrohung, weil er eine willkürliche Staatsmacht vertritt. (…) Diesen Typen ihren geistigen Rückstand zu bescheinigen, bietet seelischen Trost in auswegloser Lage.“ Eine andere Interpretation könnte lauten: „Bleib auf dem Teppich. Du hast zwar die besseren Pointen, aber die haben die Macht.“ (Joffe, S. 37–38)

Landmann kannte die Quelle, aber sie veränderte den Schluss.

Dass Torberg diese Veränderungen sauer aufstießen, ist verständlich. „Nein! Nein! Erstens sagt er nichts, denn das würde bedeuten, dass er den Witz bis zum Ende anhört – er unterbricht ihn. Zweitens erzählt er nicht einen noch besseren, denn das würde bedeuten, dass er den ersten für gut hält – er hält ihn aber für schlecht. Und drittens erzählt er überhaupt keinen besseren, denn das würde bedeuten, dass er einen anderen erzählt – er erzählt aber den gleichen Witz anders, weil er überzeugt ist, ihn besser erzählen zu können.“ (Torberg, Wai, S. 49)

Hier ruht Samuel Kohn

Ein ehrlicher Mensch

Ein guter Kaufmann

Ein großartiger Witz. Was hat Salcia Landmann daraus gemacht?

Hier ruht Jossel Rosenblum, Kantor

Ein frommer Mann

Ein tugendhafter Mann

Torbergs Kommentar liest sich auch in diesem Fall amüsant: „… was soll damit gewonnen sein, dass Jossel Rosenblum Kantor ist? Seit wann werden auf den Grabsteinen die Ruf- oder Kosenamen der Beerdigten angegeben (Jossel statt Josef)? Seit wann ‚spazieren‘ Jüdinnen auf Friedhöfen? Und wer, vor allem, hat jemals von jüdischen Lippen den Ausruf ‚Gott über die Welt‘ gehört?“ (Torberg, Wai, S. 50)

Weil die von Torberg inkriminierten Witze im Original so großartig sind, noch ein drittes Beispiel, auf das ich in einem späteren Kapitel zurückkommen werde (siehe S. 245 f.).

Salcia Landmann lässt den Rufer seinen Text abspulen, nachdem er über den Irrtum informiert wurde.

Torberg kritisiert außerdem Fehler in Landmanns Buch, „über die sich nicht streiten lässt“: Falsche Sterbedate von Arthur Schnitzler und Henri Bergson, ein falsches Geburtsdatum von Sigmund Freud, der noch dazu, „man fasst es nicht (und nicht einmal Alfred Adler wird sich darüber freuen“, als „Individualpsychologe“ bezeichnet wird. (Torberg, Wai, S. 52) Hier der Landmann’sche Lapsus:

„Der Großteil wirklich guter Witze, die wir kennen, lässt sich leicht auf jüdischen Ursprung zurückverfolgen. Der Individualpsychologe Freud hat sich um diese Seite der Frage wenig gekümmert. Doch sind die meisten von ihm zitierten Witzbeispiele dem jüdischen Bereich entnommen. Auch dass er selber, der Analytiker des Witzes, Jude war, empfand er bestimmt nicht als Zufall.“ (Landmann, 1960, S. 33–34)

Dem streitbaren und brillant formulierenden Autor ist in vielen Punkten zuzustimmen: Salcia Landmann gibt Witze als jüdisch aus, die keine jüdischen Witze sind. „Einfach dadurch, dass man einen Popen oder einen Dorfpfarrer zum Rabbiner macht, werden russische, polnische oder böhmische Geschichten noch nicht jüdisch.“ (Torberg, Wai, S. 60) Salcia Landmann habe mit ihrer Sammlung den jüdischen Witz als solchen zur Unkenntlichkeit verstümmelt. „Sie hat ihn, wai geschrien, ermordet.“ (Torberg, Wai, S. 65) Torberg vermutet, dass „dieses schnöde Machwerk“ deshalb zu einem Bestseller werden konnte, weil es den Lesern „das Gefühl gibt, sie haben die Vergangenheit bewältigt und haben sich dabei auch noch gut unterhalten“. Obwohl es nicht ihre Absicht gewesen sei, habe sie dem Antisemitismus Vorschub geleistet. „Diese Unempfindlichkeit, die fundamentale Gefühl- und Instinktlosigkeit gegenüber allem, aber auch wirklich allem, was das Wesen des jüdischen Witzes ausmacht, musste zwangsläufig zum antisemitischen Effekt des Buches führen.“ (Torberg, Wai, S. 56)

Im Jahr 1971 erschien im Berliner Colloquium Verlag das Buch Der echte jüdische Witzhistorische