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Eva Gründel

Mörderdünen

Ein Sahara-Krimi

1

Wüstentauglich sehen sie derzeit wirklich nicht aus, dachte Elena, als sie die kleine Gruppe betrachtete, die sich auf dem Flughafen von Malta um sie scharte. Dass die meisten am gestrigen Begrüßungsabend dem Wein allzu heftig zugesprochen hatten, war jedenfalls nicht zu verheimlichen. Allein der Hinweis, dass es in den bevorstehenden zwei Wochen nicht einmal ein Bier – es sei denn ein promillefreies – geben würde, hatte genügt, denn in Libyen herrschte das strikteste Alkoholverbot aller Länder des Maghreb. Irgendwann hatte Elena aufgehört, die Flaschen zu zählen, die von den acht Österreichern in dem sympathischen Hotel im Zentrum von Valletta in Rekordzeit geleert worden waren. Erwachsene Menschen vom Trinken abzuhalten, war nicht die Aufgabe eines Reiseleiters. Abgesehen davon war ein entsprechendes Quantum wohl das probateste Mittel, die Verlegenheit zu Beginn des Abends zu überspielen. Die fünf Männer und zwei Frauen, die auf die ungewöhnliche Idee verfallen waren, ihr vierzigstes Maturajubiläum gemeinsam mit ihrer ehemaligen Lehrerin in Libyen zu feiern, kannten einander zwar seit Kindesbeinen, waren sich aber dennoch fremd geworden.

Erst weit nach Mitternacht war es Elena gelungen, die Tafel aufzuheben, und auch wenn sie selbst kaum etwas getrunken hatte, rieb sie sich in den Strahlen der Morgensonne, die durch die hohen Bögen schräg in die Abflughalle einfielen und sich am hellen Gestein des Airports in gleißenden Lichtinseln brachen, verschlafen die Augen. Einzig und allein Adele Bernhardt, mit ihren 76 Jahren mit Abstand die älteste, sah frisch aus wie immer, stellte Elena nicht ohne Neid fest, als sie nach der Sonnenbrille in ihrer voluminösen Umhängtasche kramte. Als Reiseleiterin kämpfte sie stets mit dem Durcheinander in ihrem Handgepäck, denn bisher hatte sie noch keine Methode gefunden, Ordnung in den mitgeschleppten Unterlagen zu halten.

„Bis zum Abflug haben wir reichlich Zeit.“ Elena brauchte jetzt nichts dringender als einen starken Kaffee, denn um fünf Uhr morgens hatte es in ihrem Hotel kein Frühstück gegeben, was die verkaterten Reiseteilnehmer jedoch mit Gleichmut aufgenommen hatten.

„Diesmal haben wir kein Ekel dabei“, stellte Adele befriedigt fest, während sie gemeinsam mit Elena die Cafeteria ansteuerte. „Aber das habe ich Ihnen ja versprochen. Ich kenne meine Pappenheimer.“ Elena war sich da nicht so sicher. Vierzig Jahre sind ein halbes Leben, und so lang war es schließlich her, dass Adele Bernhardt erstmals als Klassenvorstand Kinder übernommen und acht Jahre später als junge Menschen ins Leben entlassen hatte.

In jeder Gruppe, die Elena bisher geführt hatte, war einer – oder eine – dabei gewesen, dem man nichts recht machen konnte. Das statistische Ekel, wie es im Reiseleiterjargon hieß. Zumeist waren es Männer, doch diesmal tippte sie auf eine der beiden Frauen. „Wer ist eigentlich auf die Idee mit Libyen gekommen?“, wechselte Elena das Thema, bevor sie in ein ofenwarmes Cornetto biss. „Was meinen Sie? Sie müssten es eigentlich erraten. Der feuchtfröhliche Abend war doch ziemlich aufschlussreich.“

„Nicht Günther Wieser“, überlegte Elena laut und sortierte damit den unscheinbaren Bankbeamten, der sich auch jetzt ein wenig abseits hielt, als ersten aus. „Professor Kornfeld vermutlich auch nicht, der erscheint mir eher der Typ des StudierstübchenArchäologen zu sein.“

„Wenn Sie sich da nur nicht täuschen. Der gute Matthias ist immer für eine Überraschung gut. Oder hätten Sie ihm zugetraut, dass ausgerechnet Thomas von der ersten Klasse an sein bester Freund war?“

„Erstaunlich. Der zerstreute Professor und der Lebenskünstler, das ist wirklich eine ungewöhnliche Kombination“, wunderte sich Elena und betrachtete nachdenklich den zweifellos interessantesten Mann der Gruppe, der die beiden Frauen an seinem Tisch gerade zum Lachen gebracht hatte.

Wenn der Ausdruck „womanizer“ auf jemanden zutraf, dann auf Thomas Widtmann. Gestern war er neben ihr gesessen, und auch sie hatte sich seinem Charme nicht entziehen können. Zweifellos hatte er das „gewisse Etwas“, denn im klassischen Sinn gut aussehend war er trotz seiner imposanten Größe eigentlich nicht. Zwar durchzogen nur wenige graue Fäden seine dichten, dunkelbraunen Haare, die er für sein Alter ziemlich lang trug. Doch auch damit konnte er weder von der viel zu langen Nase noch den spitz zulaufenden, ein wenig abstehenden Ohren ablenken. Wie zum Ausgleich hatte er jedoch ein Grübchen am Kinn, wofür Elena seit jeher ein Faible gehabt hatte.

„Also Thomas nicht und auch nicht Matthias“, spann Elena den Faden weiter. „Nein, ich komme nicht drauf.“

„Es war Linda Kowalsky, und ich gebe zu, das hat mich selbst überrascht. Nicht zuletzt deswegen, weil sie seit bald zwanzig Jahren in Berlin lebt und zu den meisten in Wien kaum Kontakt hat. Aber zu jedem Maturatreffen ist sie gekommen, auch zum letzten vor fünf Jahren. Und sie hat sich auch schon als Kind gern wichtig gemacht. Eine Gschaftlhuberin, das ist sie geblieben.“ Während Elena am Tresen auf ihren zweiten Espresso wartete, betrachtete sie die unscheinbare Frau, der man im Gegensatz zu ihrer aparten Schulkollegin ihr Alter ansah, mit neu erwachtem Interesse. Auch die zierliche Felicitas Cape war, wie alle anderen aus ihrer Maturaklasse, nicht mehr allzu weit von ihrem sechzigsten Geburtstag entfernt. Doch wirkte sie mit ihren halblangen, von hellen Strähnen durchzogenen Haaren, die sie mit einer Spange am Hinterkopf zusammengefasst hatte, um einiges jünger als Linda mit ihrer biederen Kurzhaarfrisur.

„Gegen Feli hatte sie nie eine Chance. Und wie der gestrige Abend gezeigt hat, scheint sich daran nichts geändert zu haben.

Je mehr Linda sich bemüht, umso weniger wird sie beachtet. Das war schon immer so.“ Adele Bernhardt war Elenas prüfender Blick auf die beiden Frauen nicht entgangen. „Dabei sind wir alle nur hier, weil Linda mit Gerhard Pittner auch dann noch Kontakt gehalten hat, als er vor vier Jahren in Tripolis einen Managerposten übernommen hat.“

„Mit ihm sind wir dann komplett. Aber seine Frau kommt nicht mit auf die Wüstentour, dabei bleibt es doch, oder? Mir wäre es egal, zwei Plätze hätten wir in unseren Jeeps frei.“

„Linda hat zwar gestern noch einmal versucht, die anderen zu überreden, dass wir Brigitte Pittner auf die Wüstentour mitnehmen. Aber es bleibt dabei. Nur Klassenmitglieder, kein Anhang. Und wie ich den guten Gerhard einschätze, ist das auch ganz in seinem Sinn. Auch er gehörte zu Felis Fan-Club, und wenn ich mich daran erinnere, wie er ihr beim letzten Treffen in Wien noch immer den Hof gemacht hat ...“

Adele kam nicht dazu, den Satz zu beenden, denn auch wenn sie bisher unmöglich etwas von dem Gespräch zwischen ihrer alten Professorin und der Reiseleiterin mitbekommen haben konnte, steuerte Felicitas Cape direkt auf sie zu.

„Hoffentlich störe ich nicht. Aber wahrscheinlich gibt es später kaum mehr eine Gelegenheit, mit Ihnen allein zu sprechen.“

„Worum geht es denn?“, fragte Elena ohne Umschweife. Sie ahnte nämlich bereits, worauf diese Einleitung hinauslief.

„Um die Fahrzeug-Aufteilung für die Wüstentour“, antwortete Feli, die keinen Grund mehr sah, um den heißen Brei herumzureden, ebenso kurz und bündig. „Wenn die Teams einmal zusammengestellt sind, bleibt es in der Regel doch dabei, oder?“

„Im Allgemeinen ist das so üblich. Natürlich kann man jederzeit mit jemandem tauschen, aber Sie haben schon Recht. Wenn jemand nach einem Tag oder zwei in ein anderes Auto wechseln möchte, führt das leicht zu Missverständnissen. Und damit nicht selten zu Missstimmungen.“

„Sehen Sie, um das zu vermeiden, möchte ich meine Wünsche rechtzeitig bei Ihnen deponieren.“ Mit sieggewohntem Lächeln strahlte Feli ihre Reiseleiterin an, doch bevor Elena etwas sagen konnte, nahm ihr Adele die Antwort ab.

„Meine liebe Feli, du brauchst gar nicht weitersprechen, denn mir ist völlig klar, mit wem du nicht im selben Jeep sitzen möchtest. Nicht mit Linda und auch nicht mit Günther und Gerhard. Der Rest ist dir ziemlich egal, Hauptsache du hast Thomas an deiner Seite. Stimmt’s?“

„Stimmt, Frau Professor“, antwortete Feli, die wie alle anderen von ihrer ehemaligen Lehrerin geduzt wurde, selbst aber die förmliche Anrede beibehalten hatte. „Weil aber Matthias wie eine Klette an Thomas hängt, steht unser Trio somit fest. Ich kann mich doch auf Sie verlassen, dass das klappt“, zischte sie mit leiser Stimme Elena zu, um zu vermeiden, dass irgendwer von den anderen, die sich mittlerweile in Hörweite befanden, das Gespräch mitbekam.

„Unsere Feli hat sicherlich wieder einmal Sonderwünsche“, lautete prompt die Diagnose des einzigen Mediziners der Gruppe, der als erster bei Elena eingetroffen war. Ohne den giftigen Blick zu beachten, den ihm seine Bemerkung eingetragen hatte, stichelte Doktor Franz Vogler mit einem boshaften Grinsen gleich weiter. „Und ich warne Sie, sie ist es gewohnt, ihren Willen durchzusetzen.“

Das fängt ja gut an, dachte Elena, der bereits am Vorabend eine gewisse Spannung zwischen dem sportlich-eleganten Augenarzt und Felicitas Cape nicht entgangen war. Wie naiv von Adele anzunehmen, dass es diesmal keine Konflikte zwischen den Reiseteilnehmern geben würde. Wahrscheinlich wäre es sogar einfacher, eine bunt zusammengewürfelte Gruppe durch die Sahara zu führen als Menschen, die einander allzu gut kannten.

„Jeder darf bei mir Sonderwünsche anmelden. Und wenn sie erfüllbar sind, dann werde ich das auch tun“, antwortete Elena diplomatisch. Damit hatte sie der Situation zwar für den Moment die Spitze genommen, aber eine Fortsetzung würde folgen, das war so sicher wie das Amen im Gebet.

„Keine Sorge, darum kümmere ich mich“, flüsterte ihr Adele zu. „Gehen Sie nur voraus, wir kommen gleich nach.“

Elena sah gerade noch, wie sich die alte Lehrerin mit strenger Miene an ihre einstigen Schüler wandte, als ihr Handy läutete. Giorgio! Und das vor sieben Uhr am Ostermontag! Er liebte sie wirklich, denn um sie vor ihrem Abflug zu erreichen, musste er sich eigens den Wecker gestellt haben.

„Amore mio, wie schön, dass du mich bereits in aller Herrgotts-früh vermisst“, sagte sie gerührt. „Aber mach dir keine Sorgen, es ist alles in bester Ordnung.“

„Wirklich? Du klingst müde“, antwortete der Mann, mit dem Elena seit nunmehr bald einem Jahr Tisch und Bett teilte.

„Im Gegenteil, ich bin putzmunter“, schwindelte Elena, die mit kaum mehr als vier Stunden Schlaf auskommen hatte müssen. „Danach siehst du aber gar nicht aus.“

„Wie kommst du denn darauf? Höre ich mich etwa verschlafen an?“

„Abgesehen vom Gähnen, das du mühsam unterdrückst, nicht unbedingt.“

Woher weiß er das, rätselte Elena, die sich vor ihren ersten Worten sogar vorsorglich geräuspert hatte, damit ihre Stimme sie nicht verriet. „Zieht Commissario Valentino nicht vielleicht gar voreilige Schlüsse?“, konterte Elena schlagfertig. „Bis zum Beweis des Gegenteils musst du mir glauben, und ohne Lokalaugenschein wird dir das kaum gelingen.“

„Wenn schon, dann bitte Maggiore und demnächst Tenente Colonello. Ich habe Karriere gemacht, schon vergessen?“

Elena biss sich auf die Lippen. Wie locker Giorgio auch sonst sein mochte, in seinem Beruf kannte der ehemalige Kommissar aus der tiefsten sizilianischen Provinz, der erst kürzlich zum Chef der Polizei für Kunstdelikte von Catania aufgestiegen war, keine Scherze.

„Du schläfst jetzt am besten noch eine Runde“, schlug Elena versöhnlich vor. Um diese unchristliche Tageszeit wollte sie sich auf keine Debatte einlassen. „Es war jedenfalls sehr lieb von dir, mich anzurufen. Aber jetzt muss ich los, mein Flug wurde eben aufgerufen. Ich melde mich, sobald wir in Tripolis sind. Ciao, amore.“ Bevor Giorgio noch etwas sagen konnte, unterbrach Elena die Verbindung.

Am besten, sie schaltete ihr Handy überhaupt gleich aus, dann musste sie im Flugzeug nicht mehr daran denken. Außerdem konnte Giorgio sie dann vorerst nicht mehr erreichen und dumme Bemerkungen machen. Dahinter steckte nichts anderes als Eifersucht, auch wenn er das niemals zugeben würde, das war Elena bald klar geworden. Auf der einen Seite wusste Giorgio, dass sie ihren Beruf seinetwegen nicht aufgeben würde. Andererseits aber widerstrebte es ihm zutiefst, wenn seine Elena wochenlang mit ihren Reisegruppen unterwegs war. Zumindest ein attraktiver Mann, der Elena vielleicht gefallen könnte, war stets dabei. Und Gelegenheit macht Liebe, davon war der Sizilianer in Giorgio zutiefst überzeugt.

Nachdem Elena ihr Handy in den Untiefen ihrer Tasche verstaut hatte, hielt sie nach ihrer Gruppe Ausschau – und erstarrte. Mit ausgebreiteten Armen kam Giorgio auf sie zu.

Welche Gedanken ihr in diesem Moment durch den Kopf schossen, konnte sie später nicht mehr sagen. Aber es waren nicht wenige. Was macht er da? Will er mich etwa kontrollieren? Hatte er daran gezweifelt, dass eine Reisegruppe aus Österreich über Malta den von ihr empfohlenen preisgünstigen Flug nach Tripolis gewählt hatte? Oder dass es diese Gruppe überhaupt gab? Vermutete er vielleicht gar, dass sie ihren Beruf als Reiseleiterin ausnützte, um ihn betrügen?

„Es ist nicht so, wie du glaubst“, nahm ihr Giorgio eine Antwort auf Unausgesprochenes ab. Er konnte in ihrem Gesicht lesen wie in einem offenen Buch. „Colonello Nicotra, du weißt schon, mein oberster Chef in Rom, hat mich gestern höchstpersönlich angerufen. Um zehn Uhr abends. Aber da warst du ja nicht erreichbar, weil du, wie ich dich kenne, dein Handy wieder einmal im Zimmer gelassen hattest. Also konnte ich dir auch nicht sagen, dass ich sofort nach Benghazi muss.“

„Weshalb?“ Außer einer Gegenfrage fiel Elena, die tatsächlich ein gestörtes Verhältnis zur permanenten Erreichbarkeit hatte, nicht ein.

„Darf ich dir nicht sagen, Geheimauftrag“, antwortete Giorgio. Als Offizier der Spezialeinheit der Kunstpolizei Italiens war er, wie Elena wusste, zu absoluter Verschwiegenheit verpflichtet. Doch dass Giorgio sich nach seinem letzten Ermittlungserfolg, in dem sie eine nicht unwesentliche Rolle gespielt hatte, plötzlich an die Vorschriften halten wollte, konnte sie nicht widerspruchslos akzeptieren.

„Geheimauftrag“, antwortete sie gedehnt. „So geheim, dass nicht einmal ich etwas davon wissen darf?“

Adele Bernhard ersparte ihm die Antwort. „Giorgio! Was für eine Überraschung!“ Über das ganze Gesicht strahlend eilte die alte Dame auf das Paar zu. „Sie kommen mit uns? Davon hat mir Elena kein Sterbenswörtchen verraten.“

„Konnte sie auch nicht“, versuchte Giorgio zu erklären, bevor ihm Elena ins Wort fallen konnte. „Auch ich freue mich sehr, Sie wieder zu sehen. Aber leider muss ich mich in Tripolis gleich wieder von Ihnen trennen. Ich fliege mit der nächsten Maschine weiter nach Benghazi.“

„Sie sind also auf einer Dienstreise in die Kyrenaika. Und Elena wusste gar nichts davon? Das muss aber ein interessanter Auftrag sein.“ In Sekundenschnelle hatte Adele die Situation begriffen und mit wenigen Worten auf den Punkt gebracht. Auch war ihr die Spannung zwischen den beiden nicht entgangen.

„Ich verstehe. Sie dürfen nicht darüber reden und ich verspreche Ihnen, dass ich Sie nichts fragen werde, was Sie in Verlegenheit bringen könnte. Aber los werden Sie mich bis Tripolis nicht mehr. In Wien habe ich ja kaum Gelegenheit gehabt, mit Ihnen zu plaudern, und das möchte ich jetzt unbedingt nachholen.“

Bevor die sichtlich verärgerte Elena die Initiative ergreifen konnte, hatte Adele den Mann, den sie ein knappes Jahr zuvor bei einer Sizilienrundreise kennen und schätzen gelernt hatte, untergehakt. „Darf ich bekannt machen“, stellte sie Giorgio ihren ehemaligen Schülern vor. „Das ist mein Freund Giorgio Valentino aus Trapani, den ich bis Tripolis nicht von meiner Seite lassen werde. Wer hat den Sitz neben mir? Reihe 14, Sitz A. Der soll bitte mit dem Signore tauschen.“

Wieder hatte Elena, die nur allzu gern ein ernstes Wort mit Giorgio gewechselt hätte, keine Chance gegen Adele. Andererseits hätte sie sich im Flugzeug ohnedies auf keine Auseinandersetzung mit Giorgio einlassen können. Bereits jetzt verfolgte Feli Cape das Geschehen mit unverhohlenem Interesse. Vor dieser Frau werde ich mir sicherlich keine Blöße geben und auch nicht vor einer Linda Kowalsky, sagte sich Elena, als sie die spöttisch herabgezogenen Mundwinkel im Gesicht der einen und das neugierige Funkeln in den Augen der anderen bemerkte.

Wie klug von Adele, die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, gestand sich Elena ein, nachdem der erste Ärger über die unerwünschte Einmischung der resoluten Lehrerin verflogen war. Außerdem konnte Giorgio ja wirklich nichts dafür, dass ihn sein Vorgesetzter zu absolutem Stillschweigen verpflichtet hatte, auch das wurde ihr allmählich klar. Sie hatte wie stets, wenn sie ihre Neugier nicht im Griff hatte, eindeutig überreagiert. Ihre Nase in Dinge zu stecken, die sie eigentlich nichts angingen, war nicht nur einer ihrer größten Fehler, es konnte auch lebensgefährlich werden. Wie zuletzt im vorweihnachtlichen Wien, wo sie im wahrsten Sinn des Wortes in Teufels Küche geraten und nur knapp einem Mordanschlag entgangen war.

Dafür bin ich wenigstens nicht eifersüchtig, dachte Elena trotzig, als sie als letzte der Gruppe in den bereitstehenden Flughafenbus stieg. Und ihre Neugierde würde sie auf dieser Reise jedenfalls im Zaum halten, versprach sie sich selbst. Egal, was immer auch geschehen mochte.

Wie schwer ihr das kaum dreißig Stunden später fallen sollte, konnte Elena freilich nicht voraussehen.

2

Afrikas warmer Atem umfing die Passagiere, die kaum vierzig Minuten nach dem Start auf dem Tripoli International Airport gelandet waren. Ein Katzensprung für die Boeing der Air Malta und gleichzeitig ein Riesenschritt in eine fremde Welt. Zerzauste Palmwedel wiegten sich im Wind, der den rostroten Sand auf dem Flugfeld aufwirbelte. Ein erster Gruß aus der Sahara, dachte Elena, die auch jetzt keine Chance sah, Giorgio unter vier Augen zu sprechen.

Während er und die anderen sich mit dem Aussteigen Zeit ließen, war sie bereits aus dem Flughafen-Bus geklettert und vorausgeeilt, um den Chef der libyschen Reiseagentur, der sie abholen sollte, ausfindig zu machen. Nichts fürchtete Elena nämlich mehr als die bürokratischen Hürden, mit denen Länder wie Libyen die Einreise für Touristen nicht selten zu einem Glücksspiel machten. Die Bestimmungen konnten sich von einem Tag auf den ändern und jedes noch so sorgfältig ausgeklügelte Programm durcheinander bringen.

Ihre Sorgen jedoch waren unbegründet und sie seufzte erleichtert auf, als Hosein Kassim über das ganze Gesicht strahlend auf sie zukam.

„Signora Elena, wie schön Sie wieder zu sehen“, begrüßte sie der Mann, den sie bei ihrem ersten Libyenbesuch vor zwei Jahren als gewieften Geschäftsmann kennen gelernt hatte, in nahezu akzentfreiem Italienisch. „Darf ich Sie gleich um die Pässe bitten, dann erledige ich die Formalitäten, während Sie und Ihre Freunde auf das Gepäck warten.“ Kaum hatte ihm Elena die Dokumente in die Hand gedrückt, war Kassim auch schon im Gedränge verschwunden.

„Wir treffen uns alle vor dem Ausgang, damit wir gemeinsam einreisen können“, rief Elena den zu den Laufbändern Davoneilenden zu. Ihre Reisetasche würde Karl Löwenstein, der im Flugzeug neben ihr gesessen war, für sie mitnehmen. Ganz Kavalier alter Schule hatte ihr der Fabrikant angeboten, sich darum zu kümmern, während sie nach der Ankunft doch sicherlich Wichtigeres zu tun hätte. Selbst ihm war nicht entgangen, dass das unvermutete Auftauchen des Sizilianers die Reiseleiterin ziemlich durcheinander gebracht hatte.

„Mich gibt es auch noch. Aber ich muss gleich weiter zum Terminal für Inlandflüge“, sagte Giorgio, als endlich keiner mehr etwas von Elena wollte. „Du bist doch nicht etwa böse auf mich oder gar auf Adele?“

„Warum sollte ich? Du machst ja nur deinen Job und Adele hat sich ehrlich gefreut, dich wieder zu sehen“, antwortete Elena, während sie sich immer wieder auf die Zehenspitzen stellte, um über die Köpfe der Umstehenden zu blicken.

„Wen suchst du denn? Ich dachte, du hast den Agenturchef schon mit den Pässen losgeschickt.“

„Habe ich. Auf Kassim ist Verlass. Aber offenbar nicht auf Karim. Das ist der Reiseleiter, von dem ich dir erzählt habe. Er wird mir bei der Wüstentour helfen. Wo steckt er denn bloß?“

Giorgio räusperte sich verlegen, bevor er Elena die schlechte Nachricht beibrachte: „Er wird nicht dich abholen, sondern mich. In Benghazi. Auch das wurde noch gestern Nacht vereinbart. Ich brauche dringend einen Dolmetscher, und wie du weißt, spricht Karim fließend Deutsch und Italienisch. Aber gib nicht mir die Schuld. Es war nicht meine Idee ...“

„... sondern?“ Fassungslos starrte Elena ihn an.

„Colonello Nicotra hat nach dem besten verlangt und der beste ist nun einmal Karim Farhat. Deutsche Mutter, libyscher Vater, abgeschlossenes Dolmetsch-Studium in Palermo ...“

„Du brauchst mir Karims Vorzüge nicht aufzuzählen, die kenne ich zur Genüge“, unterbrach Elena. „Wie auch immer dein ach so geheimnisvoller Auftrag lautet, Karim wird dir eine große Hilfe sein. Aber pass bitte auf und vertrau ihm nicht allzu sehr. Ich habe damals beim Reiseleiter-Kongress in Taormina so einige Gerüchte gehört. Es wurde gemunkelt, dass er in recht dubiose Geschäfte verwickelt sein soll.“

Auch darüber wusste Giorgio Bescheid, wahrscheinlich sogar besser als Elena ahnte. Sein Chef hatte ihn ebenfalls gewarnt, denn natürlich besaß die Kunstpolizei in Rom ein Dossier über jeden Mitarbeiter, den man in einer brisanten Mission einzusetzen gedachte. Doch wozu sollte er sich damit vor ihr wichtig machen? „Carissima, ich muss los, sonst versäume ich meinen Anschlussflug. Ruf mich bitte ab und zu an.“

„In der Wüste funktioniert kein Handy. Du hörst frühestens in einer Woche von mir. Aber da bin ich auch schon auf dem Weg nach Benghazi und falls du dann noch in Libyen sein solltest ...“ „Das ist sehr wahrscheinlich, denn es ist keine kleine Sache, hinter der ich her bin. Und ich werde dir sicherlich einiges zu erzählen haben. Aber nicht jetzt und auch nicht am Telefon. Das Risiko, abgehört zu werden, ist einfach zu groß.“

„Dass ich dich liebe, darf Gadhafi ruhig wissen“, lachte Elena, die sich von dem Schock, ohne Karim auskommen zu müssen, ziemlich rasch erholt hatte. „Aber jetzt lauf zu deinem Flugzeug. Und auf einen Abschiedskuss in aller Öffentlichkeit verzichten wir lieber, das sieht man hier nicht gern.“

„Wird nachgeholt“, versprach Giorgio, bevor er sie noch einmal fest an sich drückte und mit weit ausholenden Schritten davoneilte. Diesmal hat er mich nicht wie ein ungezogenes kleines Kind behandelt, stellte Elena befriedigt fest. Er hat mich nicht ermahnt, vorsichtig zu sein und meine Nase nicht in Dinge zu stecken, die mich nichts angehen. Giorgio hätte sie am liebsten in Watte gepackt, seit ihre Neugier sie fast das Leben gekostet hatte, und Elena meinte manchmal, an seiner übertriebenen Fürsorge zu ersticken. Als sie sich eben abwenden wollte, drehte sich Giorgio jedoch noch einmal um. „Pass auf dich auf“, rief er ihr von Weitem zu. Nur gut, dass er ihren Gesichtsausdruck aus der Distanz nicht sehen konnte.

„Alles in Ordnung?“ Besorgt musterte Karl Löwenstein Elenas gerunzelte Stirn. „Hier ist Ihre Reisetasche. Aber nein, lassen Sie nur, ich trage sie Ihnen gern, ich wollte nur sicher gehen, dass das alles ist.“

Elena riss sich zusammen. „Danke vielmals, ich habe nur ein Gepäckstück. Aber Sie brauchen sich wirklich nicht damit abschleppen. Sehen Sie dort drüben den kleinen rundlichen Mann im dunkelblauen Anzug? Das ist Hosein Kassim, der uns zu den Jeeps bringen wird. Überlegen Sie sich inzwischen, mit wem Sie im Auto sitzen möchten.“

„Da habe ich wohl kaum mehr eine große Auswahl. Unsere gute Feli hat bereits verkündet, wer mit ihr reisen wird. Linda will unbedingt mit Gerhard zusammen sein. Und weil Günther schmollt, dass Feli ihm Thomas und Matthias weggeschnappt hat, besteht er entweder auf einem Platz neben der Reiseleitung oder neben dem ortskundigen Gerhard.“

Dass Günther Wieser problematisch werden könnte, war Elena bereits aufgefallen. Wie sie aus Erfahrung wusste, versuchten Gäste mit wenig Reiseerfahrung nicht selten, ihre Unsicherheit mit Sturheit zu überspielen. Auch der biedere Bankbeamte glaubte offenbar, dass nur jemand, der Ansprüche stellt, auch ernst genommen wird. Ein Trugschluss, denn die wirklich interessanten Leute waren meistens die bescheidensten. Auch das hatte Elena im Lauf der Jahre gelernt.

„Sie brauchen sich um die Sitzverteilung nicht mehr zu kümmern“, erklärte Karl Löwenstein, dessen weiße Löwenmähne hervorragend zu seinem Namen passte. „Feli und Gerhard haben Günther aufgefordert, mit ihnen zu fahren. Somit bleiben also nur noch Sie und ich, Frau Professor Bernhardt und Franz Vogler übrig. Und ich muss Ihnen gleich sagen, dass ich über diese Zusammensetzung mehr als glücklich bin. Zu Viert wird es zwar ein bisschen enger werden, aber dafür werden wir es sicherlich lustig haben.“

Karl Löwensteins strahlender Gesichtsausdruck ließ keinen Zweifel offen, dass er ehrlich meinte, was er sagte. Elena war hochzufrieden, denn auch wenn sie es sich nicht anmerken ließ, sagte ihr Günther Wieser von allen Teilnehmern am wenigsten zu. Was nicht nur an seinem farblosen Aussehen lag. Ein ewig zu kurz Gekommener, der seinen Frust darüber nur allzu oft an anderen ausließ.

Wie sie von Adele wusste, beschränkten sich Günthers bisherige Auslandserfahrungen auf die Badeorte an der Oberen Adria. Mit seinen schütteren Haaren in verwaschenem Blond sah der schmalschultrige, durchschnittlich große Mann genau danach aus, was er vermutlich auch war: Durchschnitt in jeder Hinsicht. Er war jemand, der seine Träume längst unter der Last von Biederkeit und aufgezwungener Anspruchslosigkeit begraben hatte. Welch ein Unterschied zu dem erfolgreichen Lebensmittel-Fabrikanten Löwenstein. Sein Vater war mit Fertignahrung in Dosen reich geworden, was dem Sohn in der Schule den Spitznamen „Ravioli“ eingetragen hatte. Als Junior-Chef war Karl auf Feinschmecker-Produkte umgestiegen, und selbst Elena, die schon so lang in Italien lebte, waren Löwenstein-Pasteten ein Begriff.

Unauffällig musterte sie den leicht untersetzten Unternehmer, der an ihrer Seite langsam dem Ausgang zustrebte. Es sind nicht nur seine dichten Haare, die ihn wie einen Löwen aussehen lassen, dachte sie amüsiert. Er hat auch eine ausgesprochen hübsche kurze Katzennase, und auch die dunkelblauen, fast violetten Augen passen durchaus dazu. Zudem bewegt er sich mit der geschmeidigen Lässigkeit eines Raubtiers, ein Phänomen, das Elena des öfteren an bulligen Männern beobachtet hatte.

Hosein Kassim hatte mittlerweile ganze Arbeit geleistet. Ohne Verzögerung passierten die Österreicher die Einreiseschalter und traten ins Freie, wo bereits die Fahrzeuge auf sie warteten. Vier allradbetriebene Toyotas, die allerdings schon bessere Zeiten gesehen hatten.

„Einen TÜV gibt es in Libyen offenbar nicht“, entfuhr es Franz Vogler, als er die wenig Vertrauen erweckenden Autos erblickte. „Wozu auch? Hauptsache, die Fahrer verstehen ihr Handwerk“, beruhigte Thomas Widtmann die mit einem Mal ängstlich dreinblickende Schar. „Und ich bin sicher, jeder einzelne von ihnen ist ein genialer Mechaniker. Ich mache mir überhaupt keine Sorgen.“ Freundlich lächelte der erfahrene Reisende die wartenden Chauffeure an, bevor er sich nach seinem Gepäck bückte und auf die schäbigen Toyotas zuging. Doch Elena war schneller. Rasch stellte sie ihre Tasche neben einen klapperdürren Tuareg in einer dunkelblauen Djellaba. „Sie sind Ibrahim, mein Name ist Elena“, begrüßte sie den Mann, von dem sie wusste, dass er der Chef der Wüstenmannschaft und überdies der beste unter den drei Fahrern war, auf Italienisch.

„Si, Signora. Benvenuto.“ Hosein Kassim hatte ihr zugesagt, dass alle seine Angestellten ein wenig Italienisch sprachen, doch sie war skeptisch gewesen. Bei Ibrahim traf es jedenfalls zu. Elenas Erleichterung war unübersehbar, als Ibrahim die Initiative ergriff. „Wer fährt mit Hamilla?“ Offenbar gefiel Feli der Jüngling mit dem orangefarbenen Turban, der Ton in Ton zu seiner Djellaba passte, auf Anhieb. Spontan drückte sie dem Genannten ihren Koffer in die Hand, der das schwere Gepäckstück sogleich auf den Gepäckträger seines Wagens wuchtete.

„Wo bleiben denn bloß die Pittners?“ Sichtlich nervös ignorierte Linda die Aufforderung, ihre Tasche auf dem dritten Fahrzeug verstauen zu lassen, doch schon im nächsten Moment überzog ein befreites Lächeln ihr Gesicht. „Es hätte mich auch gewundert, wenn Gerhard einmal pünktlich gewesen wäre“, murmelte sie mit gezwungenem Lachen, während der Erwartete gänzlich unbefangen herbeigeschlendert kam. Hinter ihm trottete mit missmutiger Miene eine mollige Blondine.

Neugierig musterte Elena den Wiener, der seit nunmehr vier Jahren in Libyen lebte. Viel an die Sonne kam er offenbar nicht, dachte sie, als sie den blassen Teint des großen, blonden Mannes musterte. Dafür hatte seine Frau offenbar gleich für beide Bräune getankt, was ihr allerdings nicht unbedingt zum Vorteil gereichte. Unzählige kleine Falten ließen Brigitte Pittner um einiges älter aussehen, als sie vermutlich war. Während sich die einstigen Schulkollegen noch gegenseitig um den Hals fielen und auf die Schultern klopften, zog sie ein großes Kuvert aus ihrer Schultertasche und ging damit auf Elena zu.

„Ich habe eine große Bitte“, sagte sie nach einer flüchtigen Begrüßung und ohne sich vorzustellen. Hoffentlich will sie jetzt nicht noch im letzten Moment bei mir intervenieren, dass sie doch mitfahren kann, dachte Elena. Doch schon die nächsten Worte machten klar, dass Brigitte Pittner etwas ganz anderes von ihr wollte.

„Ich sollte Karim Farhat die Post für seine Mutter mitgeben. Sie lebt in Ghadames, aber heikle Dinge, die nicht verloren gehen dürfen, lässt sie sich zu uns nach Tripolis schicken. Er hat gestern noch spät am Abend bei uns angerufen und gesagt, dass er nicht auf die Tour mitkommen kann. Darf ich Ihnen das kleine Päckchen für Anna Farhat anvertrauen? Gerhard vergisst garantiert darauf, Sie sehen ja, er hat für nichts und niemanden mehr Augen und Ohren als für seine alten Freunde.“

Tatsächlich war Brigittes Ehemann von der gesamten Gruppe umringt, und er genoss es sichtlich, im Mittelpunkt zu stehen. „Kein Problem, das erledige ich gerne“, antwortete Elena bereitwillig. „Aber wo soll ich die Post abgeben?“

„Anna ist eine von den wenigen, die noch in der Altstadt von Ghadames leben. Sie wohnt nur wenige Schritte von dem Lokal entfernt, in dem Sie morgen zu Mittag essen werden. Sie ist leicht zu finden, denn ihre Haustüre ist die einzige mit einem frischen Anstrich. Außerdem kennt in Ghadames jeder Anna Farhat.“ Bevor Elena noch etwas darauf sagen konnte, hatte Brigitte ihr bereits das Kuvert in die Hand gedrückt. „Danke nochmals. Und alles Gute für Ihre Tour.“ Ohne ihren Mann noch eines Blickes zu würdigen, ging sie zu ihrem Auto.

Um diese Ehe steht es offenbar nicht zum Besten, stellte Elena fest. Aber das sollte jetzt ihre geringste Sorge sein. Weit wichtiger war es, keine Zeit mehr zu vertrödeln, schließlich lagen rund 650 Kilometer mehr oder minder löchriger Asphaltstraße vor ihnen. Noch waren sie exakt im Zeitplan. Abfahrt neun Uhr hatte sie sich vorgenommen und ihre Armbanduhr zeigte genau sechs Minuten nach neun, als der kleine Konvoi auf die Umfahrungsstraße einbog, die vom Flughafen Richtung tunesische Grenze führte. Vom mehr als 30 Kilometer entfernten Tripolis bekamen sie an diesem Morgen nichts zu sehen, Libyens Hauptstadt stand erst am Ende ihres Aufenthalts auf dem Programm.

„Ibrahim, wann machen wir die erste Pause?“, wollte Elena wissen, sobald sie die letzte Ansiedlung im Weichbild der Metropole hinter sich gelassen hatten.

„In etwa zwei Stunden, Signora. Bei Qasr al-Hadj, dort gibt es eine Cafeteria.“

„Qasr al-Hadj, die Burg des Mekkapilgers. Das ist eine der sechs noch erhaltenen Speicherburgen landesweit“, las Adele aus ihrem Reiseführer vor. „In den mehrstöckigen Ghorfas ...“

„Nur weil Sie neben Ibrahim sitzen, müssen Sie nicht gleich meine Arbeit übernehmen“, unterbrach Elena. Aus Höflichkeit hatte sie der älteren Frau den begehrten Platz neben dem Fahrer überlassen.

„Keine Animositäten, Elena“, drohte die alte Lehrerin mit erhobenem Zeigefinger. „Ich mache Ihnen den Job schon nicht streitig. Aber in diesem Auto erwartet niemand von Ihnen, dass Sie die perfekte Reiseleiterin abgeben. Und die anderen können Sie während der Fahrt ohnedies nicht hören. Entspannen Sie sich, Sie werden in der Wüste schon noch genug mit uns zu tun haben.“ Im Grunde ihres Herzens war Elena dankbar, dass sie sich nicht sofort in Erklärungen stürzen musste. Zwar hatte sie sich bei ihrem letzten Libyenbesuch vor zwei Jahren von Karim Farhat in einem Crash-Kurs einschulen lassen, doch als sattelfeste Fremdenführerin fühlte sie sich deswegen noch lange nicht. Im Gegensatz zu ihren Studienreisen durch den Süden Italiens, die sie im kleinen Finger hatte, würde sie hier ohne Unterlagen nicht auskommen. Adele hatte wie so oft recht, vorlesen konnte jeder, dazu brauchte man keinen geschulten Guide.

Die beiden Männer hatten bisher kein Wort gesagt, was zumindest Franz Vogler nicht leicht gefallen sein dürfte. Doch es war nicht der redegewandte Mediziner, der als erster das Schweigen brach, sondern Karl Löwenstein. „Was Ghorfas sind, soll uns die Frau Professor erzählen. Dafür würde ich Sie bitten, Elena, dass Sie sich um unser leibliches Wohl kümmern. Auch auf die Gefahr, als verfressen zu gelten: Ich habe Hunger...“

„... und ich habe Durst. Sie haben uns auf Malta von alkoholfreiem Bier erzählt. Genau das möchte ich, gut gekühlt, jetzt haben.“ Franz hatte nun doch nicht länger an sich halten können. „Und im übrigen bin ich zu hundert Prozent Karls Meinung. Entspannen Sie sich, solang wir unter uns sind. Die anderen werden Sie am Abend noch mehr als genug nerven.“

Wenn der liebe Franz mir jetzt das Knie tätschelt, bekommen wir ein Problem, dachte Elena, die Schenkel an Schenkel zwischen den zwei Schulkollegen saß, die unterschiedlicher nicht sein konnten. Karl Löwenstein hätte sie eine solch plumpe Vertraulichkeit nicht zugetraut. Doch sie hatte auch dem Augenarzt unrecht getan, Franz Vogler rückte sogar ein Stück von ihr ab, damit sie es bequemer hatte.

„Einverstanden. Außer ich kann Ihnen mehr erzählen, als in den Büchern steht. Legen Sie los, Frau Professor.“

Adele ließ sich nicht zweimal bitten. „Eine Speicherburg besteht meist aus einem mehrstöckigen Komplex von Ghorfas. Das sind langgestreckte, bis zu zehn Meter lange und drei Meter breite Tonnengewölbe aus Lehm, in denen nomadisierende Berberstämme ihre Vorräte an Getreide, Datteln, Oliven und sogar Geld gelagert haben. Heute haben diese Burgen ihre Funktion verloren, die Nomaden sind sesshaft geworden und die Stämme führen keinen Krieg mehr gegeneinander“, trug die einstige Lehrerin mit routinierter Stimme vor. „Dass diese Anlagen schwer bewacht waren, versteht sich von selbst. Eine Aufzählung der libyschen Speicherburgen, die samt und sonders aus dem Mittelalter stammen, erspare ich euch.“

„Von jener Ghorfa, die es erst seit wenigen Jahrzehnten gibt, steht nichts in Ihrem schlauen Führer?“ Kaum war Elena der Satz herausgerutscht, merkte sie, wie wichtigtuerisch ihr Verhalten wirken musste. Doch nun blieb nichts anderes mehr übrig, als fortzusetzen. „Hinter dem Namen Ghorfa verbirgt sich auch eine Handelskammer für den arabischen und deutschen Markt, die Arab-German Chamber of Commerce and Industry, 1976 gegründet und seit dem Jahr 2000 mit dem Hauptsitz in Berlin.“ Mit stoischen Gesichtern lauschten die Wageninsassen dem Vortrag, der in Wahrheit keinen interessierte. Ein zweites Mal passiert mir das nicht mehr, schwor sich Elena. Künftig würde sie nur noch Erklärungen abgeben, wenn sie gefragt wurde. Wohltuendes Schweigen breitete sich aus, während der uralte Toyota beruhigend vor sich hinschnurrte. Ein einschläferndes Geräusch, das zu der eher langweiligen Landschaft passte. Franz gähnte herzhaft, Karl schien bereits eingenickt zu sein und auch Adeles Kopf war verdächtig tief nach vorne gesunken. Auch Elena überwältigte schließlich die Müdigkeit, und sie schrak erst auf, als Ibrahim von der Asphaltstraße auf eine von Schlaglöchern übersäte Lehmpiste abbog.

3

Starr vor Entsetzen blickte Elena auf die Frau, die mit verrenkten Gliedern inmitten einer Blutlache lag. Um nicht laut aufzuschreien, hatte Elena unwillkürlich eine Faust an den Mund gepresst. Dabei wäre ihr fast das Kuvert entglitten, das sie bereits aus ihre Tasche geholt hatte. Doch Anna Farhat würde keine Post mehr in Empfang nehmen können. Ein Sturz auf die scharfe Kante der Treppe, die ins obere Stockwerk führte, hatte ihrem Leben auf tragische Weise ein Ende gesetzt.

Das Unglück war offenbar erst vor kurzem passiert, denn die tiefe Wunde an der Schläfe glänzte noch feucht. Zögernd kam Elena näher, doch schon im nächsten Moment fuhr sie schaudernd zurück. Aus der Distanz hatte sie die Fliegen, die über die weit aufgerissenen Augen der Toten krochen, nicht bemerkt. Für Anna kam jede Hilfe zu spät, um das zu erkennen, musste man kein Arzt sein.

Sie musste die Polizei verständigen, doch unter welcher Nummer? Suchend blickte sie sich nach einem Telefonverzeichnis um, und erst jetzt registrierte sie das Chaos, das irgendjemand hier angerichtet hatte. Die Schubladen einer kleinen Kommode waren herausgerissen und der Inhalt in einem wüsten Durcheinander auf dem Boden verteilt. Dazwischen lagen Berge von Büchern, die von den Regalen in einer Wandnische herunterfegt worden waren. Im angrenzenden Schlafzimmer und in der Küche, die nur durch einen offenen Durchgang vom Wohnraum getrennt waren, sah es nicht viel anders aus.

Plötzlich erschien Elena der gewaltsame Tod von Karims Mutter in einem ganz anderen Licht. War sie das Opfer eines Raubmordes geworden? Hatte sie über die Treppe fliehen wollen und war dabei gestürzt? Oder war sie mit voller Absicht gestoßen worden, damit der Täter in aller Ruhe das Haus durchwühlen konnte? Doch was könnte Anna Farhat wohl Kostbares besessen haben? Schmuck, Geld, teure elektronische Geräte, Antiquitäten? Darüber würde Elena später nachdenken. Im Moment war nur wichtig, keinen Fehler zu begehen.

Das hatte sie nun davon, dass sie wieder einmal viel zu neugierig gewesen war. Warum war sie nicht einfach weggegangen, als niemand auf ihr lautes Klopfen reagiert hatte? Statt dessen hatte sie wissen wollen, ob Anna nicht vielleicht doch daheim war und sie nur nicht gehört hatte. Ohne viel nachzudenken hatte sie die Klinke niedergedrückt und tatsächlich war die Tür aufgegangen. Hatte der Mörder sie offen gelassen? War er von ihr gestört worden und befand er sich vielleicht noch ganz in der Nähe? Versteckte er sich im ersten Stock oder auf der Dachterrasse?

Es kostete Elena all ihre Beherrschung, nicht Hals über Kopf davon zu stürzen. In Europa wäre sie hinausgelaufen und hätte laut nach der Polizei gerufen – aber sie war nun einmal nicht in einem europäischen Land, sondern in Nordafrika. In Gadhafis Reich, in dem immer wieder unschuldige Ausländer für Monate oder gar Jahre hinter Gefängnismauern verschwanden. Nicht auszudenken, was geschehen könnte, falls man sie mit einem Mord in Verbindung brächte. Nur ja keine Aufmerksamkeit erregen! Das war das erste, was ihr durch den Kopf schoss, als sie wieder einigermaßen klar denken konnte.

Elena stopfte das schwere Kuvert zurück in ihre Tasche und zog ein schwarzes Umhängtuch hervor, das sie immer bei sich trug. Falls ein Verdacht auf die ausländische Gruppe fiel, die gestern Abend in Ghadames angekommen war, würde man ihre Fingerabdrücke aufgrund der Passdaten sofort identifizieren können. Außer der Türe hatte sie nichts angefasst, da war sich Elena sicher. Wenn sie jetzt nicht die Nerven verlor, konnte alles noch gut gehen.

Ein letztes Mal blickte sie auf die Tote. Anna Fahrhat musste in ihrer Jugend eine Schönheit gewesen sein, und selbst das Alter hatte ihren zarten Gesichtszügen kaum etwas anhaben können. Auch wenn diese weit aufgerissenen schwarzen Augen nie wieder etwas wahrnehmen würden, so hatte Elena dennoch das Gefühl, dass noch immer ein Flehen in ihnen lag. Am liebsten hätte sie der zierlichen Frau, die ein so schreckliches Ende gefunden hatte, die Lider geschlossen. Doch dabei wäre sie in die Blutlache getreten und das wäre das Dümmste, was sie hätte tun können. Nur keine Spuren hinterlassen, wie ein Mantra wiederholte sie diese Worte still bei sich, als sie auf Zehenspitzen zum Ausgang schlich. Welch ein Glück, dass sich Annas Haus in einem besonders dunklen Winkel der Altstadt befand. Um die Hitze abzuhalten, hatte man einst sämtliche Gassen und Seitenwege mit Palmstämmen und einem Flechtwerk aus Palmrispen nahezu zur Gänze bedeckt, sodass nur an einigen wenigen Stellen Tageslicht eindringen konnte.

Elenas Chancen, unbemerkt davonzukommen, waren aber nicht nur deswegen gut. Seit die Regierung riesige Wohnblocks am Stadtrand errichtet hatte, standen im Herzen von Ghadames die meisten Häuser leer. Lediglich in den heißesten Wochen des Jahres, wenn die modernen Klimaanlagen mit Temperaturen von 50 Grad und darüber nicht mehr fertig wurden, suchten die Menschen in ihren alten Heimstätten, die als einzige Schutz vor der Hitze boten, Zuflucht. Anfang April aber lagen die überdachten, finsteren Gassen wie ausgestorben da. Lediglich Touristen brachten ein wenig Leben in die von der Unesco zum Weltkulturerbe erhobene Altstadt, doch auch die hatten ihre Besichtigungstouren längst absolviert und waren nun ebenso wie Elenas Gruppe beim Mittagessen.

Bevor sie sich auf die Gasse wagte, sah Elena auf die Uhr. 14 Uhr 12. Keine zehn Minuten waren vergangen, seit sie das Speiselokal verlassen hatte. Dort saßen nach wie vor ihre ahnungslosen Landsleute, die es ebenfalls zu schützen galt. Nicht nur sie selbst war in Gefahr, ohne Bedenken würde man auch die anderen neun Österreicher ins Gefängnis stecken, sobald ein konkreter Verdacht auf sie fiel. Nur allzu rasch würde die libysche Polizei herausfinden, dass jeder einzelne genau gewusst hatte, wo Anna Farhat zu finden war. Und das war einzig und allein Elenas Schuld.

Zu Beginn des Rundgangs durch die Altstadt war sie nämlich spontan auf die Idee verfallen, Karims Mutter zum Mittagessen einzuladen. Eine bessere Gelegenheit, in perfektem Deutsch mehr über Land und Leute zu erfahren, als im Reiseführer stand, würde sich ihrer Gruppe nicht so bald wieder bieten. Anna Farhat lebte zwar seit Jahrzehnten in Libyen, geboren aber war sie in Ostdeutschland. In Dresden, falls sich Elena richtig erinnerte. Irgendwann einmal hatte ihr Karim die ungewöhnliche Lebens-und Liebesgeschichte seiner Eltern geschildert. Sein libyscher Vater hatte in der DDR ein Technikstudium absolviert und dabei Anna kennen gelernt. Wenig später hatten die beiden geheiratet und waren 1970 mit ihrem damals 14jährigen Sohn nach Libyen übersiedelt. Nachdem ihr Mann 1985 bei einem Arbeitsunfall in der Wüste ums Leben gekommen war, hatte jeder angenommen, dass die junge Witwe mit ihrem Sohn nach Europa zurückkehren würde. Aber sie war geblieben.

In kurzen Worten hatte Elena gleich zu Beginn des Rundgangs durch die dunklen Gassen der Altstadt von Anna erzählt. Umso größer war die Enttäuschung, dass niemand öffnete, als die Gruppe kurz nach zehn Uhr erwartungsvoll vor der in leuchtendem Blau gestrichenen Haustüre stand.

War Anna zu dem Zeitpunkt vielleicht schon tot gewesen? Unwahrscheinlich, denn als Elena die Leiche fand, war die Blutlache zwar bereits gestockt, aber noch nicht eingetrocknet. Auch der Mörder hatte sich zu diesem Zeitpunkt nicht im Haus befunden. Bei seiner Suche müsste er ziemlichen Lärm gemacht haben, aber aus dem Inneren war kein Laut gedrungen. Somit ließ sich die Tatzeit recht genau einengen. Nicht früher als zehn und auch nicht später als dreizehn Uhr, wie die Blutspuren zeigten.

Elena spähte hinaus, ob sich in dem Halbdunkel jemand näherte. Sie konnte niemanden sehen, deshalb schlüpfte sie hinaus und dachte an nichts anderes als an Flucht. Sie musste ihre ganze Beherrschung aufbringen, um ihr Vorhaben auszuführen. Sorgfältig wischte sie mit ihrem Tuch die Klinke an der Innenseite sowie das blaulackierte Holz an der Außenseite der Tür ab. Sie wagte nicht, die Taschenlampe anzuknipsen. Mittlerweile hatten sich ihre Augen an die Düsterkeit gewöhnt, sodass sie den Rückweg problemlos fand. Eine Minute später betrat sie das Lokal, aus dem die vertrauten Stimmen ihrer Mitreisenden bis zum Eingang drangen. Noch aber konnte sie den anderen nicht mit unbefangener Miene gegenübertreten. Zu ihrem Glück befand sich niemand in dem verfliesten Vorraum der winzigen Toilette. Der Spiegel über dem gesprungenen Handwaschbecken war zwar nahezu blind, doch was sie darin von sich sah, genügte ihr, um sofort nach ihrer Puderdose zu greifen. Ein Tschador wäre jetzt ideal, dachte Elena, während sie einen Lippenstift als Rouge zweckentfremdete, indem sie ein paar Tupfer roter Farbe auf ihren blassen Wangen verrieb. Nur allzu gern hätte sie ihr bleiches Gesicht hinter einem blickdichten Stoff verborgen.

„Hier stecken Sie also. Ich habe Sie bereits vermisst.“ Erschrocken fuhr Elena zusammen, als Günther Wieser plötzlich hinter ihr stand.

„Schön zu hören, dass man schon nach wenigen Minuten jemandem abgeht“, antwortete sie geistesgegenwärtig. Wahrscheinlich glaubt er jetzt, dass seine Reiseleiterin mit ihm flirtet! Elena war es zuwider, auf diesem Niveau zu scherzen, doch das banale Geplänkel erfüllte seinen Zweck. Was auch immer geschah, ihre Abwesenheit sollte nicht zum Thema werden.

Als sie den mit bunten Teppichen, Spiegeln, Keramiken und vielem anderen Klimbim geschmückten Speisesaal betrat, erwartete Elena, dass man sie anstarren würde. Offenbar nahm aber niemand ihre Rückkehr zur Kenntnis, wie ihr das fröhliche Gelächter und Stimmengesumm verrieten. Die Chancen standen somit gut, dass sich später kaum einer mehr daran erinnern würde, ob und wie lange sie fort gewesen war.

Eigentlich sollte sie jetzt zum Aufbruch drängen, daran ließ der Wirt, der bereits unwillig die Stirn runzelte, keinen Zweifel. Doch sie gönnte sich noch ein paar Minuten Ruhe, und als sie schließlich aufstand, war ihr nichts mehr von dem erlittenen Schrecken anzumerken. Eine vergnügte Schar umringte Elena, die für den Moment alle düsteren Gedanken beiseite schob. Sie musste nur noch den Besuch des kleinen Stadtmuseums hinter sich bringen, danach war jeder bis zum Abendessen im Hotel sich selbst überlassen.

Wie sie es vorausgesehen hatte, interessierte sich niemand für bunt glasierte Gebrauchskeramik, bestickte Männerschuhe oder bemalte Tierhäute. „Heimatkunde auf libysch, nein danke“, lästerte Feli schon bald, was Elena ihr nicht verdenken konnte. Auch sie hielt den Museumsbesuch für denkbar unnötig, aber er stand nun einmal auf dem Programm. Lediglich Matthias betrachtete die wenigen archäologischen Fundstücke zunächst etwas genauer, doch auch der Professor verlor bald das Interesse an den bescheidenen Exponaten und gesellte sich zu den anderen, die nur noch auf ihn gewartet hatten.

„Am liebsten würde ich nochmals in die Altstadt zurückkehren.“ Adeles Vorschlag stieß bei den meisten auf begeisterte Zustimmung. Im sanften Abendlicht musste die alte Oasenstadt Ghadames noch exotischer wirken als im grellen Sonnenschein des späten Vormittags. Eine gute Idee, fand Elena, denn auch sie wäre gern noch einmal durch eines der sieben Stadttore spaziert, um auf einer Aussichtsterrasse den Sonnenuntergang zu erwarten. Sie wollte schon zustimmend nicken, als ihr schlagartig klar wurde, dass ihr nichts Gefährlicheres einfallen konnte.

Sollte Annas Leiche vor ihrer Abreise gefunden werden, war jeder verdächtig, der sich in der Nähe befunden hatte. Für den Vormittag würde sie der Polizei ein nahezu nahtloses Gruppen-Alibi anbieten können. Nach der Führung waren alle gemeinsam über eine Teestube, die ein paar Tische im Freien aufgestellt hatte, hergefallen. Erst danach gab es eine Lücke von knapp einer Stunde. Während Lina und Feli das Postkarten-Angebot eines nahen Souvenirladens plünderten, waren die meisten einfach sitzen geblieben.