Cover

Peter Turrini

Gemeinsam ist Alzheimer schöner

Theaterstück

Personen der Handlung:

Er

Sie

Der kleine Enkel

Stimme 1

Stimme 2

Zwei Bühnenarbeiter

Vorbemerkung:

(Die Darsteller von „Er“ und „Sie“, beide etwas älter, durchlaufen in diesem Stück eine Reihe von Altersstufen, von sehr jung bis sehr alt, je nach Szene. Für ihre Verwandlungen brauchen sie keinen Kostüm- und Maskenwechsel. Es ist ihr Spiel, ihre Körperhaltung, ihre Stimme, die ihr jeweiliges Alter ausmachen.)

(Die Hochzeitsglocken ertönen in großer Lautstärke. Aus dem Schnürboden fallen unzählige blinkende Lametta-Streifen. Das Stück ist aus.)

Geplante Uraufführung in den Kammerspielen des Theaters in der Josefstadt am 29.4.2020

Er

Johannes Krisch

Sie

Maria Köstlinger

Der kleine Enkel

Moritz Hammer/Stanislaus Hauer

Stimme 1

Roman Schmelzer

Stimme 2

Michael Dangl

Regie

Alexander Kubelka

Bühne

Florian Etti

Kostüme

Elisabeth Strauß

Musik und Komposition

Patrick K.-H.

Dramaturgie

Leonie Seibold

Licht

Sebastian Schubert

Herbert Neubauer hat die Probenarbeiten fotografisch begleitet. Am 16.3.2020 mussten die Proben wegen Corona abgebrochen werden.

Neuerlicher Probenbeginn: 24.8.2020

Neuer Premierentermin: 19.9.2020

„Die Sehnsucht ist die Hauptschlagader unseres Lebens“

Peter Turrini im Gespräch über Gemeinsam ist Alzheimer schöner

„Der Versuch von zwei Menschen, hinter den Mauern, den Lügen, den Verstellungen hervorzukommen, dem Druck der Verhältnisse für einen Moment, einen Liebesmoment, zu entkommen, das bildet den Kern meiner Dramatik“, haben Sie einmal festgestellt. Kann man auch Gemeinsam ist Alzheimer schöner in diesem Kontext sehen?

Ja. Im Grunde genommen sind in den meisten meiner Stücke die Figuren am Anfang der Geschichte mit sich und der Welt am Ende. Diesmal ist es eine Spur anders, weil sich die beiden Hauptfiguren in jungen Jahren kennenlernen und die Poesie des Anfangs und die Unbekümmertheit der 70er Jahre erleben. Aber sie haben relativ bald miteinander abgewirtschaftet und fügen sich alle Verletzungen zu, welche in Beziehungshöllen üblich sind. Als sie alt werden, vergessen sie mehr und mehr, was sie einander angetan haben. Ihr Gedächtnis verfällt, sie begegnen einander als Fremde und stehen wieder am Anfang.

In Ihrem frühen Stück Rozznjogd versucht ein Paar, die Basis für eine Liebe zu schaffen, indem sie sich der Welt, des materiellen Besitzes entledigen. Auch das Ehepaar in Ihrem neuen Stück befreit sich von der Welt, indem es sie vergisst. Schließt sich hier ein Kreis in Ihrem Werk?

In der Rozznjogd werfen die beiden Protagonisten nicht nur den materiellen Besitz weg, auch ihre Einübungen, ihre Rituale, ihre Stereotypen, ihre klischeehaften Sätze wandern auf den Müll. Als sie nackt und bloß und „abgeräumt“ voreinander stehen, ist dieser Moment der Liebe möglich. In dem Stück Gemeinsam ist Alzheimer schöner ist es ähnlich: Hier fallen keine Kleider, aber die lebenslänglichen Verhärmungen und Verhärtungen verschwinden in der Vergesslichkeit. Sie wissen nicht mehr, wer sie sind oder wer sie waren, sie können einen neuen Versuch starten.

Vor 39 Jahren hat Ihr Stück Josef und Maria durch die Darstellung der Liebe im Alter für einen Theaterskandal gesorgt. Hat diese Erfahrung in Ihrer Arbeit an Gemeinsam ist Alzheimer schöner eine Rolle gespielt?

„Liebe im Alter“, das gibt‘s doch gar nicht, die Liebe ist immer die Liebe. Möglicherweise lässt im Alter die Möglichkeit nach, aber das Verlangen, die Sehnsucht, die erfüllte und die unerfüllte, ist immer da. Die Sehnsucht ist die Hauptschlagader unseres Lebens, ein ewiges Pochen, egal wie alt man ist.

Er habe sich nie beschenken lassen, wirft die Frau ihrem Mann im Altersheim an den Kopf. Ihre Aussage bezieht sich auf die Kunst, sie könnte aber auch allgemeiner verstanden werden: Er, der Getriebene, hat nie gelernt zu genießen, er, der sich alles kaufen konnte, hat nie gelernt, das Unbezahlbare anzunehmen. Ist das Sich-beschenken-Lassen eine unverzichtbare Grundlage für das Liebesglück?

Ach wissen Sie, ich will ja kein Ratgeber für erfüllte Liebe sein. Die Menschen haben Sehnsucht nach dem anderen, aber dieser andere Mensch soll eine ganze Liste von kompatiblen Eigenschaften mitbringen. Das können Sie in jeder Partnerschaftsvermittlung beobachten. Da wird geschaut, ob die Wünsche zusammenpassen, da wird eine digitale Übereinstimmung konstruiert. Was für ein Blödsinn. Liebe ist ihrem Wesen nach Anarchie. Sie tritt aus den Ufern des Berechenbaren und Alltäglichen, sie übertritt alle Grenzen, auch die des guten Geschmacks. Oder würden Sie bei klarem Verstand einem anderen Menschen Ihre Zunge in den Rachen stecken?

Sie habe nur mehr einen Gedanken, sagt sie: „Morgen werde ich ihn verlassen. Und dann verschiebe ich es auf den nächsten Tag und dann auf den übernächsten und so weiter. Das geht seit ungefähr vierzig Jahren so.“ Was ist es, das Paare zusammenhält, die eigentlich nichts mehr verbindet?

Die meisten von uns haben große Angst, alleine zu sein. Männer und Frauen, vor allem Frauen, nehmen schreckliche Dinge auf sich, um diese Angst zu bannen. Sie richten sich in ihrem Unglück, im täglichen Funktionieren ein, trösten sich Jahrzehnte lang mit dem Gedanken, irgendwann aus diesem Kerker der Lieblosigkeit zu entfliehen, aber nach langer Zeit ist das nur noch eine Ausdenkung, die Kraft für eine Ausführung fehlt.

„Dass alles nicht wahr ist“ – diese Idee, sagt der Mann, stehe im Zentrum des Romans, den er ein Leben lang schreiben wollte. Könnte man sagen: Unsere Erinnerungen, auch wenn sie nicht von der Demenz getrübt sind, sind pure Fiktion?

Erinnerungen sind immer eine Zurechtrückung, wir modellieren sie, wir verschönern sie, wir reichern sie mit Fantasien und Erfindungen an, um das Vorgefallene erträglicher zu machen. Aber manchmal, in einer schweren Depression, brechen diese konstruierten Erinnerungen zusammen wie ein morsches Haus. Dann kommen Spuren von Wahrheit in ihrer direktesten Form hervor. Dann werden aus überschminkten Narben offene Wunden. Es ist ein bisschen wie mit den Urlaubsfotos: Je dreckiger das Meer war, je scheußlicher das Hotel, desto geschönter die Bilder.

Wenn ein Mensch seine eigene Geschichte, seine Erinnerung verliert: Was bleibt von ihm übrig? Tritt dann das nackte Selbst zutage?

An das sogenannte „Selbst“ habe ich nie geglaubt. Der Mensch ist eine vermischte und vergatschte Angelegenheit, kein Pfirsich mit einem harten Kern. Mitten im Gatsch lauert oft der Schmerz und manchmal die Liebe.

Eine gängige Vorstellung vom Altern ist, dass man wieder zum Kind wird. Wiederholt sich in gewisser Weise die unvoreingenommene Weltentdeckungslust des Kindes, wenn im Alter das Vorwissen über die Welt langsam verdämmert?

Ich kann diese Frage nicht wirklich beantworten, weil ich noch nicht verdämmert bin. Ich schleppe zwar ein paar Krankheiten mit mir herum, aber Alzheimer gehört nicht oder noch nicht dazu. Ich nehme für mich in Anspruch, dass ich diese Unvoreingenommenheit und Kindlichkeit, von der Sie reden, auch mit 76 Jahren noch in mir trage. Anders ist das dramatische Schreiben gar nicht denkbar. Würde ich mich einer Figur mit Vorurteilen und ohne Neugierde nähern, würde kein Stück herauskommen. Ich habe zwar meine Prinzipien und Überzeugungen, vor allem politische, aber beim Schreiben müssen die Figuren nicht vor dem Tribunal meiner Meinung erscheinen. Ich erzähle Geschichten von Menschen, die ich mit offenen Augen und offenem Sinn studiere. Ein Urteil sollen sich die Zuschauer bilden. Daher teilt sich mein Schaffen auch in ein essayistisches und ein dramatisches. Wenn ich Verhältnisse und Personen leidenschaftlich kritisiere, dann schreibe ich einen Essay. Wenn ich ein Stück schreibe, dann begebe ich mich auf eine Art archäologischer Erkundung menschlichen Verhaltens.

Erlebnisse und Erfahrungen zu sammeln ist die klassische Vorstellung eines erfüllten Lebens. In Ihrem Stück sehen wir zwei Menschen zu, die im Gegenteil immer mehr von all dem verlieren und dabei scheinbar immer zufriedener werden. Kann diese Reduktion auf das Unmittelbare ein Alternativentwurf für das Lebensglück sein?