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Günther Pfeifer

Hawelka & Schierhuber spielen das Lied vom Tod

Ein Wiener Mordbuben-Krimi

Günther Pfeifer

Hawelka & Schierhuber spielen das Lied vom Tod

Gewidmet Werner Schoberwalter (1955–2016)

Alltag

Dienstag, 8. September, 8–11 Uhr

Es gibt Polizisten, die sind vom Schicksal begünstigt. Alles gelingt ihnen. Sie treffen beim Schießtraining regelmäßig ins Schwarze, sie treffen, wenn sie einen Verdacht äußern, stets den Nagel auf den Kopf, und sie treffen sich regelmäßig mit den schärfsten Bräuten der Stadt zum rhythmischen Horizontalturnen.

Diese Polizisten fahren bevorzugt BMW oder Audi, und zwar nicht die Einstiegsmodelle, sondern jene knapp unterhalb der Obergrenze, die vom Alter her gerade über dem Jahreswagen, aber meist unter 5 Jahren sind.

Solche Beamte sind ausgezeichnete Skifahrer, regelmäßige Blutspender, überdurchschnittlich oft Motorradbesitzer, und sie haben auch ohne Solarium den begehrten Surflehrer-Teint. Meist sind sie durchtrainiert, haben einen starken Willen, gesunde politische Ansichten und einen gleichmäßig hohen Testosteronspiegel über dem Durchschnitt. Es ist ihre zupackende Art, ihr energisches Auftreten, ihre laute Stimme – bei alldem aber auch eine gewisse Ruhe und Festigkeit, die ihnen natürliche Autorität verleiht, die ja die Voraussetzung für einen guten Polizisten ist. Kurzum, diese Polizisten sind tatsächlich Musterbeispiele für kultivierte Kraft und Männlichkeit.

Hawelka war es nicht.

Das wurde ihm an diesem Morgen einmal mehr von seinem Chef, Hofrat Johann P. Zauner, hinterrücks nur „Erzherzog“ genannt, vor Augen geführt.

„Das brauch ich nicht, dass mir die ihre Zähne zeigt, weil so schön sind die auch wieder nicht, und wenn das ein Lächeln sein soll, dann muss ich leider sagen: ‚Geh noch einmal heim, tu’s schön üben, und wenn du es dann kannst, darfst du dich wieder melden bei mir.‘ Deshalb hab ich ihr ausrichten lassen, dass der Henk da sein wird, und der zeigt ihr und die ganzen anderen – Wie sagt man? – ‚Großkopferten‘ dann den Laden. Ich bin nicht feig – setzen S’ mich auf eine Bombe mit Zeitzünder, dann greifen S’ mich an, und Sie werden spür’n, wie kalt mich das lasst, aber die auswendig gelernten Sprüche und die Phrasen aus dem Schubladl, die schlagen sich bei mir auf den Magen und dann speib ich mich an bis übers Kreuz und das gehört sich nicht, wenn die Frau Ministerin zu Besuch kommt.“

Der Erzherzog hatte bereits auf dem Gang zu sprechen begonnen und erst geendet, als er am Kopfende des Besprechungstisches Platz genommen und von der Frischauf die Unterlagen in Empfang genommen hatte. Jeder der Anwesenden war trotzdem mühelos in der Lage gewesen, ihn zu verstehen, dezentes Flüstern war nicht die Art von Hofrat Zauner. Seine Laune war immer schwer einzuschätzen, seine Gedankengänge nahmen oft völlig unerklärliche Wendungen, aber eines konnte mit Sicherheit vorausgesagt werden: Wenn er zu reden begann, bevor er das Besprechungszimmer betrat – dann war er geladen.

Sie waren alle nicht gutgelaunt an diesem Tag. Besprechungen waren meistens nicht lustig. Besprechungen mit dem Erzherzog waren es nie. Noch dazu hatte das Auskunftsbüro1 schon vor dem Auftritt des Alten durchsickern lassen, dass eine Visite der Ministerin samt Fernsehteam und ausländischer Delegation bevorstand.

„Der große Tag wird der Donnerstag sein und das Büro von der … na, der … – Wie heißt das Pferd?“ Die Frischauf nannte pflichtschuldig den Namen der Ministerin, den jeder Polizeischüler im Schlaf wusste. Normalerweise hätte sie der Erzherzog jetzt zur Sau gemacht, weil sie ihm etwas souffliert hatte, was er natürlich wusste, er verzichtete aber darauf und sagte nur: „Nein, ich sag ‚Ministerin‘, weil ‚Frau‘ will ich da gar nicht in den Mund nehmen, da hab ich zu viel Achtung vor die Frauen, als dass ich da eine Querverbindung herstellen will – Nimmervoll!!“

Das war normal. Während seiner Tirade hatte er mit routinierten Handbewegungen ganz nebenbei die Unterlagen durchgesehen und dabei etwas gefunden, das er zum Anlass für einen Themenwechsel nahm. „Nimmervoll! Es ist nicht meine Manier, dass ich mich wo einmisch, weil ich bin ein großer Freund von Leut, die wissen was sie tun – wenn sie wissen, was sie tun, die Leut. Da hat es einmal den schönen Film gegeben Denn sie wissen nicht, was sie tun, aber das gilt ja nicht für alle da herinnen …“

Tatsächlich schien der Erzherzog den Kollegen Nimmervoll, einen jungen, engagierten Offizier, als nicht ganz so schwachsinnig wie den Rest der Mannschaft einzuschätzen. Ein Privileg, das außer ihm nur Henk, der souveräne Stellvertreter des Alten genoss.

„… aber auch wenn Sie die Kreuch’sche G’schicht jetzt seit fast einem Jahr verfolgen – Wie heißt es so schön? ‚Einmal muss geschieden sein‘ – Sie werden die an einen Kollegen Ihres Vertrauens abgeben und fahren zu die Wilden nach Amerika für diesen Kurs, und ich bin sicher, wenn Sie in zwei Monaten wiederkommen, dann ist der Kollege noch keinen Schritt weiter und der Kreuch ist noch da, und Sie können das in aller Ruhe aufklären, aber dann haben S’ das FBI-Cowboy­diplom an der Wand hängen und der Sojka wird neidisch sein, weil Cowboy war bis jetzt er und …“

Es bestand ein feiner Unterschied zwischen dem aufstrebenden Nimmervoll und dem erwähnten Kollegen Sojka. Nimmervoll sollte an einem sündteuren Spezialkurs beim FBI teilnehmen und war wegen seiner hervorragenden Eigenschaften ausgewählt worden. Sojka, der seit Jahrzehnten „der Cowboy“ genannt wurde, war seit ebensovielen Jahrzehnten strafweise zwischen den Abteilungen hin und her versetzt worden, denn für eine Kündigung hatten seine zahlreichen Verfehlungen nie richtig gereicht. Er hatte nicht die Dienstauffassung eines Cowboys, sondern die eines Gelegenheitsarbeiters. Seine Kontakte zum Rotlichtmilieu nutzte er nicht etwa, um Ermittlungen voranzutreiben, sondern um sich gratis zu verschaffen, wofür andere bezahlen mussten, und auch sonst führte er ein eher lockeres Leben zwischen Alkoholmissbrauch und schnellen Autos. Lieblingsstück seiner Sammlung war „die heilige Cow“, ein riesiger Amischlitten, den er auf sehr komplizierte Art und Weise fast legal erworben hatte. Da er mittlerweile kurz vor der Pensionierung stand, hatte er Narrenfreiheit in allen Belangen, und nicht einmal dem Erzherzog wäre es eingefallen, ihn mit einer ernsthaften Aufgabe zu behelligen.

„… aber jetzt noch ein Wort unter uns, ein kleines Wörterl möchte ich da schon noch sagen, weil da gibt es einen Fall, und auch wenn das nur ein Halbstarker ist, der offenbar bei die Falschen angestreift ist, dann gehört der Fall trotzdem aufgeklärt, damit man die Akten z’sammheften und ablegen kann. Sowas dauert zwei, drei Wochen, das seh ich schon ein, weil am Sonntag sollst du ruhen und dazwischen muss man den Krankenstand vom letzten Jahr konsumieren, weil sonst verfällt er, und wenn das erledigt ist, muss man bei der Berlakovic Kaffee trinken und über ganz wichtige Sachen reden, aber so nach drei Wochen hat man dann die paar Hanseln befragt, die mit dem Lackl unterwegs waren und dann verhört man die zwei, drei Verdächtigen, macht ein bisserl Druck und die G’schicht ist erledigt – wieder ein Schwammerl mehr im Häf’n. Aber wenn man aus dem Waldviertel kommt und glaubt, die ganze Welt ist wie das Puff in Kleingloms, wenn man sich mehr auf die gemütlichen Dinge im Leben konzentriert, dann kann man mühelos auch zwei Monate mit so einem Pimperlfall verbraten. Das ist ja nicht so schlimm, die Mörder laufen einem ja nicht davon, und wenn es heuer nicht mehr ist, so ist es eben nächstes Jahr, da brauchen wir ja auch noch was zu tun, also nur schön langsam mit die jungen Ross, das gehen wir ganz ruhig an, da nehmen wir nicht einmal die Hände aus dem Hosensack, weil die haben’s schön warm da drinnen und …“

Hawelka hätte mitreden können. Natürlich nicht wörtlich, der Erzherzog war stets um neue Formulierungen bemüht, was er gestern als dritten Satz gesagt hatte, konnte heute ganz am Ende der Litanei stehen und morgen vielleicht als Eröffnung dienen, aber grundsätzlich wusste man, was die Grundaussage war und worauf der Alte hinauswollte.

„… da sag ich sonst zu einem normalen Beamten: ‚Stell dich nicht wie das Kind zum Dreck, spuck in die Hände und mach das, wofür dich Vater Staat bezahlt und fertig.‘ Aber wie gesagt, das sag ich einem normalen Beamten und einem – Wie heißt das so schön? – einem verhaltensoriginellen sag ich das auch und sogar dem Sojka würd ich das so sagen, wenn ich mit ihm was reden tät. Aber einem Muli sag ich sowas nicht, weil der schaut mich nur groß an mit seine Kinderaugen und fragt, ob vielleicht der Schweinsbraten schon fertig ist.“

Das war eben eine der unvorhersehbaren, erzherzoglichen Verschiebungen innerhalb eines vorgefertigten Anschisses. Normalerweise ließ er sich zuerst über Hawelka, der in diesem Fall die Verantwortung hatte, aus, und dann, sozusagen als kleine Aufmunterung mit auf den Weg, gab es noch ein paar verbale Ohrfeigen für Schierhuber. Diesmal hatte er also mit dem Zwettler Riesen begonnen, aber Hawelka konnte sicher sein, dass ihn Zauner nicht vergessen würde.

„Einen Muli interessiert ja grundsätzlich nur das Fressen und das Saufen, und das versteh ich ja auch, weil der wird als Tragtier verwendet, der muss tagelang schwere Lasten schleppen, und da braucht er hernach natürlich ein ordentliches Futter und schlabbert ordentlich Wasser, weil er sich so angestrengt hat. Jetzt frag ich mich nur, bei was sich der Schierhuber so anstrengt, dass er so viel Bier und Backhendl braucht, da bin ich dankbar für jeden Tipp, weil ich komm nicht drauf, ich weiß nur, dass es beim Dienst nicht sein kann, sicher nicht beim Dienst!“

Die Stimme des Erzherzogs war lauter geworden und klang mittlerweile wie die Posaunen von Jericho, verstärkt durch ein billiges Kinderpolizeimegafon. Nicht wirklich angenehm. Der Vorteil war, dass die zunehmende Lautstärke meist den Höhepunkt einleitete und danach wäre die „Dienstbesprechung“ bald vorbei.

„Ich sag Ihnen was – nicht bei mir! Bei mir nicht! Wir sind eine anständige Polizei, und wir haben was vorzuweisen! Alle haben was vorzuweisen: der Henk hat was vorzuweisen, und der Nimmervoll hat was vorzuweisen, und sogar der Pollmann hat letzte Woche was vorzuweisen gehabt, weil das gibt es nicht bei mir, dass wir nichts zum Vorweisen haben! Deshalb krieg ich die Krise, wenn ich sowas seh, dass die Herren Waldviertler nichts zum Vorweisen haben, obwohl sie schon seit zwei Monaten an ihrem Halbstarkenmord herumdoktern! Seit zwei Monaten! Hawelka! Wissen S’, was ich von Ihnen halte?“

Hawelka konnte es sich lebhaft vorstellen, der Alte hatte in den letzten Jahren kein Geheimnis aus seiner Meinung über die „Waldviertler Dorfgendarmen“ gemacht. Dezenz gehörte nicht zu den Schwächen von Hofrat Johann P. Zauner.

„Ich will keinen Ärger mit der internen Verpetzungskommission, oder wie das Pferd heißt, haben, deshalb rede ich nur allgemein von Halbtrotteln, weil die volle Wahrheit kann ich gar nicht sagen, und wenn ich jetzt den Hawelka und den Schierhuber anschau, wenn ich ‚Halbtrotteln‘ sag, dann ist das zufällig und Sie müssen sich nicht angesprochen fühlen. Aber Sie dürfen!!! Das verbiete ich Ihnen nicht, weil ich bin ein Humanist, der was jedem seine freiwillige Anpassung überlasst! Ihr zwei kommt’s nachher zu mir, mit die Papiere von der Halbstarkeng’schicht und dann mach ich mit euch einen Fahrplan – aber einen Fahrplan für ein zügiges Vorgehen, da wird dem Schierhuber schwindlig werden, wenn er einmal vom Beamtenschritt in den zweiten Gang schalten muss und auf einmal die Zeit­lupe wegfällt. Heute, vierzehn Uhr, Kanzlei! In drei Tag ist der Fall erledigt.“

Wider Erwarten zog sich die Dienstbesprechung dann doch fast bis elf Uhr. Grund war die permanente Personalknappheit und die immer häufiger werdenden abteilungsübergreifenden Ermittlungen. Es war auch bei Hawelka und Schierhuber so, dass sie liebend gerne intensiver an dem vom Erzherzog angesprochenen Fall gearbeitet hätten, aber pausenlos waren Abkommandierungen, Urlaubsvertretungen, Sondereinsätze und Amtshilfeansuchen dazwischengekommen. Das hatte der Alte natürlich nicht erwähnt, weil er … – sie einfach nicht leiden konnte. Punkt. Um ein Uhr waren sie zu ihm befohlen, die Papiere hatten sie schnell bei der Hand, Berichte auch, es konnte also nichts schiefgehen. Zur Schnecke würde er sie auf jeden Fall machen.

Fairerweise muss allerdings gesagt werden, dass Zauner oftmals neue Impulse für eine Ermittlung gab, ein paar zusätzliche Hilfskräfte für eine Observation aus dem Hut zauberte oder sonstige Tipps auf Lager hatte, die nicht selten tatsächlich Schwung in einen festgefahrenen Fall brachten. Hawelka versuchte Schierhubers Reaktion auf die erzherzoglichen Untergriffe auszuloten.

„Heute hat er einmal dich lieber gehabt als mich“, sagte er, als sie den Gang zu ihrem Büro entlangtrotteten.

Schierhuber nickte.

„Er tut ja gerade so, als würde uns außer Fressen und Saufen gar nichts interessieren.“

Schierhuber nickte.

„Aber er übertreibt ja sowieso immer alles, das kennen wir eh schon, oder?“

Schierhuber nickte.

„Und was machen wir bis zwei?“

„Geh’n wir essen“, schlug Schierhuber vor.

Hawelka nickte.

Kaplan

Dienstag, 8. September, 15–15:30 Uhr

„Mir ist wichtig, dass alle, die mühselig und beladen sind, einen Ort haben, wo sie ein wenig Frieden finden können. Einen Ort, an dem sie ihre Sorgen, ihren Kummer und ihr Leid vergessen und für eine Weile glücklich sind. Das ist doch etwas Wunderbares!“

„Ja. Eh“, sagte Schierhuber.

„Und dieses tiefe Gefühl von Menschen miterleben zu dürfen, bin ich privilegiert. Das gibt mir das Gefühl von einem großen, sinnstiftenden Ganzen, man denkt nicht mehr, man fühlt nur, man ist Teil eines wunderbaren universellen Gefühls und man ahnt die Nähe des großen, im wahrsten Sinn des Wortes, lieben …“

„Ja. Eh“, wiederholte nun Hawelka, „das finde ich auch sehr … na ja, sehr … super. Du auch, oder?“ Er sah kurz zu Schierhuber hinüber.

„Sehr super“, bestätigte dieser.

„Ich finde es halt nur komisch, dass in Ihrem Heim …“

„Sagen Sie Asyl bitte, Heim klingt so furchtbar, es ist so negativ behaftet, und daher ziehe ich Asyl bei weitem vor.“

„Also schön, dann in Ihrem Asyl, wie gesagt, ich finde es ein bisschen komisch, dass Sie in Ihrem Asyl nur Mädchen, vorwiegend aus Rumänien und Bulgarien, aufnehmen, das ist es, was mich ein bisschen stutzig macht“, erklärte Hawelka seinem Gegenüber.

„Das hat uns leider die Not befohlen, so gerne ich auch Burschen aufnehmen würde, es fehlt hinten und vorne und oft wissen wir nicht …“

„Okay, ich habe verstanden“, unterbrach Hawelka jetzt. „Wissen Sie, wie ich die Sache sehe, Herr Kaplan?“ Er war ein wenig lauter geworden, als beabsichtigt, aber die ewigen Reden des anderen hingen ihm zum Hals heraus, und es war Zeit, ein paar offene Worte zu sprechen.

Der Kaplan hatte tatsächlich einmal ein Priester­seminar besucht, war aber nach zwei Jahren hinausgeflogen, weil er sich doch mehr für Mädchen als für Gott interessierte. Leider musste er dann feststellen, dass sich die Mädchen für einen angehenden Priester mehr interessierten als für einen gewöhnlichen Schulabbrecher. Um seine Chancen wieder zu steigern, gab er sich fortan erneut als Seminarist aus. Manchmal auch als Novize eines Ordens. Zu diesem Zweck hatte er schon bald mehrere Soutanen und Kutten im Schrank hängen und lebte seinen Dornenvögel-Bonus bei interessierten Studentinnen voll aus. Allerdings entwickelte er mit der Zeit eine regelrechte Sucht und die brachte ihn in schlechte Gesellschaft und bald schon in Abhängigkeit von gewissen Rotlichtgrößen.

Seither stand er einer Einrichtung vor, in deren Statuten festgeschrieben war, dass sie Waisenkinder, vorwiegend aus Bulgarien und Rumänien, in einem „Asyl“ in Österreich unterbrachte. Die Waisenkinder waren durchwegs hübsche Mädchen um die achtzehn und das „Asyl“ wurde vom Besitzer Wiens größter Bordellkette großzügig unterstützt. Der Kaplan war nach außen hin der Direktor des Heimes, das als Drehscheibe funktionierte.

Das Ganze lief schon seit Jahren, und es war Hawelka unerklärlich, warum man es nicht abdrehen konnte. Dass es lief, wussten seit langem die Kollegen der Sitte, die Staatsanwaltschaft und die Stadtregierung, aber wie man die Sache abdrehen sollte, wusste scheinbar niemand.

„Wie man die Sache bei euch abdreht, weiß scheinbar niemand, aber wenn Sie glauben, dass ich nicht weiß, was in Ihrem ‚Asyl‘ läuft, dann beleidigen Sie meine Intelligenz“, erklärte Hawelka dem Kaplan. „Leider ist das Ganze sowieso nicht meine Sache, sondern die der Kollegen von der Sitte, und irgendwann werden die schon einen Weg finden, aber wir sind wegen etwas ganz anderem da.“

Der Kaplan verzog keine Miene.

„Vor zwei Monaten wurde ein junger Mann ermordet“, begann Hawelka.

„Ermordet“, echote Schierhuber, erhob sich und ging langsam um den Tisch herum.

„Schrecklich“, sagte der Kaplan und sah erschüttert aus.

„Ja“, fuhr Hawelka fort, „das ist schrecklich. Aber was noch schrecklicher ist, er war in ein Mädchen verliebt.“

„Verliebt“, wiederholte Schierhuber anklagend.

„Oh“, bemerkte der Kaplan. Es war nicht klar, ob dieses „Oh“ dem Umstand, dass das Opfer verliebt oder Schierhubers neuerlichem Nähertreten geschuldet war.

„In ein Mädchen, das in einem Club gearbeitet hat. Das Mädchen ist verschwunden, der Bursche ist tot, und um es kurz zu machen, ein guter Freund hat mir geflüstert, dass das Mädchen kurz bevor es vermutlich nach Holland verfrachtet wurde, ein paar Tage Ihr Gast war.“

„Guter Freund?“, fragte der Kaplan.

„Guter Freund!“, bestätigte Schierhuber.

Der gute Freund hieß Sojka, und er hatte ihnen die Information nur sehr widerwillig gegeben. Aber nachdem sich der Erzherzog in den Fall eingemischt und Hawelka befohlen hatte, in drei Tagen eine Verhaftung vorzunehmen, war einiges ins Rollen gekommen. Die Tipps des Erzherzogs waren meistens mit viel Laufarbeit verbunden, aber diesmal hieß sein Tipp Sojka. Eigentlich klar, denn wenn sich irgendetwas auch nur am Rande des Rotlichtmilieus abspielte, wusste der Cowboy Bescheid. Das hieß aber noch lange nicht, dass er sein Wissen teilte. Schon gar nicht mit Kollegen! Der Erzherzog hatte in dieser Sache vermittelt. Und der Cowboy hatte eine Ausnahme gemacht und Hawelka ein paar Auskünfte und die Adresse des Kaplans gegeben. Dass er das freiwillig tat, bezweifelten alle, aber welches Druckmittel der Erzherzog angewendet hatte, wusste niemand.

„Also, Herr Kaplan“, erhob Hawelka jetzt seine Stimme, „was sagen Sie dazu?“

„Was sagen Sie dazu?“ Schierhuber hatte den Tisch ein wenig zur Seite geschoben, um sich bequemer auf die Kante setzen zu können, ungefähr dreiundvierzig Zentimeter vom Kaplan entfernt. Der breitete die Arme aus.

„Die Pflicht, meine Schäfchen zu schützen, erfordert einen festen Charakter, der auch im Sturm der Zeiten nicht wanken wird. Heißt es nicht: Du bist mein Felsen, auf dich …“

„Da fällt mir ein“, unterbrach Hawelka und wandte sich an Schierhuber, „der Kaiblinger sitzt gerade wieder einmal im Häf’n. Kannst du dich an ihn erinnern?“

„Ist das der, der die Pfarrer so hasst?“

„Er behauptet, dass er Pfarrer liebt. Letztes Mal hat er bei der Verhaftung als Entschuldigung gesagt: ‚Wen der Herr liebt, den züchtigt er.‘ Ich glaube, er sieht die Sache wirklich so.“

„Ja“, meinte Schierhuber und kratzte sich am Kopf. „Aber der Pfarrer hat nicht gut ausgeschaut.“

Die beiden konnten sich über mangelnde Aufmerksamkeit seitens des Kaplans nicht beklagen. Seine Augen waren groß geworden, denn er verstand die versteckte Drohung durchaus. Der genannte Kaiblinger war nach eigenen Aussagen als Kind in einem katholischen Internat missbraucht worden und musste diese Erfahrung jetzt auf seine eigene Art und Weise aufarbeiten – sagte er. Andere wiederum behaupteten, dass sein Faible für die Vergewaltigung von Priestern ein ganz normaler sadistischer Zug war, den ein kranker Typ wie er nun einmal hätte. Hawelka hatte keine Ahnung, was wahr war, aber dass der Kaplan schon von dem Typen gehört hatte, bemerkte er mit Wohlgefallen.

„Selbst wenn man mich“, erklärte der Kaplan jetzt kopfschüttelnd, „aus fadenscheinigen Gründen vorübergehend einsperren würde – ich käme doch nie auch nur in die Nähe von diesem Verrückten.“

„Die einen sagen so, die anderen sagen so“, orakelte Schierhuber schulterzuckend.

„Ja“, bestätigte Hawelka, „man kann nie ganz sicher sein. Einer passt nicht auf und sperrt einen U-Häftling irrtümlich in den falschen Trakt …“

„Ein anderer holt einen Häf’nbruder zur Vernehmung und weil sich da was verzögert, parkt er ihn in einer leeren Zelle im falschen Trakt. Was will man da machen?“ Schierhuber hob entschuldigend die Hände und sah resignierend gen Himmel.

„Ja, und dann passiert wieder was“, fasste Hawelka zusammen.

„Aber umgebracht hat der Kaiblinger noch keinen, oder?“, fragte Schierhuber jetzt Hawelka. Er schaffte es, seiner Stimme einen besorgten Unterton zu verleihen.

„Nein, nein … Er liebt und züchtigt nur.“

„Das ist doch alles nur eine Drohung“, begehrte der Kaplan jetzt auf.

„Gar nicht!“, rief Hawelka und schaffte es tatsächlich, empört auszusehen.

„Gar nicht!“, echote Schierhuber – und schaffte es nicht ganz so gut.

„Aber“, wurde Hawelka mit einem Schlag ernst, „wir wollen den Mord an dem Seyfried aufklären, so heißt der nämlich, und Sie, Herr Kaplan, wissen sehr genau, dass er sich in das Mädel verliebt hat und sie rausbringen wollte, aber das hat dem … soll ich Arbeitgeber sagen? Oder lieber Zuhälter, Menschenhändler, Vergewaltiger, Mörder? Jedenfalls hat dem das nicht gefallen, das Mädchen wurde offenbar ins Ausland verfrachtet, war aber vorher ein paar Tage hier zwischengelagert. Fast wie ihr Romeo, nur war der bei den Mülltonnen am Naschmarkt zwischengelagert. Und Sie, Herr Kaplan, sagen mir jetzt, wer das Mädchen hierhergebracht hat!“

Schierhuber hatte sich während des Vortrags seines Partners ein bisschen gereckt und gestreckt und schlug jetzt dem Kaplan aufmunternd auf die Schulter, wobei er durch die Größe seiner Pranken unabsichtlich auch den Nacken des anderen traf. Dessen Kopf schlug beinahe auf der Tischplatte auf.

„Entschuldigung“, sagte Schierhuber. In dem Moment meldete sich Hawelkas Handy.

„Pepi?“ Die Berlakovic klang gestresst. „Pepi, wo immer ihr seid’s, was immer ihr macht’s, ihr müsst’s gleich herkommen. Der Erzherzog hat sofortiges Einrücken befohlen. Alle und sofort. Wir haben einen Promifall.“

Anderthalb Minuten später schoss Schierhubers alter Mercedes aus der Parklücke und fuhr gegen die Einbahn in Richtung Gürtel.

„So ein Dreck!“, schimpfte Hawelka. „Noch fünf Minuten und er hätte uns den Typen geliefert. Nur noch fünf Minuten! Aber bei uns kann ja nie was glattgehen, irgendwas ist immer. Irgendwas kommt immer dazwischen und dann ist wieder was. Na, stimmt’s nicht? Irgendwas ist immer. Immer! Oder?“

„Immer“, bestätigte Schierhuber und stieg aufs Gas.

Promifall

Dienstag, 8. September, 16–17 Uhr

Das große Besprechungszimmer platzte aus allen Nähten. Die Fenster waren geöffnet worden, trotzdem blieb die Luft zum Schneiden dick.

„Heute Vormittag, gegen elf Uhr, hat eine Dekorationsassistentin in der Gigacity, genauer gesagt in der dortigen Filiale der Modekette Hurra!, eine Leiche gefunden. Genauer gesagt, die Leiche der dreiundzwanzigjährigen Regina Neuwald, genannt Amy, die etlichen aus der Fernsehshow Egomania bekannt sein dürfte. Die Leiche befand sich in halb sitzender Stellung im letzten Schaufenster des Geschäftes, das auf einen Seitengang des Einkaufscenters hinausgeht, der wenig frequentiert ist. Ich sage das, weil sich vielleicht einige von euch fragen, warum die Leiche nicht früher entdeckt worden ist. Dieses Schaufenster liegt – von innen aus betrachtet – im hinteren Bereich des Erdgeschosses der Modekette und somit auch in einem wenig frequentierten Bereich des Geschäftes. Die Dekorationsassistentin, genannt Cindy, mit vollem Namen Cinderella Tausendschön …“ Henk ließ den Zettel sinken und wandte sich nach links, wo die Uniformierten saßen, die als erste vor Ort waren. „Wer hat die Personalien von der Kleinen aufgenommen?“

„Das war ich“, meldete sich ein junger Beamter.

„Und? Ist Ihnen nichts aufgefallen, Kollege?“

„Na ja, kein sehr häufiger Name. Außerdem unpassend. So schön war die gar nicht …“ Der Mann war sich tatsächlich keiner Schuld bewusst. Die Versammelten wieherten vor Vergnügen. Es war klar, dass dieser Fall noch große Wellen schlagen würde, aber von dem Kollegen, der ohne mit der Wimper zu zucken den erfundenen Namen einer spätpubertierenden Dekoassistentin notiert und weitergegeben hatte, von diesem Kollegen also, wäre noch lange die Rede an den polizeilichen Lagerfeuern. Der Erzherzog hätte in so einem Fall den Betreffenden vor die Anwesenden treten lassen und ihn eine Viertelstunde lang derartig niedergemacht, dass sich der andere nie wieder davon erholt hätte. Aber die Zusammenfassung und erste Besprechung wurde auf Befehl des Alten von Henk geführt – und Henk war anders. Noch ehe der Erzherzog, der, wegen der besseren Luft, draußen im Gang auf und ab ging und durch die offene Tür mithörte, einschreiten konnte, ging Henk zu dem jungen Kollegen und legte ihm die Hand auf die Schulter. „Sie hat sich einen Spaß mit Ihnen erlaubt, Herr Kollege. Das ist nicht ihr richtiger Name. Fahren Sie hin und klären Sie das so schnell wie möglich. Danke!“ Der junge Polizist hatte begriffen. Er war rot geworden, sprang auf und eilte hinaus, gerade noch rechtzeitig, bevor der Erzherzog ihn aufhalten konnte.

„Also, diese Cindy hat die Tote gefunden, ihre Filialleiterin verständigt und diese hat dann den Notruf gewählt. Die Kollegen vom Wachzimmer Vogelweiderplatz haben die Alarmkette ausgelöst. So. Alles deutet aktuell auf ein Gewaltverbrechen hin, da das Opfer mit einer Schere einen Herzstich erhalten hat und an Ort und Stelle verblutet ist. Über die Tatzeit wissen wir noch nichts, es könnte aber gestern Abend kurz vor Ladenschluss gewesen sein. Die Teilnehmer der Castingshow haben nämlich gestern auf der Bühne des Einkaufszentrums einen Playbackauftritt gehabt und anschließend Autogramme gegeben. Alle Geschäfte in der Gigacity sind bis 21 Uhr offen geblieben. In der Filiale von Hurra! hatten zwei Verkäuferinnen Spätdienst, die heute Vormittag nicht da waren, ich hab Namen und Adressen hier, Martin, du fährst bitte zu denen heim und fragst sie das Übliche: Ob sie sich erinnern können, diese Amy im Geschäft gesehen zu haben, wer bei ihr war, ob ihnen sonst was aufgefallen ist und so weiter.“

Der dicke Pollmann nickte. Nach ihm teilte Henk noch Hohlstein und Gerlitz für die Nachforschungen im Einkaufszentrum ein, dann Nimmervoll für den Kontakt mit den Medien. Die heiklen Befragungen der „Egomaniacs“ und des ganzen Show-Trosses würde Henk selbst übernehmen, und den jungen Schütz nahm er mit. Blieb nur noch eine Frage …

‚Bleibt nur noch eine Frage‘, dachte Hawelka. ‚Was ist mit dem Sepp und mir?‘

„Bleibt nur noch eine Frage“, sagte Henk. „Wem bleibt die traurige Aufgabe, den Angehörigen die schlechte Nachricht zu überbringen?“

‚Oh nein‘, dachte Hawelka und sah zu Boden, was überhaupt keinen Sinn hatte, da er spürte, wie Henk in seine Richtung sah. Also blickte er wieder hoch und schielte zu seinem Partner, um herauszufinden, wie der darüber dachte, was überhaupt keinen Sinn hatte, da Schierhuber wie immer ausdruckslos vor sich hin starrte. „Ich glaube, du kannst das gut, Josef“, sagte Henk jetzt. „Der Sepp und du, ihr macht das. Die Adresse der nächsten Angehörigen hat das Auskunftsbüro Berlakovic. Erledigt’s die traurige Pflicht heute noch und fragt’s, wie es mit anderen Freunden, Verwandten, Bekannten ausschaut. Wir treffen uns morgen Früh um acht wieder da. Sollte was Außerordentliches passieren, informiert die Herta alle. Und noch etwas: Außer dem Kollegen Nimmervoll redet keiner mit den Medien. Das ist mir wichtig.“

Henk war fertig, und eigentlich hätten alle sofort an die Arbeit gehen wollen, aber der Segen des Erzherzogs fehlte noch, und er kam so sicher, wie die Nacht dem Tag folgt.

„Wir haben also einen sogenannten Promifall. Wobei ich nicht weiß, warum jemand prominent ist, wenn er im Fernsehen auftritt und irgendwelche Lieder singt. Aber ein paar hunderttausend Schwindlige wissen es besser. Weil die hören sich das Katzengeschrei an und klatschen und zahlen dafür. Auch gut. Aber nicht gut ist, wenn da so eine Prominente abgestochen wird, weil dann haben wir hunderttausend Schwindlige, die Polizei spielen und Zeuge spielen und wissen, wer es war und wie man ermitteln muss und dies und das und sonst noch was. Mir persönlich macht das nichts aus, aber der Herr Polizeichef und die Frau Ministerin, die werden nervös, wenn sowas nicht in fünf Minuten aufgeklärt ist und sie jeden Tag in der Zeitung lesen müssen, dass sie zurücktreten sollen, weil der Mordbub noch frei herumläuft. Und dann sekkieren sie mich bis aufs Blut, und das kann ich nicht brauchen in meinem Alter, da werd ich grantig, das sag ich Ihnen.“

Der Erzherzog hatte sich während seiner Einleitung vom Gang nach vorne zu Henk bewegt, schien sich zunächst vor der Mannschaft aufbauen zu wollen, wie sonst, überlegte es sich aber dann und begann zwischen seinen Untertanen auf und ab zu marschieren und gelegentlich einen direkt anzuschauen, wobei er allerdings seinen Vortrag nicht unterbrach.

„Da hat der Henk vorhin etwas gesagt, das war sehr richtig, tun S’ mir nicht reden mit die Medien, hat er gesagt. Das ist richtig, aber ich sag Ihnen noch was: Reden S’ auch mit sonst niemand! Nicht mit dem Gspusi2 und nicht mit dem Wirten, und mit dem Nachbarn reden S’ auch nicht. Weil die Reporter sind nicht blöd, das heißt, schon blöd, aber so blöd auch wieder nicht, dass sie nicht g’scheit g’nug wären, dem Wirten vom Pollmann seinem Stammlokal ein bisserl einen Schmartes3 rüber z’reiben und ihn ein bisserl aushorchen, was denn der Held nach Dienst so ausplaudert am Stammtisch. Und morgen steht’s dann in der Zeitung. Ich geb Ihnen einen Tipp: Hüten Sie sich vor diese Grobheiten! Wenn ich was les in der Zeitung, dann staubt’s! Erst staubt’s, dann kracht’s und dann scheppert’s. Es steht eh schon genug Blödsinn in die Zeitungen, da braucht nicht euer Blödsinn auch noch drinnen stehen. Und noch was … da wird jetzt vermehrt fotografiert werden, erstens, weil Sie sich mit – wie sagt man? – Prominente herumschlagen müssen und die ziehen die Journaille an wie Kuhfladen die Schmeißfliegen, und zweitens, weil man uns natürlich scheitern sehen will. Aber bei mir gibt es kein Scheitern! Nicht bei dem Fall und überhaupt nicht im Dienst. Scheitern können S’ von mir aus daheim oder im Urlaub. Dafür sind solche Sachen erfunden worden. Aber im Dienst gibt es kein Scheitern. Also, frisieren S’ Ihnen g’scheit, damit Sie in der Zeitung nicht wie der Räuberhauptmann Grasl ausschauen! Und gegen gute Kleidung spricht auch nichts. Und Hohlstein …“

Er hatte sich vor dem Angesprochenen aufgebaut und fixierte ihn mit stechendem Blick. Der Kollege Hohlstein galt als besonderer Frauenfreund, was ihn immer wieder in Schwierigkeiten, oft auch dienstlicher Natur, brachte.

„… wenn einer eine Schwäche für das sogenannte schwache Geschlecht hat, dann soll er halt schwach werden, mit allen möglichen Körperteilen, aber nicht mit dem Mund, weil Reden ist Silber und Schweigen ist Gold, und das sogenannte schwache Geschlecht ist gar nicht schwach, sondern sehr stark, wenn’s ums Reden geht. Also überlegen S’ Ihnen, was Sie sagen, wenn es so weit ist. Weil es gibt Reporter, die sind darauf spezialisiert, dass sie das schwache Geschlecht nach dem ausfragen, was das starke Geschlecht in einer schwachen Stunde so erzählt hat.“

Es war unklar, ob Hohlstein4 den komplizierten Ausführungen des Erzherzogs hatte folgen können, und Zauner hatte das offenbar auch erkannt, daher fügte er gleich selbst die Zusammenfassung hinzu. „Egal, wer Ihnen schöne Augen oder sonst was macht, reden S’ mit niemandem über den Fall, haben S’ das verstanden?“ Hohlstein nickte. Damit war der Erzherzog auch schon bei Hawelka und Schierhuber angekommen. „Es ist nicht meine Art, dass ich über die Personalknappheit jammere, weil wir haben nicht, was wir wollen, sondern was wir haben, und so haben wir halt auch den Hawelka und den Schierhuber, also tun S’, was der Henk Ihnen angeschafft hat, und reißen S’ sich Ihnen zusammen, damit ich keine Klagen höre. Die gemütliche Zeit ist jetzt erst einmal vorbei, und ich will eigentlich nur eines: die verflixte G’schicht bald vom Tisch haben, damit wieder Ruhe einkehrt, weil ich brauch keine verflixten G’schichten.“

Alles klar. Der Erzherzog brauchte keine verflixten G’schichten, also würde man ausnahmsweise arbeiten und nicht den ganzen Tag faul herumlehnen, wie man es in der Wahrnehmung des Alten scheinbar immer gemacht hatte.

Bevor Hawelka und Schierhuber losfuhren, schauten sie noch rasch im Auskunftsbüro Berlakovic vorbei, um sich moralische Unterstützung zu holen.

„Wollt’s einen Tee?“ Grundsätzlich hätte Hawelka auf eine solche Frage mit einem Kopfschütteln geantwortet und geseufzt, aber die Frage war von Bettina Sommer5 gestellt worden, und das hoffnungsvolle Lächeln auf ihrem Gesicht ließ bei ihm keine andere Antwort zu als „Ja, danke“. Schierhuber war resistenter, lehnte ab und zog ein Fläschchen Jägermeister aus seiner Rocktasche. „Wir haben einen schweren Gang“, meinte er entschuldigend und leerte das kleine Gebinde mit einem Schluck.

„Ich hab’s schon gehört“, ließ sich die Berlakovic vernehmen, „ihr müsst’s die traurige Nachricht überbringen. Ich möcht nicht mit euch tauschen. Ich hab die Adresse schon da.“

„Ich geh wieder einmal …“, verkündete Janne ­Frischauf und stürzte aus dem Büro.

„Wohin geht sie wieder einmal?“, fragte Hawelka niemand Bestimmten.

„Kotzen“, antwortete die Forstner aus ihrer Ecke, ohne eine Miene zu verziehen und ohne das rasche Stakkato ihres Tippens zu unterbrechen.

„Ja, die Arme“, erklärte die Berlakovic, während Bettina Sommer Hawelka eine Tasse Tee reichte und mit ihrem Lächeln jeglichen Süßstoff ersetzte, „bei der ersten Schwangerschaft ist es ihr so gut gegangen, und diesmal rennt sie andauernd aufs Klo – wahrscheinlich wird’s ein Bub.“

„Aha.“

Henk trat rasch ein und legte der Forstner einen Stapel Papiere auf den Schreibtisch: „Kannst du mir das noch heute zusammenfassen und mailen, Karin?“ Die Forstner nickte und würdigte ihn keines Blickes. Das war keine besondere Feindseligkeit, sondern ihre ganz normale Reaktion. Henk warf einen Blick auf die Teetasse in Hawelkas Hand. „Dauert das noch lange?“, fragte er in Richtung Berlakovic.

„Es dauert, so lange es dauert.“

„Äh … ja. Ich meine nur, das ist … schade. Weil euer Kaffee war immer …“

„Wir wollen ein bisschen gesünder leben, das tät euch auch nicht schaden“, meinte sie ein wenig schnippischer als sonst, „außerdem solidarisieren wir uns mit der Janne, die soll kein Koffein …“

„Solidarität schön und gut, aber ich finde deine Stimmung leidet ein bisschen darunter. Demnächst werdet ihr noch selbstverordnete Vegan-Wochen einführen, dann trau ich mich gar nicht mehr rein“, meinte Henk im Hinausgehen. ‚Wahrscheinlich hat er Recht‘, dachte Hawelka. Der legendäre Auskunftsbürokaffee fehlte vermutlich der Berlakovic selbst am meisten.

Sie erhielten die Adresse, er trank tapfer seinen Tee aus und sie zogen los. Im Auto bat Hawelka seinen Partner auch um einen Jägermeister. Das bevorstehende Gespräch lag ihm schwer im Magen.

Tante

Dienstag, 8. September, 20–23 Uhr

Hawelka und Schierhuber waren auf dem Weg zurück ins Präsidium. Das Ganze war nicht schön gewesen. Amy war von ihrer Tante aufgezogen worden und ein unauffälliges Kind gewesen. Sogar eine Art Musterschülerin. Bis sie siebzehn war. Dann war sie „entdeckt“ worden. Irgendein Typ, dessen Namen die Tante nicht einmal kannte, hatte von einer Mörderstimme geredet, ihre Karriere in die Hand genommen und sie fortan „gemanagt“. Das Image der No-Future-Bitch hatte er ihr verpasst und Amy hatte sich sehr fleißig bemüht, es zu erfüllen. Sie war mit grottenschlechten Bands aufgetreten, die durch ihren Gesang zwar nicht besser wurden, sie aber in die Szene einführten.

„Das war vor zwei Jahren“, hatte die Tante erzählt. „Seit damals haben wir keine gemeinsame Gesprächsbasis mehr gehabt. Sie war felsenfest davon überzeugt, dass sie diesen Weg gehen musste. Irgendwann habe ich dann gehört, dass sie sich von ihrem Manager getrennt und für diese Show angemeldet hat. Es war von Anfang an klar, dass sie dort nur eine Außenseiterin sein würde, aber sowas brauchen die natürlich, um einen Wettbewerb mit vielfältigen Charakteren vorzutäuschen. Irgendwann, als sie wieder einmal um Geld da war, hat sie erzählt, dass die Reihenfolge längst feststeht. Aber ihre Publicity würde trotzdem steigen. Jetzt hat sie ihre Publicity!“ Dann hatte die Frau geweint und Hawelka hätte am liebsten gleich mitgeheult.

Später besichtigten sie das Zimmer des Opfers – es war vollkommen steril gewesen, Amy hatte es nur mehr gelegentlich als Notunterkunft benutzt, ihre persönlichen Sachen waren von ihr längst fortgeschafft worden. Wo sie momentan wohnte oder gewohnt hatte, konnte die Tante nicht sagen, bei irgendeinem Freund, vermutete sie.

„Was meinst du, Sepp?“

Sie fuhren seit zehn Minuten schweigend durch das abendliche Wien. Zuerst von Hütteldorf die Linzer Straße stadteinwärts und dann den Gürtel entlang, um zum Franz-Josefs-Bahnhof zu gelangen, in dessen Nähe der Reznicek